Dunkles Wasser - Heller Mond. Wolfgang Ommerborn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Ommerborn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754186251
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einem Gesicht voller Narben und zwei wildfunkelnden Augen, offensichtlich der Anführer, gab Anweisungen, die Leichen der Schiffsmannschaft über Bord zu werfen. Zhuowu nahm verwundert zur Kenntnis, dass er kein Japanisch, sondern Chinesisch sprach, so dass er ihn verstehen konnte. Die Piraten waren also keine Japaner, sondern Chinesen. Einige von ihnen kletterten in den Laderaum, um die geladenen Waren zu überprüfen.

      Der Anführer wandte sich den Passagieren zu, die verängstigt im Heck des Schiffes hockten. Zhuowu wollte sich seine Furcht nicht anmerken lassen. Auch Kaufmann Lang blieb äußerlich ruhig und blickte immer wieder zur nicht weit entfernten Küste. Neben ihm und Zhuowu gab es als weitere Passagiere noch fünf Männer unterschiedlichen Alters und drei jüngere Frauen, einfache Leute, die aber auch nicht mit Schonung rechnen durften. Die Piraten zerrten die vor Angst schreienden Frauen aus der Gruppe heraus, und unter dem lauten Gejohle der ganzen Bande wurden sie auf eines ihrer Schiffe unter Deck gebracht. Als die zwei Männer, zu denen die Frauen gehörten, ein lautes Klagegeschrei erhoben, wurden sie von Lanzen durchbohrt.

      „Tötet auch die anderen und werft sie über Bord“, befahl der Anführer mit einer kurzen Handbewegung, „das wird heute ein Festessen für die Haie.“

      In diesem Moment, den Tod deutlich Augen, ergriff Zhuowu eine panische Furcht. Sein Körper zitterte. Er wollte nicht sterben. Er wollte nicht, dass sein Leben hier endete und sein Leichnam den Haien zum Fraß vorgeworfen wurde. Doch er war diesen brutalen und grausamen Verbrechern und ihrer Willkür ausgeliefert, für die ein Menschenleben nicht zählte. Zhuowu fühlte seine Ohnmacht und Hilflosigkeit. Er wollte schreien, schreien vor Todesangst und Verzweiflung. Aber dann, als sich zwei der Piraten, nachdem sie die drei anderen übriggebliebenen Passagiere getötet hatten, langsam mit gezogenen Schwertern auf ihn und Herrn Lang zubewegten, waren die Angst und die Verzweiflung mit einem Mal verschwunden. Es war die Gewissheit des Unabänderlichen, des Unvermeidbaren dieser Situation, die ihn in einen Zustand innerer Gleichgültigkeit versetzte. Was geschieht, das geschieht, sagte er sich, ich kann nichts dagegen tun, kann es nicht ändern und muss es akzeptieren. Sie werden mich töten. Zhuowu hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Er hatte sein Schicksal akzeptiert, und das gab ihm die innere Ruhe und Kraft, die ihn seinen Mördern mit ausdruckslosem Gesicht gegenübertreten ließ.

      Da, auf einmal, hörte er die Stimme des Kaufmanns.

      „Du machst einen Fehler, wenn du uns tötest“, rief Herr Lang an den Anführer gerichtet aus, „denn wir beide sind Söhne des reichen Kaufmanns Lang aus Fuzhou. Du kannst, wenn du uns verschonst, von ihm ein ordentliches Lösegeld verlangen. Unser Vater würde alles geben, um uns wieder frei zu bekommen. Er wird aber auch nicht zögern, uns zu rächen, wenn du uns umbringen lässt. Er hat an der ganzen Küste Verbindungen und Beziehungen. Er würde nicht ruhen, bis er dich erledigt hat ...“

      Das war mutig. Zhuowu sah Herrn Lang überrascht an. Die zwei Piraten mit den gezückten Schwertern blieben einige Schritte vor ihm und dem Kaufmann stehen und warfen ihrem Anführer einen fragenden Blick zu.

      „Woher weiß ich, dass du mich nicht anlügst“, knurrte der Anführer an den Kaufmann gerichtet.

      „Nun, die Waren auf diesem Schiff gehören meiner Familie. Hier in meinem Gewand habe ich die Papiere dafür.“

      Er zog mehrere Dokumente hervor und reichte sie seinem Gegenüber. Der nahm sie etwas unbeholfen in die Hand und wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte. Er kann nicht lesen, dachte Zhuowu.

      „Alter Zhang, du kannst doch lesen. Komm her und schau dir das an“, rief der Anführer an einen der hinter ihm stehenden Männer gewandt.

      Der alte Zhang, der mit seinem struppigen Bart und den zotteligen Haaren wie ein Bär aussah, trat hervor und studierte umständlich die Papiere. Es dauerte einige Zeit, bis er deren Inhalt verstanden hatte.

