Meine Neugier war geweckt. Schnell leitete ich diese wundervolle Frau zum haltenden Taxi, in der Hoffnung, sie spielte ihre Rolle genauso engagiert, wie ich eben auch. Weg von dem Laden mit all den Fremden, die nichts über unser Tête-à-Tête wissen sollten. Es war mir wirklich wichtig. Vertraute sie mir, wäre ich einen Schritt weiter. Aus dem Augenwinkel fiel nun ein Mann auf, dem ich schon zweimal heute einen Blick zugeworfen hatte. Ein Verfolger womöglich. Weshalb sollte ich bloß verfolgt werden? Nachdem ich ihr ins Taxi geholfen hatte, folgte ich ihr, bestellte sogleich, die 145-147 Regent Street anzusteuern. Die Zeit der Fahrt um den St. James Park sollte reichen, sie auszuhorchen. Ab und an schaute ich mich um, ob uns ein Taxi folgte. Doch anscheinend hatte ich mir dies eingebildet oder wir hatten den Verfolger überrascht. Mehr, mehr, mehr wissen, erschien mir angebracht und auch von diesen beunruhigenden Vorkommnissen abzulenken. Zwischen uns beiden bestand irgendetwas Spezielles.
Dann werde ich mal etwas mehr erfahren wollen, müssen. Schach zu spielen, fand ich seit meiner Kindheit spannend und so eröffnete ich meinen Spielzug mit einem Angebot. Auch würde ich vielleicht bereits herausfinden, ob sie es auf mich und meinen Posten abgesehen hatte.
„Mein Name ist George. Ich bin Vater von drei Kindern, zwei Töchtern und einem Sohn“, offenbarte ich mich.
Ihr erfreuter Blick zu mir nach meiner Auskunft deutete ich als dankbar oder erleichtert. Dann erkläre ich besser, was ich vorhabe. Eigentlich wollte ich mit ihr in den Saint James‘s Park. Just hörte es auf, zu regnen. Doch sie war nass bis auf die Knochen. Ich vernahm ein Zittern auf ihren Lippen. Deshalb änderte ich mein Vorhaben ab. So fuhren wir am Parliament vorbei. Ich deutete darauf.
„Dort arbeite ich“, bewirkte bei ihr aufgerissene Augen.
„Du bist im Parliament tätig? Das hätte ich nicht vermutet. Bist du etwa ein Politiker?“, beendete sie behutsam ihren Gedanken.
Ehrlich nickte ich, was sie erröten ließ. Ihr Blick suchte außerhalb des Taxis nach Ablenkung. Das fand ich irgendwie rührend. Solch eine Reaktion kannte ich nicht. Ein großer Teil wurde furchtbar freundlich und höflich, während der andere mich fast schon verachtete. Aber diese Dame errötete. Wollte ich darauf bestehen, mich als Lord behandeln zu lassen? Nicht von ihr. Dafür war sie mir schon zu nahe gekommen. Gewährte ich diese Ausnahme, denn sie ist Ausländerin, konnte ich dies entschuldigen. Meine anderen Titel führten dann wohl sicherlich zu noch mehr Unsicherheit. Ich griff nach ihrer Hand.
„Einfach nur George für dich, einverstanden?“, bot ich ihr an.
Sie stammelte: „George. Oh Mann!“
Noch während mein Seufzer den Fond des Wagens ausfüllte, erfuhr ich ihre volle Aufmerksamkeit. Da war ich der Lordschaft noch einmal entkommen. Nun drehte sie sich um und blickte zurück. Hatte sie etwa ebenfalls den Verfolger wahrgenommen? Beide graublauen Augen fixierten mich und die leicht gehobenen Augenbrauen bewirkten ein angedeutetes Lächeln meinerseits. Sie funkelte irgendwie Ironie oder Sarkasmus. Dort erblickte ich einen Schalk kurz davor, einen Auftritt zu feiern. Sie setzte sich steif hin und reichte mir ihre Hand.
„Ich heiße Samantha und komme aus Berlin“, verriet sie mir endlich ihren Namen.
Schade, dass sie nicht mehr so locker sein mochte. Sieglinde, Annegret oder gar Brunhilde? Weg mit all den Namen, die ich mir bei einer Deutschen vorgestellt hatte. Samantha. Toller Name. Wirklich!
