»Das ist echt nett von dir, aber ich muss erst meine Eltern fragen. Sie haben bei Pferden nämlich so ihre Bedenken. Außerdem kennen wir uns doch kaum«.
»Du kannst jederzeit bei uns vorbeikommen. Du bist hiermit herzlich eingeladen. Meine Eltern haben einen Hof hinter dem Hügel dort«, sagte Nico und zeigte mir die Richtung. Ich wollte mich gerade für die nette Einladung bedanken, als ich von lauten Motorengeräuschen übertönt wurde. Eine Gruppe von fünf bis sechs Jugendlichen auf Motorrädern tauchte zwischen den Bäumen auf.
»Hey Cowboy, lass das baggern sein. Such dir einen anderen Strand. Pferdeburschen sind hier unerwünscht«, rief einer der Jungen Nico zu. Mary tänzelte aufgeregt hin und her. Das Motorengeheul machte ihr Angst. Nico sah mich an und schnitt eine Grimasse, als hätte er Zahnschmerzen.
»Kommst du klar, wenn ich mich jetzt verdrücke? Die Typen sind zwar harmlos, aber ich will keinen Ärger wegen Mary. Sie ist jetzt schon ganz aufgeregt«, fragte er mich leise und sah mir dabei tief in die Augen.
»Keine Angst, ich werde die Typen einfach links liegen lassen. Dann verdrücken die sich schon«, erwiderte ich. Nico schwang sich auf Marys Rücken, winkte mir noch mal zu und ritt davon. Nachdenklich sah ihm nach, bis er hinter der nächsten Wegbiegung verschwand. Dann machte ich kehrt und holte meine Strandtasche. Die Typen versuchten meine Aufmerksamkeit zu erlangen, indem sie mit ihren Motorrädern auf den Hinterrädern fuhren. Dabei riefen sie mir irgendetwas zu, was jedoch in dem Motorengeheul unterging. Unbeeindruckt ließ ich sie hinter mir und machte mich auf den Weg nach Hause. Sie machten zum Glück keine Anstalten, mir zu folgen. Die Lust aufs Schwimmen war mir gänzlich vergangen.
Zu Hause duftete es nach gefüllten Paprika. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich ziemlich großen Hunger hatte.
»Mami, bin wieder da«, rief ich in Richtung Küche. Meine Mutter erschien im Türrahmen.
»Du bist aber früh zurück«. Dann fiel ihr Blick auf mein Knie.
»Um Gottes Willen, was hast du denn da gemacht? Bist du vom Fahrrad gestürzt? «, fragte sie mich entsetzt.
»Nicht ganz, ist eine lange Geschichte. Erzähl ich beim Mittagessen. Wo ist Ellen?« lenkte ich sie schnell ab. »Draußen im Garten bei Papa«. Mami schüttelte nur noch den Kopf und ging wieder in die Küche. Ich schleuderte meine Strandtasche in eine Ecke und lief nach draußen. Papi und Ellen waren dabei, die Blumenkübel auf der Terrasse vom Unkraut zu befreien. Eine ziemlich undankbare Aufgabe. Für mich gab es nichts Schlimmeres, als Unkraut zu jäten.
»Ach, dich haben wir ja nicht so früh zurück erwartet. War`s schön am Strand?« fragte Papi neugierig. Dann sah er mein Knie.
»Was ist denn das? «, wollte er wissen.
» Ach Nichts, halb so wild, bin nur ausgerutscht«, erwiderte ich.
»Kann ich euch noch irgendwie helfen?«, fragte ich dann schnell, um von mir abzulenken. Das kam Papi natürlich nur Recht und er zeigte auf das Blumenbeet, das die Terrasse auf der rechten Seite von unserem Garten trennte.
Die nächste Stunde verbrachte ich damit, das Blumenbeet vom Unkraut zu befreien. Mein Rücken schmerzte, als Mami uns endlich zum Essen rief. Wir aßen auf der kleineren Terrasse hinter der Küche, die jetzt zur Mittagszeit schön im Schatten lag. Papi und Mami hatten tolle Bambusmöbel gekauft, die super bequem waren. Während des Essens erzählte ich meiner Familie von der Begegnung mit Nico und Mary. Sie hörten mir aufmerksam zu.
»Ich wusste überhaupt nicht, dass jemand hier in der Gegend einen Pferdehof besitzt«, sagte Papi. Mamis einzige Sorge war, dass ich dem Pferd nicht zu nah kam.
»Tina, du weißt genau, was alles passieren kann, wenn man vom Pferd fällt«, ermahnte sie mich. Ich versicherte ihr, dass ich vorsichtig sein würde, wenn ich Nico und Mary das nächste Mal traf.
