sondern er ist komplex.
Wir sind komplexe Wesen in einer komplexen Umgebung. Abgesehen von sehr wenigen Sonderfällen, wenn wir z. B. einen Lichtschalter betätigen oder eine Rechenaufgabe lösen, ist das Ergebnis unsers Handelns das Ergebnis eines komplexen Prozesses.
Nicht geradlinige, sondern schlaufenförmige Handlungsabläufe mit dem festen Bestandteil des Scheiterns sind die Regel und nicht die Ausnahme in unserem komplexen Leben.
Ein weiteres Problem, das wir dringend bedenken sollten, wenn wir es mit komplexen Problemen zu tun haben, wird deutlich, wenn es sich bei unserer Katze um einen Sibirischen Tiger handelt. Scheitern bei der Bewältigung komplexer Probleme ist nicht angenehm, es kann sehr schmerzhaft sein.
Diagramm: Katzen - Dressur mit Sibirischem Tiger
In komplexen Systemen bedarf es einer besonderen Form des Risiko-managements. Ein Scheitern kann nie ausgeschlossen werden. Man muss die Fallhöhe von vornherein begrenzen. In komplexen Systemen sind nicht nur die Planungsmöglichkeiten begrenzt, sondern auch die Risikoanalysen. Oft empfiehlt es sich, ein solches Engagement nur dann einzugehen, wenn man einen 100%igen Ausfall verkraften kann.
Kompliziert
Als Nächstes wollen wir ein wiederverwendbares Raketensystem für die NASA entwickeln. Fest von dem Erfolg und der Umsetzbarkeit der Pläne überzeugt zu sein, ist hier nicht tödlich, sondern unbedingte Voraussetzung für den Erfolg. Eine Rakete ist sehr kompliziert. An ihrer Konstruktion, ihrem Bau und ihrer Bedienung sind sehr viele komplexe Menschen beteiligt. Aber alles, was wir zum Bau einer Rakete wissen müssen, existiert in Form allgemeingültiger Gesetze der Physik und Mathematik. Unsere Rakete ist eine Maschine, die funktioniert, und jedes noch so kleine Teil der Rakete funktioniert genauso, wie wir es berechnet und geplant haben. Wir können einfach die riesige Aufgabe aufteilen, indem wir einzelne Expertengruppen mit der Konstruktion und dem Bau des Triebwerks, der Kraftstoffpumpe oder einer Dichtung der Kraftstoffpumpe beauftragen. Wir können jedem Beteiligten genau sagen, welche Funktion das betreffende Teil erfüllen muss.
Diagramm: Vorgehensweise in komplizierter Umgebung
Wir müssen auch nicht erst die gesamte Rakete ausprobieren, um herauszufinden, ob ein einzelnes Bauteil der Rakete funktioniert. Wir können die Funktion der Dichtung, der Kraftstoffpumpe und des Triebwerks vorher überprüfen und testen. Die Fehler, die der Mensch in seiner Unberechenbarkeit und Fehlbarkeit bei diesem Vorgang begeht, wenn er etwas falsch berechnet, eine Einflussgröße übersieht, etwas falsch einbaut oder bedient, haben direkte Auswirkungen auf die Funktion der gesamten Rakete. Werden solche Fehler begangen, müssen wir auch hier einen Schritt zurücktreten und die Situation erneut analysieren, planen und einen erneuten Versuch starten. Dabei müssen wir aber nicht die zugrundeliegenden Theorien, die Naturgesetze infrage stellen. Wir werden nicht nur feststellen können, dass die Rakete nicht funktioniert hat, sondern, dass z. B. die Dichtung in der Kraftstoffpumpe des Triebwerks versagt hat. Wir werden herausfinden können, dass die Dichtung falsch berechnet wurde oder der Druck höher war als angenommen. Wenn wir auf Basis unseres Wissens nicht herausfinden können, warum der Druck höher war als angenommen, dann messen wir den Druck und erhalten so eine absolute Größe, mit der wir eine funktionsfähige Dichtung konstruieren können. In diesem Fall müssen wir uns nur so tief in das Meer begeben, dass wir nasse Zehen bekommen. Wir können uns auf die Verbesserung des Bauteils beschränken, um die Fehlfunktion des gesamten Systems zu beheben. Es besteht kein Anlass, den Absturz unserer Rakete darauf zurückführen, dass unser Wissen von der Schwerkraft möglicherweise falsch ist. Wir müssen nicht mit eigenen Schwerkrafttheorien eine neue Rakete konstruieren. Wenn wir komplizierte Dinge erschaffen wollen, müssen wir mit vielen Fehlfunktionen rechnen. Weil sie funktionieren sollen, können wir komplizierte Dinge gezielt entwickeln, indem wir das, was funktioniert, beibehalten, und nur das, was nicht funktioniert, verbessern. Wäre unsere Rakete komplex, dann hätte die Verbesserung der Dichtung möglicherweise Auswirkungen auf andere Bereiche der Rakete. Die „Verbesserung“ der Kraftstoffpumpe könnte z. B. das Navigationssystem beeinflussen und die Rakete aus diesem Grund zum Absturz bringen. Die Interaktionen in einem komplexen System können wir bestenfalls ansatzweise erahnen, aber niemals vollständig erfassen.