      „Also hier steht … Es sind Waren vom Kaufmann Lang aus Fuzhou an Bord. Und sein Sohn, sein Name ist Hufeng, begleitet sie. Er soll sie nach Quanzhou bringen. Dort sollen sie verkauft werden“, erklärte der alte Zhang langsam.

      „Nur ein Sohn?“

      „Mehr steht hier nicht.“

      Jetzt mischte sich Herr Lang ein.

      „Mein jüngerer Bruder Zhuowu ist zum ersten Mal dabei. Er hat noch keine Erfahrung und begleitet mich, um das Handwerk des Kaufmanns zu erlernen. Er ist nicht autorisiert. Darum taucht sein Name in den Dokumenten nicht auf.“

      Der Piratenanführer musterte Zhuowu prüfend. Wie gut, dass er für die Heimfahrt nicht das Gelehrtengewand angelegt hatte. Dann richtete der Anführer sich an seine Männer.

      „Weiß jemand von euch etwas über eine Kaufmannsfamilie Lang aus Fuzhou? Ist sie wirklich so reich und mächtig?“

      Ein drahtiger junger Mann mit entblößtem von Blut und Schmutz verschmierten Oberkörper trat selbstbewusst hervor. Er sah brutal aus und war ausgesprochen hässlich. Als er den Mund öffnete, konnte Zhuowu seine verfaulten schwärzlichen Zähne erkennen.

      „Ich habe früher in Fuzhou gelebt und im Hafen gearbeitet. Ich kann nur sagen, die Familie ist reich und mächtig. Sie hat großen Einfluss an der Küste von Fujian. Wir sollten uns mit denen besser nicht anlegen.“

      Der Anführer überlegte kurz und richtete den Blick auf die beiden Gefangenen.

      „Gut, dann werden wir das so machen. Wir fahren nach Fuzhou und wollen sehen, was uns die beiden hier einbringen werden.“

      Zhuowu und Herr Lang wurden auf eines der Piratenschiffe gebracht und in einen kleinen Raum unter Deck gesperrt. Der Raum war stickig und dunkel. Ein wenig Licht fiel durch zwei schmale Öffnungen herein.

      „Das war knapp. Ich habe schon gedacht, es ist alles vorbei. Danke, dass Ihr mich gedeckt habt“, sagte Zhuowu aufatmend zu Herrn Lang, „sonst wäre ich jetzt auch tot wie die anderen.“

      „Ich habe schon früher mit solchen Brüdern zu tun gehabt. Sie sind nur auf Beute aus. Man muss ihre Habgier ausnutzen. Und man darf sich von ihnen nicht einschüchtern lassen, auch wenn sie noch so grausam und gewalttätig sind.“

      „Aber wie soll es weitergehen? Wird Euer Vater auch für mich ein Lösegeld zahlen? Und werden die Piraten uns wirklich freilassen?“

      „Ich hoffe, dass es nicht so weit kommen muss. Vorhin ist mir ein schwaches Lichtsignal in den Bergen hinter der Felsenbucht aufgefallen. Von den Piraten hat es wohl keiner bemerkt. Es muss von einem Posten der Küstenwache stammen. Ich gehe davon aus, dass sie uns befreien wird.“

      Zhuowu blickte Herrn Lang erstaunt an und bewunderte seinen Mut und seine Zuversicht. Etwas Hoffnung keimte nun auch in ihm auf. Von draußen war zu hören, wie die Piraten die Waren von dem Handelsschiff in die Laderäume ihrer Schiffe verluden. Dabei herrschte großer Lärm. Irgendwann fingen sie an zu grölen und laut zu lachen.

      „Was ist da los?“ fragte Zhuowu.

      „Sie trinken. Damit feiern sie den erfolgreichen Beutegang.“

      „Sie betrinken sich, während sie verladen und noch hier vor der Küste ankern?“

      „Das ist erst der Anfang. Wenn sie mit dem Verladen fertig sind, wird es erst richtig losgehen.“

      „Das heißt, wir fahren heute nicht mehr nach Fuzhou?“

      „Davon gehe ich aus. Heute werden sie feiern. Alkohol ist genug da. Ein Teil meiner Waren für Quanzhou besteht aus Wein und Schnaps. Leider sehr teuren, was diese Barbaren sicherlich nicht zu würdigen wissen. Aber sie sollen nur ordentlich zulangen und sich betrinken. Das wird ihre Aufmerksamkeit und Kampfkraft einschränken. Die Piraten scheinen sich sicher zu fühlen und keinen Angriff der Küstenwache zu befürchten. Ich glaube, dass sie neu in der Gegend sind und vielleicht nicht wissen, dass in Putian eine Abteilung der Küstenwache stationiert ist.“

      „Ich hoffe, Ihr habt recht Herr Lang, und die Küstenwache kommt wirklich.“

      Zhuowu war sich nicht so sicher. Aber Herr Lang sah überzeugt aus, so dass auch Zhuowu sich schließlich beruhigte.

      Am