Die Röntgenaufnahmen bestätigten die ärztliche Diagnose, Renes Wirbelsäule hatte die Form eines Fragezeichens. Bei dem nächsten Arztbesuch bekam ich ein Rezept für Kranken-Gymnastik und die Anweisung, mit meinem Sohn umgehend dort vorstellig zu werden. Doktor Remmers wies mich gleich darauf hin, dass ich mich um eine langwierige Behandlung einrichten könne.
Das bestätigte sich, als ich in der Physiotherapie den Behandlungs-Plan bekam.
„Stell dir vor, zwei Mal wöchentlich über mindestens sechs bis acht Monate muss ich mit dem Kleinen dahin. Das ist aber eine sehr Zeitraubende Sache“, berichtete ich meinem Mann.
„Du machst das schon. Was sein muss, muss halt sein.“ Mehr gab sein Interesse dazu nicht her.
Als meine Kranken-Tage vorbei waren, musste ich zum Depot um mich über meinen Dienstbeginn zu informieren. Weil Robert tief und fest schlief musste ich Rene mitnehmen. Also packte ich den Kleinen in den Kinderwagen und fuhr zur Weidenstraße.
An dem Aushang des Dienstplans konnte ich meine Dienstnummer nicht finden, deshalb nahm ich meinen Sohn auf den Arm und ging ich zu dem Büro der Fahrdienstleitung in der oberen Etage.
Die Sekretärin des Betriebsleiters war erstaunt über mein Erscheinen, wusste aber auch nichts darüber und bat mich um Geduld, sie werde sich erkundigen. Während ich das Baby auf dem Arm wiegte, betrachtete mich die Frau skeptisch.
Als sie einige Telefonate getätigt hatte, erklärte sie mir: „Tja Frau Woods, man hat Sie entweder vergessen oder noch nicht mit Ihrer Gesundung gerechnet. Sie sind in den nächsten Wochen noch nicht eingeplant und alle Dienste sind auch schon eingeteilt, zumindest für die nächsten vierzehn Tage. Also gibt es nur die Möglichkeit in Bereitschaft zu sein. Allerdings sollen Sie hier in der Halle während der Bereitschaftszeit in der Kantine helfen, damit ist beiden Seiten gedient, sagt der Chef. Anfang morgen um fünf Uhr bis neun Uhr. Aber wie die Arbeitszeit in den nächsten Tagen aussieht muss erst noch mit dem Küchenpersonal geklärt werden. Das sagt Ihnen dann jeweils am Tag vorher die Kantinenleiterin Frau Müller. Alles verstanden?“
„Wie? Ich soll Küchendienst machen? Dafür bin ich nicht eingestellt. Und dann noch jeden Tag anders? Keine festen Arbeitszeiten? Ich bin doch keine Marionette, die man beliebig hin und her schieben kann. Ich habe Familie, Kinder, ein Kleinkind, wie Sie sehen. Nein, Sie können dem Herrn Meis sagen, dass ich damit nicht einverstanden bin. Diesmal werde ich mich wehren! So wie in meiner Schwangerschaft lass ich mich nicht noch einmal behandeln. Ich kann erwarten, dass meine Dienstzeiten planmäßig vorausschaubar sind, wie es bisher auch immer war. Sagen Sie ihm bitte, dass ich morgen zwar zum Dienst erscheine, den einen Tag auch ausnahmsweise in der Kantine aushelfe, aber nicht länger. Dann möchte ich meinen geregelten Dienstplan haben, das steht in meinem Arbeitsvertrag. Ansonsten werde ich andere Schritte unternehmen. Auf Wiedersehen.“
Wütend ließ ich die Verdutzte stehen und ging hinaus.
Zu Hause erwartete mich die nächste unangenehme Überraschung.
Mein Mann eröffnete mir kurz und bündig: „Ich fahre nicht mehr Taxi. Ich hab gekündigt.“
„Na toll! Dann wird es ja in Kürze richtig knapp in unserer Kasse“, entfuhr es mir entsetzt!
Neue Hoffnung
„Nun reg dich nicht gleich auf, wir werden schon nicht verhungern. Ich will nur nicht mehr nachts arbeiten und auch keine zwölf Stunden, für diesen Hungerlohn. Nee, ich habe schon eine andere Arbeit. Eine Bessere mit mehr Verdienst. Dann kannst du endlich den Mist Schichtdienst hinschmeißen und ich kann mich auf die nächste Prüfung vorbereiten, die ist nämlich in drei Monaten. Der Bescheid ist heute per Post gekommen. Bis dahin muss ich noch ein paar Nachhilfe-Stunden machen, sonst verkack ich die Buchhaltung vielleicht noch einmal. Also, keine Sorge, das schaffen wir schon!“ erklärte Robert mit Nachdruck.
