Der neue Schloßherr, Gabriel du Plessis le Houx, hatte am Morgen dieses nun schon entschwundenen schönen Tages in der Kapelle des Schlosses seine eheliche Verbindung mit Sylvabel de Fonteval geschlossen.
Sie war eine wie Diana, die Jägerin, aussehende schlanke, junge Amazone, mit weißer Hand, braunem Haar und von berückendem Reize. Sie war zwanzig, er dreiundzwanzig Jahre alt! ... Beide waren schön, elegant und reich, und die Zukunft der beiden schien in rosenrotes Licht getaucht.
Sylvabel hatte schon gegen halb elf den Ball verlassen und befand sich – zweifellos – in diesem Augenblicke in dem ehelichen Schlafgemache. Die Bewohner des Schlosses hatten sich alle zurückgezogen und waren, da in keinem Fenster mehr ein Lichtschein zu erblicken war, offenbar zu Bett gegangen.
Nur in dem hinter dem Spielsaale und vor den Gärten gelegenen Treibhause war noch Licht. Zwei Herren hatten sich dort auf den grün kannelierten Gartenstühlen niedergelassen, vor denen ein Pfeilertisch stand, der einen Armleuchter trug. Der eine war Herr du Plessis selbst – der andere der Baron Gérard de Linville, sein Onkel, ein alter Gesandter und Diplomat, der des höchsten Ansehens genoß. Der dringenden Bitte seines Neffen nachgebend, hatte er sich entschlossen, die Nacht noch auf dem Schlosse zu verbringen, obwohl er schon vor Tagesgrauen aufbrechen mußte, da er in einer diskreten Mission nach Schweden zu reisen beabsichtigte.
»Mein lieber Baron,« rief Gabriel plötzlich, »ich danke Ihnen herzlich dafür, daß Sie hier geblieben sind. Ich stehe vor einer kritischen Zeit und Sie sind vielleicht der einzige, der mir einen wirklich nützlichen Rat geben kann. Ich habe Ihnen schon gestanden, mit welcher Glut und Leidenschaft ich meine Frau liebe, eine Leidenschaft, die so überwältigend ist, daß ich mich oft erbleichen fühle und kaum Worte zu finden weiß, wenn sie mit mir spricht. Hören Sie nun, was ich Ihnen ferner vertraue: Sylvabel empfindet für ihren Neffen nur eine ganz oberflächliche frivole Neigung, sie liebt mich aber nicht. Sie ist ein verwöhntes Kind, das stets nur seinen Liebhabereien gelebt und sich fast ausschließlich mit Pferden und der Jagd beschäftigt hat. Sie ist ein stürmisches unbezähmbares Mädchen, mit männlichen Neigungen, trotz ihres verführerischen echt weiblichen Reizes. Sie weiß, daß ich sanft bin, und da sie errät, wie sehr sie mich leiden macht, verachtet sie mich ein wenig. Gewiß, Sylvabel hat ohne Zögern meine Hand angenommen, aber dies geschah einmal meines großen Vermögens wegen – o es ist wirklich so – dann aber auch, weil sie hoffte, mich zu ihrem Sklaven machen zu können: folglich wird sie mich vielleicht oder vielmehr ganz gewiß früher oder später betrügen. Sie findet mich zu friedlich! zu künstlerisch empfindend und zu exaltiert – mit einem Worte charakterlos.
Dazu kommt, daß sie selbst einen Geist von durchdringender, fast geheimnisvoller Schärfe hat. Sie ist eine Prophetin... Aber was wollen Sie? Sie besteht auf ebenso lächerlichen wie kränkenden Ideen. So hat sie mir heute abend auf das entschiedenste erklärt, daß sie fest entschlossen sei, morgen in aller Frühe eine Jagdpartie zu machen, und zwar zu Pferde. Wahrscheinlich will, sie damit den Bewohnern des Schlosses beweisen wie wenig ermüdend unsere Hochzeitsnacht für sie gewesen – beiläufig bemerkt, hat sie mich außerdem dazu verurteilt, diese erste Nacht unserer Ehe allein zu verbringen. Wenn das acht Tage so fortgehen soll, hat sie sich daran gewöhnt, die Herrscherin zu sein, und ich bin verloren – gleichviel was ich in Zukunft anstelle, um mich zu wehren. Dann aber werden die Dinge ein Ende mit Schrecken nehmen, denn ich gestehe es offen, meine Natur ist so, daß, wenn man mich zwingt, meine gewohnte Ruhe und Sanftmut zu verleugnen, ich so heftig werde, daß ich zu jedem Gewaltakte fähig bin. Ich bitte Sie also, lieber Onkel, der Sie einen so feinen Verstand besitzen, nicht nur gelebt haben, sondern auch die Kunst des Lebens wirklich verstehen, ich bitte Sie, mir zu sagen, ob Sie nicht ein Mittel wissen, den trostlosen Eindruck, den meine Frau von meinem Charakter hat, zu zerstören.