Mir fehlte Sandra. Ich hätte so gern mit meiner besten Freundin über meine Begegnung mit Nico gesprochen. Doch hier hatte ich keine Freundinnen. Ich hoffte, dass sich das bald ändern würde. Und so beschloss ich, Sandra einen Brief zu schreiben.
Der Brief wurde vier Seiten lang. Schließlich gab es so viel zu erzählen. Der Umzug, das tolle Haus und… die Begegnung mit Nico und Mary. Papi versprach mir, den Brief gleich Morgen zur Post zu bringen.
Am nächsten Morgen regnete es. Es war der erste Regentag, seitdem wir in unser neues Haus eingezogen waren. Das Wetter war ein Spiegelbild meiner Laune. Eigentlich hatte ich beschlossen mit Ellen Nico zu besuchen. Aber bei dem Regen war daran leider nicht zu denken. Es goss in Strömen und der Himmel war schwarz. Es sah aus, als wenn es noch heftig gewittern würde. Also musste ich meinen Ausflug wohl oder übel verschieben.
Kapitel 5
Papi hatte seit zwei Tagen angefangen zu arbeiten. Er hatte eine Anstellung in einem großen deutsch- griechischem Architekturbüro bekommen, das seinen Sitz hier im Hafen von Alex hatte. Somit waren die sprachlichen Schwierigkeiten für ihn nicht so schlimm. Auch Mami hatte Glück. Sie würde für ein großes Brautmodengeschäft nähen. Aber erst ab dem nächsten Monat. Somit hatte sie noch ein bisschen Zeit, um sich um uns und das Haus zu kümmern. Auch ihr Atelier musste erst noch eingerichtet werden, da sie viel von zu Hause aus arbeiten würde.
Natürlich hatte ich Ellen alles von meiner Begegnung mit Nico erzählt. Sie war auch sehr neugierig darauf ihn kennen zu lernen. Sobald das Wetter besser werden würde, wollten wir zusammen zum Hof fahren.
Nur gut, dass schlechtes Wetter in Griechenland nur von kurzer Dauer ist. Am nächsten Tag schien schon wieder ausgiebig die Sonne. Wir holten unsere Fahrräder aus dem alten Schuppen und fuhren los. Mami hatte uns gebeten, pünktlich zum Mittagessen wieder daheim zu sein.
Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir den Hof, dank Nicos guter Beschreibung. Direkt vor uns lag das Haupthaus. Rechts und links davon erstreckten sich die Stallungen und hinter dem Haus waren die Pferdekoppeln zu sehen. Ich traute meinen Augen kaum. So ein großer Hof. Nico hatte nicht erzählt, dass seine Familie noch mehr Pferde außer Mary besaß. Plötzlich kam ich mir wie ein Eindringling vor, hier einfach so reinzuplatzen. Aber diesen negativen Gedanken verdrängte ich ganz schnell wieder. Ellen schien es im Gegenteil zu mir überhaupt nicht peinlich zu sein. Während wir uns ziemlich unschlüssig umsahen, tauchte ein Mädchen auf der Treppe des Haupthauses auf. Dann kam sie auf uns zu. »Guten Morgen, kann ich euch weiterhelfen?«, fragte sie freundlich. Ich schätzte, dass sie ungefähr so alt sein musste wie ich. Sie hatte lange, schwarze Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Ihre Augen waren smaragdgrün und ihre Lippen voll. Sie hatte weiche Gesichtszüge und war braun gebrannt.
»Guten Morgen, wir suchen Nico«, antwortete ich. Dann fügte ich noch schnell hinzu.
» Wir haben uns vorgestern am Strand kennen gelernt. Er sagte, ich könne ihn jederzeit besuchen«.
»Oh, ja er hat mir davon erzählt. Er ist hinten auf der Südkoppel. Ich bring euch hin. Übrigens ich heiße Maria«. Sie streckte mir ihre Hand hin und ich ergriff sie und drückte sie fest.
»Und ich bin Tina und das ist meine Schwester Ellen. Freut mich dich kennen zu lernen«.
Dann ging sie voraus und wir folgten ihr, nachdem wir unsere Räder an der Hauswand abgestellt hatten. Während wir zu den Koppeln liefen, erzählte Maria, dass Nico gerade dabei war ein Loch im Zaun auszubessern.
»Ihr habt aber viele Pferde. Ich dachte, Mary wäre euer einziges Pferd«. Maria lächelte.
»Nein wir haben ungefähr dreißig Pferde«. >Wow<, dachte ich. Endlich sahen wir Nico. Er stand mit dem Rücken zu uns und hämmerte eine Latte an einen Pfahl. Ich vernahm ein Wiehern und sah ein braunes Pferd auf uns zukommen. Das war Mary. Sie schien Nico wirklich auf Schritt und Tritt zu folgen.
»Nico, hier ist Besuch für dich«, rief Maria zu ihm rüber. Erstaunt drehte er sich zu uns um. Ein Lächeln