»Guten Morgen«, begrüßte sie mich freundlich,
»Du musst Christina sein. Nico und Maria haben mir schon viel von dir erzählt. Ich bin Katerina, die Mutter der beiden«. Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich ergriff ihre Hand und stammelte:
»Guten Morgen, freut mich sie kennen zu lernen. Ich war mit Nico und Maria verabredet«.
»Sie sind im Stall, ich bring dich hin«, antwortete sie. Langsam ging sie voraus. Irgendetwas schien sie zu bedrücken. Plötzlich überkam mich ein seltsames Gefühl. Ich folgte ihr zum Stall. Sie öffnete die Tür und wir traten hinein.
Nico, Maria und noch ein Mann, den ich nicht kannte, standen mit den Rücken zu uns vor einer Box. Als sie uns hörten, drehten sie sich zu uns um. Marias Gesicht war tränenverschmiert. Nico sah sehr wütend aus und der Mann, der neben ihnen stand hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er schien sehr müde und bedrückt zu sein. Trotzdem kam er zu mir und begrüßte mich freundlich. Es war der Vater der beiden und er hieß Thomas. Er war sehr groß und muskulös. Seine dunklen Haare fielen im leicht in die Stirn und seine blauen Augen sahen sehr traurig aus. Er sagte zu Nico, dass er den Tierarzt verständigen wolle und verließ mit seiner Frau den Stall.
Ich ging ein paar Schritte auf die Box zu, vor der Nico und Maria die ganze Zeit standen. Dann sah ich, was alle bedrückte und mir stockte der Atem. In der Box stand ein weißes Pferd. Es war bis auf die Knochen abgemagert. Wie ein lebendiges Skelett. Sein Fell war stumpf und voller blutiger Striemen. Es lies den Kopf traurig hängen und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Übelkeit stieg in mir hoch und mir wurde schwindelig. Fassungslos starrte ich auf das Pferd. Dann drehte ich mich um und rannte aus dem Stall. Draußen lehnte ich mich an die Stallmauer und rang nach Luft. Alles schien sich zu drehen. Einige Minuten später ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß und heulte. Irgendwann vernahm ich Schritte und sah durch meine verheulten Augen Nico auf mich zukommen. Wortlos setzte er sich neben mich auf den Boden und hielt mir ein Taschentuch hin. Ich nahm es, putzte mir die Nase und versuchte mich zu beruhigen. Nach einigen Minuten brach Nico das Schweigen.
»Geht`s wieder?« fragte er mich. Ich nickte. Dann holte ich tief Luft und fragte mit brüchiger Stimme:
»Wer tut so etwas. Wie kann man einem Tier nur so etwas antun«.
»Es gibt Menschen, die betrachten Tiere nur als Gegenstände. Für sie sind es Sachen, mit denen man umgehen kann, wie man möchte. Sie sehen nur ihren Profit. Das auch Tiere schmerzen verspüren und leiden, genauso wie wir Menschen, interessiert sie nicht. Anderen wiederum macht es Spaß, Tiere einfach nur zu quälen. Solange es hier kein Gesetz zum Schutz der Tiere gibt und Tierquälerei nicht härter bestraft wird, werden viele so weiter machen wie bisher«. Nico hatte Recht, dass wusste ich. Nachdem was er gesagt hatte, musste ich an unsere Kätzchen denken. Die hatte auch jemand entsorgt, als wären sie Müll.
»Wo habt ihr das Pferd gefunden?«, fragte ich Nico mit tränenerstickter Stimme.
»Es ist eine Stute und mein Vater hat sie zufällig heute Morgen in einem Dorf entdeckt durch das er gefahren ist, als er zu einem Termin musste. Sie war an einem Zaun angebunden. Vater hat sie dem Besitzer nach langem hin und her abgekauft«. Nico ballte seine Hände zu Fäusten.
»Nur wer hindert den Mistkerl daran, sich ein anderes Pferd zu kaufen und es genauso schlecht zu behandeln wie dieses? «, fügte er zornig hinzu.
Ich war verzweifelt.
»Meinst du, der Tierarzt kann ihr helfen«, fragte ich Nico mit zitternder Stimme. Dabei wagte ich nicht ihn anzusehen. Auch Nico sah mich nicht an, sondern ließ seinen Blick über das Meer wandern, als er mir schließlich zögernd antwortete.
»Ich weiß es nicht, aber ich hoffe er kann helfen. Wir können jetzt nur abwarten bis er kommt«. Sein Gesichtsausdruck war wie versteinert. Ich konnte nicht erkennen was in ihm vorging. Und das machte mir Angst. Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Es war vielleicht feige von mir, mich einfach so zu verdrücken, aber ich hielt diese Ungewissheit einfach nicht aus.