In mir jubelte es so laut, dass ich dachte, sie könne es hören. Wie wunderbar. Zwei vollkommen untypische Menschen saßen in einer unmöglichen Situation in einem Taxi und lernten sich endlich näher kennen. Welcher bekloppte Film könnte so einen Einfall beinhalten. Das erste Mal seit dem Unfall meiner Frau fühlte ich mich wohl in der Gegenwart einer Frau, die auch noch aus Berlin kam. Anderthalb Flugstunden entfernt. Samantha also. Passte eigentlich gar nicht, doch daran gewöhnen würde ich mich bestimmt schnell. Ihre Freunde riefen sie bestimmt Sammy. Meine neue heimliche Bekannte gefiel mir immer besser. Was würde meine restliche Familie davon halten? Jason hatte mir gestern auf den Zahn gefühlt, weil auch er etwas bemerkt hatte. Nur Jennifer ignorierte mein abwegiges Verhalten. Schien mir eher, als würde meine ältere Tochter absichtlich meinem Leben keine Beachtung zukommen lassen wollen, um mich zu provozieren. Hauptsache, ich versaue das hier nicht, weil es sich im Gegensatz zu allem anderen in meinem derzeitigen Leben voller Hürden und Abgründen gut anfühlte. Samantha beobachtete mich. Aber sie sah, von mir ertappt, verstohlen auf die kleine und gut duftende Tüte in meiner Hand. Dann vernahm ich ein leichtes Grummeln.
„Samantha, ein ungewöhnlicher Name für eine deutsche Frau“, versuchte ich, den Bogen bekommen, „Wie lange bleibst du in London?“
Plötzlich wurde sie ganz nachdenklich, doch antwortete Samantha vorsichtig: „Bis Samstag.“
Ein Lächeln kam in mir hoch und platzte, wie die Sonne durch das Fenster, aus mir heraus. Ohne auch nur einmal meine Möglichkeiten auszuloten, sah ich ihr in die Augen.
Samstag. Leider nicht einmal eine Woche mehr.
„Dann haben wir doch noch fünf Tage“, tat sie ihr Résumé kund. „Zu reden. Uns kennenzulernen. Wie findest du diesen Gedanken?“
Haarscharf noch die Kurve bekommen. Sie hielt inne und sah mich verwundert an. Diese blinzelnden Augen, die erbleichten Wangen, diese niedliche Nase und dann das Gegenlicht aus den Pfützen bescherten eine unglaubliche Anmut.
Kawumm.
Meine Güte, machte sie das absichtlich? Okay, ich verliebte mich in diesem Augenblick in eine deutsche Samantha. Tiefer und tiefer geriet ich in ihren Bann. Falls sie nur wieder reden würde.
Diese Frage fand ihren Weg in mein aufgewühltes Inneres: „Wohin entführst du mich, George?“
Breit grinsend schüttelte ich den Kopf. Bevor ich auch nur versuchte, daran zu denken, hatte ich den Blaubeermuffin aus der Tüte befreit. Teilte ihn und legte ihn in ihre Hand. Leicht irritiert sah sie mich an und begriff dann. Wir verputzten unsere Hälften. Das Taxi hielt. Leider waren wir schon angekommen. Dann flüsterte sie mir Danke zu und passend zu meinem Vorhaben nieste sie zwei Male. Schnell öffnete ich die Taxitür, um ihr aus dem Auto zu helfen, doch sie war mir schneller gefolgt, als ich in der Lage gewesen war, mich umzudrehen. Sie landete unwillkürlich in meinem linken Arm. Dadurch musste ich einen Schritt zurückgehen und hielt sie automatisch fest. Erschrocken sah sie mich an. Doch innerlich lachte ich laut los, konnte aber ein Schmunzeln für weniger Aufsehen sorgen.
„Huch, hast du etwas vergessen?“, fragte sie unsicher.
Ich entgegnete ihr ein wenig konsterniert: „Nein, aber es gehört sich, einer Dame aus dem Auto zu helfen.“
„Oh, es tut mir leid, dass ich so ungeschickt war“, stammelte sie verlegen.
Nun geleitete ich sie in den Karl Lagerfeld-Laden auf der Regent Street. Ungläubig sah sie mich an. Jedoch sorgte ich dafür, dass sie mit mir das Geschäft betrat.
„Lass mich dafür sorgen, dass du in trockene Kleidung gelangst. Jetzt“, sie nieste und wollte eigentlich den Kopf schütteln.
„Das ist eine perfekte Zustimmung“, erwiderte ich ironisch.
Trotz ihres leisen Protests, setzte ich mich endlich einmal durch. Eine schöne Kombination für sie zu kaufen, die sie wieder in eine annehmbare Person und keine laufende Tropfsteinhöhle verwandelte, stellte für mich eine Ehrensache dar. Ebenfalls staunte ich, wie schnell sie ihre Auswahl getroffen hatte. Vermutlich dachte ich nicht daran, wie sie sich ankleiden würde. Doch wurde ich ernsthaft sauer, als ich merkte, dass sie nur nach den Preisen schielte und entschied. Daraufhin holte ich eine Verkäuferin an meine Seite.
Zu dieser flüsterte ich: „Ich gebe ihnen meine Kreditkarte. Helfen Sie dieser netten Dame zu einem trockenem und am besten passenden Outfit? Würden Sie dies tun?“ Sie begann zu lächeln und schnappte sich frech Samantha. Hingegen der kleinen Odyssee Samanthas, nahm ich Platz und las zwei Nachrichten