Mord aus gutem Hause. Achim Kaul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Achim Kaul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753182087
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bin sicher, Sie haben sie eingeladen, aber sie wollte nicht«, sagte er und zog mit einem satten Plopp den Korken aus der Flasche. »Melzick ist sauer«, fügte er hinzu und roch an dem Korken. »Liege ich richtig?« Lucy seufzte. Sie schaltete den Herd aus, wischte mit dem Handrücken über ihre Stirn und drehte sich zu ihm um.

      »Sauer ist gar kein Ausdruck. Sie ist so aus dem Häuschen, dass sie durch die Straßen marschiert, Parolen skandiert und den Leuten mit ihrem Transparent auf die Nerven geht.« Zweifel schaute sie fassungslos an.

      »Transparent? Nur weil ich nach Augsburg gehe?«

      »Nee, weil das Klima den Bach runtergeht. Mit Ihnen hat das nix zu tun. Glaub ich wenigstens.« Zweifel machte ganz hinten in seiner Kehle ein Geräusch. Lucy konnte nicht heraushören, ob es ein erleichtertes oder ein empörtes Grunzen war. Er schenkte einen kleinen Schluck in sein Glas und füllte Lucys zur Hälfte. Sie nahm Zweifels Teller und häufte mit einem großen Holzlöffel eine riesige Portion darauf.

      »Jedenfalls hat Mel heute was Besseres vor, als in meiner Küche die Reste wegzufuttern.« Zweifel warf einen skeptischen Blick auf den dampfenden Vulkan, den sie ihm gerade vor die Nase stellte.

      »Das sind Reste?«

      »Bei diesem Gericht bleibt immer was übrig. Sie werden es schon merken.« Zweifel wartete, bis sie ihren eigenen Teller gefüllt hatte und sich zu ihm setzte.

      »Ihnen ist sicher bewusst, dass vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist«, sagte er. Lucy strahlte ihn an.

      »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Zweifel hob sein Glas.

      »Vielleicht trinken wir erstmal, solange meine Geschmacksnerven noch bei Bewusstsein sind.« Lucy stieß mit ihm an.

      »Auf die Geschmacksnerven. Mögen sie nie verloren gehen.« Sie nahmen jeder einen tüchtigen Schluck.

      »Es duftet wunderbar, Lucy.« Sie hatte bereits eine Gabel voll „Chili con Chili sin Carne“ zu sich genommen und antwortete mit vollem Mund.

      »Wumbert miff niff.« Sie schluckte runter. »Aber riechen allein macht nicht satt, Herr Kommissar. Nur zu!«

      »Lassen Sie doch bitte den Kommissar weg.« Lucy zog die Augenbrauen hoch. »Ja, und den Chef und den Zweifel am besten auch«, sagte er und wagte einen Bissen. Die Explosion auf seiner Zunge erfolgte zeitlich verzögert. Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Lucy warf ihm einen prüfenden Blick zu.

      »Was bleibt denn dann noch übrig?«

      »Adam«, hauchte Zweifel ganz vorsichtig, um nicht Feuer zu spucken.

      »Also gut, Adam. Sie brauchen aber deswegen nicht rot zu werden.« Zweifel antwortete mit einem langgezogenen Zischen. »Soll ich die Feuerwehr rufen?«, fragte Lucy ungerührt.

      »Nicht nötig. Aber Melzick hat eine kluge Entscheidung getroffen«, sagte er und rieb sich mit dem Zeigefinger die Tränen aus den Augen. Lucy aß weiter, als hätte sie einen Eisbecher vor sich.

      »So ’ne Demo wär nix für mich«, meinte sie.

      »Weil man da zu Fuß geht?«

      »Nee, wegen meiner latenten Aggressivität.« Zweifel verschluckte sich, obwohl er nur eine einzige Saubohne im Mund hatte.

      »Sie und aggressiv?«, japste er und griff nach seinem Weinglas. Sie nickte.

      »Tausend Leute oder mehr um einen rum, die eine Energie rauslassen, dass die Sonne schwarze Flecken bekommt, die wie mit einer Stimme brüllen und schreien, die ihre Wut hinaustrommeln, was das Zeug hält — haben Sie eine Ahnung, was das mit einem macht?« Zweifel hatte sich etwas erholt und fand zu seiner Überraschung allmählich Geschmack an Lucys Gaumenschmaus. Er nickte.

      »Hab ich. Aber haben Sie eine Ahnung«, fragte er und nahm unerschrocken die nächste Gabel in Angriff, »was dieses Essen mit einem macht?« Lucy strahlte ihn wieder an.