Theorie und Praxis
In der Theorie sind Theorie und Praxis das Gleiche – In der Praxis nicht!
In der Praxis werden wir gnadenlos mit den Dingen konfrontiert, wie sie sind – mit der Realität. Um uns zurechtzufinden, brauchen wir eine Vorstellung von der Realität. Dazu eignen wir uns Wissen über komplizierte Dinge an und entwickeln Theorien, mit denen wir uns komplexe Dinge erklären. Bei der Konstruktion einer komplizierten Maschine wenden wir auf intelligente, logische Weise theoretisches Wissen an. Wir erhalten so eine Theorie von der Funktion der Maschine. Diese Theorie können wir, wenn wir uns nicht verrechnet haben, in Form einer funktionstüchtigen Maschine in die Praxis umsetzen. In diesem Sonderfall liegen Theorie und Praxis sehr nahe beieinander. In diesem Fall sind umfangreiches und tiefes Wissen und ein intelligentes, logisches Verständnis der Zusammenhänge von großem Nutzen.
Wenn wir vorhaben, ein elektrisches Handrührgerät zu bauen, nicht auf den Kopf gefallen sind und eine geeignete Ausbildung genossen haben, können wir eine Theorie vom Bau eines elektrischen Handrührgeräts entwickeln. Die Chancen, anhand dieser Theorie in der Praxis tatsächlich ein Handrührgerät zu bauen, das dem vorhergesagten Ergebnis entspricht, stehen gut. Man könnte also als Maschinenbauingenieur, der akribisch den Bau eines elektrischen Handrührgeräts geplant hat und schließlich das Gerät am Ende der Fertigung wie geplant in Händen hält, auf die Idee kommen, Theorie und Praxis seien das Gleiche. Um diesen Eindruck nachhaltig zu stören, bedarf es nur eines genaueren Blicks in die Fertigung, wo die Praktiker mit der Umsetzung der Theorie beschäftigt waren. Diese Leute zeigen sich in der Regel wenig beeindruckt von komplizierten Theorien. Sie bauen das Handrührgerät eben nicht genau so, wie wir uns das theoretisch vorgestellt haben, sondern viel einfacher und schneller, aber mit dem gewünschten Ergebnis. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft finden theoretische und praktische Arbeitsabläufe immer weiter voneinander entfernt statt. Jemand, der wie ich als Maschinenbauingenieur theoretisch und als Maschinenbauer des Handwerks praktisch tätig ist, käme im Leben nicht auf die Idee, Theorie und Praxis könnten das Gleiche sein. Trotzdem können wir feststellen, dass Theorie und Praxis gerade in diesen Bereichen sehr nahe beieinanderliegen und sich durch Anwendungen auch komplizierter Theorien hervorragende Ergebnisse erzielen lassen.
Ein weiterer Bereich, der in der Theorie und Praxis oft den Anschein hat, das Gleiche zu sein, ist die Betrachtung der Vergangenheit. Wenn wir basierend auf bekannten Tatsachen die Vorgänge aus der Vergangenheit erklären und eine plausible, nachvollziehbare, logische Theorie entwickeln, fällt es schwer, diese zu widerlegen. Man könnte den Eindruck gewinnen: So muss es gewesen sein. Theorie und Praxis sind das Gleiche. Betrachten wir unser Vorhaben mit dem elektrischen Handrührgerät rückwirkend, so könnten wir Folgendes feststellen. Das sichtbare Ergebnis ist das wie geplant fertiggestellte Handrührgerät. Die vorhandenen Maschinen und Mitarbeiter in der Fertigung geben uns Anhaltspunkte, wie das Handrührgerät möglicherweise gefertigt wurde. Das sind auch die bekannten Größen, die meiner ursprünglichen Planung vom Bau des Handrührgeräts zugrunde lagen. Ich würde also, wenn ich mir die tatsächliche Fertigung in der Praxis nicht angesehen hätte, den Fertigungsvorgang genau so erklären, wie ich ihn ursprünglich logisch und nachvollziehbar geplant hatte. Diese Theorie würde jeder wissenschaftlichen Untersuchung standhalten und könnte nicht widerlegt werden. Und das, obwohl das Gerät tatsächlich viel einfacher und schneller gebaut wurde, als es in dieser Theorie möglich gewesen wäre. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bei einer wissenschaftlichen Über-prüfung ein Theoretiker die schlauen Tricks der Praktiker entdeckt. Mit anderen Worten: Bei der Betrachtung der Vergangenheit