Wissen Sie keinen Rat, durch den ich ihre Liebe erringen könnte? Ich möchte sie davon überzeugen, daß ich trotz meiner Sanftmut und äußern Ruhe einen festen männlichen Charakter habe. Denn davon hängt alles ab. Was immer Ihr Rat sei, ich werde ihm gehorchen, ohne weiter darüber nachzudenken, wie ein Soldat, der Ordre pariert, oder wie ein Kranker, der ohne zu fragen, das ihm von einem großen Arzte gebotene Heilmittel annimmt. Ich vertraue mich Ihrer Weisheit. Es ist meine Ehre und mein Glück, die hier auf dem Spiele stehen.«
Baron Gérard warf einen hellen lächelnden Blick auf den jungen Mann, dachte einen Augenblick nach, neigte sich dann zu Gabriel und flüsterte ihm wohl fünf Minuten lang die ersehnte Antwort ins Ohr. Der Neffe horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit den Worten des alten Herren, die ihn mit Staunen erfüllten.
»Ich reise also in aller Frühe nach Stockholm,« fügte Herr de Linville sich erhebend mit lauter Stimme hinzu: »ich erwarte, daß du mir das Resultat bald schriftlich mitteilst. Vor allem also, handle ganz einfach, so einfach wie mein Rat und befolge ihn buchstäblich.«
»Danke, danke aus tiefstem Herzen. Gute Reise also und – auf Wiedersehen,« antwortete Gabriel, nun ebenfalls aufstehend und dem Onkel die Hand drückend.
Die beiden Herren begaben sich dann jeder auf sein Zimmer, in dem der Gesandte ruhigeren Schlaf fand, wie sein junger Freund. –
* * *
»Halloh! Halloh! Die Sonne scheint! – Schläfst du noch? Gabriel!«
So rief Frau Sylvabel du Plessis le Houx, die auf einem prächtigen Brandfuchs sitzend, der ungeduldig mit den Hufen den Boden scharrte und von einer ganzen Meute laut bellender und sie mit lustigen Sprüngen umgebender Hunde unter den Fenstern ihres Gatten hielt. Sie zog ungeduldig die Stirn zusammen, so daß eine tiefe Falte zwischen den schwarzen, die schönen lichtblauen Augen beschattenden Brauen entstand und ließ die feine Reitpeitsche durch die Luft sausen.
Das Geräusch eines aus der hinter ihr liegenden Allee galoppierenden Reiters veranlaßte sie, sich umzusehen: es war Gabriel.
»Meine liebe Sylvabel,« sagte er, sie höflich begrüßend, »du siehst, ich bin pünktlich zur Stelle, und zwar wie gewöhnlich noch zehn Minuten vor der verabredeten Zeit.«
»Wirklich?... Ach ja, du hast dich zweifellos unter den Bäumen dort deinen Träumen hingegeben. Du siehst ja ganz strahlend aus. Komponiertest du?«
»Ja ... diesen Strauß für dich – drei Rosenknospen und diese Verbenenzweige...«
»Du bist galant,« antwortete Sylvabel leichthin und steckte die Blumen zwischen zwei Knöpfe ihrer Taille.
»Das ist meine Pflicht,« antwortete kühl Herr du Plessis, »außerdem sagt man, daß Verbenen Schutz vor Anfällen verleihen.«
Etwas überrascht von der kühlen, beinahe ernsten Sprache ihres Gatten blickte die elegante Amazone ihn erstaunt an, dann sagte sie ungeduldig:
»Brechen wir auf, wir werden später in einer Lichtung auf dem Moose frühstücken.«
Während der ersten Stunden der Jagd sprach Gabriel keine zwanzig Worte. Er schien jedoch sehr vergnügt und ganz vertieft in die Freuden der Jagd zu sein. Er erlegte zwei Hasen, einen Auerhahn und acht Wachteln, die der einzige Piqueur, der sie begleitete und hinter ihnen ritt, in seine Jagdtasche steckte.
Gegen Mittag stieg man vom Pferde, um in einer prachtvollen Lichtung des Waldes auszuruhen. Nachdem er ein Stückchen Pastete, zwei Gläser Champagner, einige Waldbeeren und eine Tasse Kaffee genossen hatte, steckte Gabriel, der während des Mahles das Spiel der Eichhörnchen zwischen den Ästen der Bäume beobachtet hatte, sich eine Zigarette an und sagte, nachdem er sie geraucht:
»Nun wieder in den Sattel, vorausgesetzt, daß du genügend ausgeruht hast, Sylvabel?«
»Vorwärts also,« sagte sie.
Man nahm den Ritt wieder auf; diesmal führte jedoch der Weg quer durch die Felder.
Man war an einer Biegung des Weges angekommen, als plötzlich etwa dreißig Schritt von einer Hecke entfernt ein Hase aufsprang und blitzschnell vorüberlief.
Die Hunde stürzten hinter ihm her. Gabriel