Ich fragte erstaunt: „Das ist zwar mal eine gute Nachricht. Keine Nachtarbeit mehr, ist mir natürlich auch lieber. Nur, warum so plötzlich, das wundert mich schon. Was willst du denn anderes machen?“
Robert erwiderte verächtlich: „Warum? Ach, ich hatte Krach mit der Frau Schwerte. Diese alte Giftspritze schreit mich wegen ner Kleinigkeit an, über Funk, stell dir das mal vor. Das lass ich mir doch nicht gefallen. Ich habe ihr gleich gesagt, sie kann ihre Lakaien so anschnauzen, aber mit mir macht die das nur einmal. Ich habe ihr die Karre direkt vor die Zentrale gestellt, gesagt dass sie mich mal kann, und bin nach Hause gegangen. Ganz zufällig hatte ich nämlich meinen Cousin Ralf Büttner kurz vorher gefahren und der hat mir gleich ein super Angebot gemacht. Da kam mir der Streit mit der Alten gerade richtig. Also keine Sorge, ich fang gleich morgen an!“
„Aha! Und mit was und wo fängst du an?“
„Ab morgen werde ich Autos lackieren! Wozu bin ich denn Lackierer-Meister? Der Ralf hat ne große Tankstelle und jede Menge Aufträge, und ihm fehlte nur ein Fachmann für die Lackier-Arbeiten. Natürlich hat der direkt an mich gedacht, als er die Aufträge kriegte. Wenn der nicht zufällig zu mir ins Taxi gestiegen wäre, hätte der mich in den nächsten Tagen aufgesucht. Tja, mein Schatz, jetzt wirst du sehen was dein Mann alles kann. Jetzt gibt es richtig Kohle. Also kündige und kümmere dich um deine Kinder und um mich natürlich. Und damit fangen wir gleich an!“ prahlte mein Mann und tatschte mir süffisant grinsend an den Brüsten herum.
Widerwillig wehrte ich ab und wollte stattdessen von meiner Arbeitsanweisung berichten.
Als ich meinem Mann von meinem Ärger erzählte hatte, wiederholte er noch einmal: „Ärger dich nicht rum, kündige!“
Weil ich von diesem Cousin noch nie etwas gehört hatte, musste ich Roberts Worten glauben und hoffen, dass seine Voraussagen den Tatsachen entsprechen werden.
Ralf Büttner war deutlich älter als wir und er entpuppte sich als sehr charmanter Mittvierziger. Zwar keine Schönheit, aber von dem Mann ging eine enorme Anziehungskraft aus, das spürte ich gleich.
Ralf gab sich selbstsicher und großzügig, erzählte von den zu erwartenden guten Gewinnen und er machte mir tatsächlich sehr viel Hoffnung auf unser zukünftiges Leben.
Auch er fand, dass ich nicht mehr arbeiten solle, und überzeugte mich mit den Worten: „Das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht allein hinkriegten, was Robert? Nein, nein, meine Frau hatte es noch nie nötig zu arbeiten. Du auch nicht Ruthchen. Bleib mal zu Hause, außerdem bist du für diese Arbeit viel zu hübsch.“
Ralfs positive Auswirkung auf mich gab den letzten Ausschlag; dass ich am nächsten Vormittag mit gutem Gefühl kündigte.
Schon bald lernte ich Ralfs Familie kennen. Er wohnte mit seiner Frau und den drei schulpflichtigen Töchtern am anderen Ende der Stadt. Seine Frau war Engländerin, was nicht zu überhören war, die jüngste Tochter war in Ramonas Alter. Seine Frau erwies sich als sehr unfreundlich, was ich von den englischen Soldatenfrauen gar nicht kannte, und was auch überhaupt nicht zu dem charmanten Ehemann passte.
Allerdings erfuhr ich bald darauf, dass meine Schwiegereltern von der entfernten Verwandtschaft wenig hielten. Die Mimik meiner Schwiegermutter sagte alles. Die Missbilligung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie den Namen Büttner, im Zusammenhang mit Roberts neuer Tätigkeit, hörte.
Ralfs Tankstelle lag ebenfalls in einem anderen entfernten Stadtteil, an einer gut frequentierten Durchgangsstraße. Aber für uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen. Allerdings erledigte sich dieses Problem sehr schnell, denn Robert kam bereits nach seinem ersten Arbeitstag mit einem VW Käfer nach Hause.
„Guck mal, Ruthchen, wie gefällt dir unser neues Auto?“ fragte er voller Stolz.
Ich war erst einmal sprachlos, fühlte mich überrumpelt.
„Hat der Ralf mir gegeben, schließlich muss ich ja zur Arbeit kommen. Ist sehr günstig und ich kann den Preis abarbeiten. Brauche ich nicht sofort bezahlen, sondern langsam, von jedem fertigen Auftrag eine