»Nico, es tut mir leid aber ich halte es nicht aus, hier zu warten. Ich fahre jetzt nach Hause«, sagte ich leise. Nico nickte kurz und murmelte etwas. Sein Blick lag weiterhin in der Ferne. Langsam stand ich auf und ging auf mein Fahrrad zu, das noch an der Stallmauer lehnte. Dort angekommen drehte ich mich noch mal zu Nico um. Er lehnte noch immer an der Stallmauer, die Arme über den Knien verschränkt und den Kopf auf die Arme gestützt. Ich sah, dass er weinte. Er ließ seinen Tränen freien Lauf. Dieses Bild ließ den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte noch mehr wachsen. Die Lage schien für die kleine Stute wirklich aussichtslos zu sein. Ich musste hier weg, und zwar so schnell wie möglich. Ich wollte nicht mit ansehen müssen, wie sie eingeschläfert werden könnte. Und so radelte ich so schnell ich konnte nach Hause um mich zu verkriechen und irgendwie Trost zu finden.
Natürlich lief ich Mami direkt in die Arme, als ich mich gerade auf mein Zimmer schleichen wollte.
»Was ist denn mit dir los? Ist etwas passiert?«, fragte sie mich besorgt. Ich musste schrecklich aussehen. Mein Gesicht war geschwollen und rot vom weinen und mein Haar ganz zerzaust.
»Mami, es war so schrecklich, da war…,« ich stockte und wieder liefen mir die Tränen über das Gesicht. Plötzlich merkte ich, dass sich in Mamis Augen Panik ausbreitete. Sie musste denken dass etwas Schreckliches passiert sei. Als ich das bemerkte beendete ich meinen Satz mit zitternder Stimme: »Da war ein Pferd bei Nico, es war in einem katastrophalen gesundheitlichen Zustand. Der, der letzte Besitzer hat es fast zu Tode gequält«, stotterte ich. Mami sagte gar nichts mehr. Ich sah, wie Traurigkeit in ihre Augen stieg. Dann nahm sie mich ganz fest in den Arm und wiegte mich sanft hin und her, wie damals als ich klein war. Irgendwie tröstete mich das ein wenig. Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte führte Mami mich in die Küche und machte mir erst mal eine kalte Limonade. Dann setzten wir uns zusammen nach draußen in den Schatten. Aber wir schwiegen. Keiner von uns wollte ein Gespräch beginnen. Mami schien durch meine Geschichte auch sehr mitgenommen. Eine ganze Weile starrte sie wortlos aufs Meer. Ich sah nur auf meine Fußspitzen, bis Mamis Stimme mich aus meinen Gedanken riss.
»Ich werde solche Tierquäler nie verstehen. Was geht nur in deren Köpfe vor? Sie müssten viel härter bestraft werden um so etwas nie wieder zu tun«. Ihre Stimme zitterte richtig vor Zorn. Dann stand sie auf.
»Tina, ich weiß du bist aufgebracht, aber hilf mir bitte ein bisschen in der Küche. Ich muss das Essen fertig machen. Du musst auf andere Gedanken kommen. Später rufe ich dann bei den Eltern von Nico an und erkundige mich nach dem Pferd«. Erst verdrehte ich noch die Augen, doch dann überlegte ich es mir anders. Mami hatte Recht. Es half keinem wenn ich hier nur saß und Trübsal blies. Davon wurde die Stute auch nicht wieder gesund. Und ich fand es toll von Mami, dass sie sich später noch mal telefonisch nach dem Gesundheitszustand der Stute erkundigen wollte. Sie wusste dass ich nur ungern telefonierte, denn mein griechisch war noch nicht so gut. Ehrlich gesagt hätte ich mich auch nicht getraut bei Nico anzurufen. Also folgte ich Mami schweigend in die Küche.
Es gab Spaghetti Bolognese, eigentlich eines meiner Lieblingsessen, aber heute brachte ich keinen Bissen runter. Mami ließ mich gewähren. Auch sie schien keinen Hunger zu haben. Sie stocherte nur lustlos in ihren Nudeln rum und zwang sich regelrecht etwas zu essen. Papi und Ellen hatten von Mami alles erfahren. Auch sie machten betretene Gesichter. Wir schwiegen uns an. Und dann, als die Stille unerträglich wurde, meldete sich Mami zu Wort.
»Ich werde jetzt dort anrufen. Mittlerweile muss der Tierarzt ja dort gewesen sein«, sagte sie nur und sprang