      »Freut mich, dass es Ihnen schmeckt. Wenn der Teller schön leer ist, gibts auch einen Nachtisch.«

      Zacharias gab Jocelyn einen Stoß in die Seite, nahm seinen Teller und stand auf.

      »Die haben superleckere Brownies hier.«

      »Ziemlich rassistische Äußerung, Zack«, frotzelte Phil. Melzick sprang sofort auf den Zug auf.

      »Hätte ich von dir nicht erwartet. Man sagt nicht „Brownie“, man sagt „schokoladenartig gefärbter Kleinkuchen“.«

      »Von mir aus, große Schwester, soll ich dir ein politisch korrektes Schokoteilchen mitbringen?« Mel sah Phil an.

      »Müssen wir nicht langsam los?« Sein Handy vibrierte im gleichen Moment.

      »Lass dir die Dinger einpacken, Zack, wir sind spät dran. Ist ja schon zwölf vorbei«, rief er, während er die eingehende Nachricht stirnrunzelnd las. »Am Hauptbahnhof scheint es Ärger zu geben.« Er schob Melzick zwei Scheine hin. »Kannst du schon mal zahlen? Ich muss erst mal jemanden beruhigen«, sagte er und tippte gleichzeitig eine Nachricht. Wenig später eilten die vier quer über den Rathausplatz.

      »Warum nehmen wir denn keine Straßenbahn?«, keuchte Zacharias und hielt Jocelyn die Tüte mit den Brownies hin. Sie schüttelte den Kopf.

      »Erstens sind wir noch keine dreißig. Zweitens dauert es zu lang«, schnaufte Phil und verschärfte das Tempo. Melzick hielt locker mit. Immer öfter mussten sie größeren Gruppen ausweichen. Überall waren Papptafeln zu sehen, mehr oder weniger gekonnt beschriftet, an Holzstöcken befestigt, mit denen die Empörten mehr oder weniger herumwedelten. Jocelyn und Zacharias folgten in einigem Abstand. Phil wollte dem größten Gedränge ausweichen und nahm die kurze Querstraße, die „Unter dem Bogen“ hieß, und die vom Rathausplatz zur Annastraße führte. Von dort waren es nur wenige hundert Meter bis zum Königsplatz. Dann mussten sie nur noch die Bahnhofstraße entlang spurten. Zacharias sah die roten Dreadlocks seiner Schwester im Gewimmel auf dem Königsplatz verschwinden. Er packte Jocelyn am Arm.

      »Lassen wir die zwei doch allein für die Olympiade trainieren. Wir warten hier.« Jocelyn war kaum außer Atem. Sie hatte die Blicke einiger Passanten aufgefangen und fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.

      »Geht’s dir gut?«, fragte Zacharias und biss in einen Brownie. Sie nickte. Er wusste, dass das eine Lüge war.

      »Wir können jederzeit abhauen«, raunte er ihr zu. Sie schüttelte energisch den Kopf.

      »Ok, soviel ich weiß, treffen sich alle hier am Kö’. Phil wird eine Ansprache halten und dann geht’s los.« Er schaute sich um. In allen Hauptverkehrsstraßen, die zum Königsplatz führten, standen Mannschaftswagen der Bereitschaftspolizei.

      »Unsere freundlichen Begleiter sind auch schon bereit. Hast du Angst?« Jocelyn schaute ihn aus großen dunklen Augen an. Sie sagte nichts. Er legte einen Arm um ihre Schulter. Trotz der hochsommerlichen Hitze kroch etwas Kühles in seinen Nacken.

      5. Kapitel

      In der Zwischenzeit war Phil zusammen mit Melzick auf dem Bahnhofsvorplatz angekommen. Dort beherrschte eine Großbaustelle das Bild. Der Umbau des Augsburger Hauptbahnhofs würde noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Der Haupteingang war schon länger gesperrt. Die Reisenden mussten die südliche Unterführung nehmen, um zu den Bahnsteigen zu kommen. Der schmale Weg dorthin war auf der einen Seite von einem modernen Postgebäude begrenzt und auf der anderen Seite von mehreren behelfsmäßigen Containern. Dort waren unter anderem die Bahnhofsbuchhandlung und eine Bäckerei untergebracht. Über der Post befand sich im ersten Stock ein riesiges Fitnesscenter. Dessen Fenster gingen auf den Bahnhofsplatz und waren wegen der Hitze weit geöffnet. Die lautstarken Kommandos der Fitnessfeldwebelinnen gellten über den ganzen Platz bis hinüber zum Fuggerstadt-Center auf der anderen Seite des Bahnhofs und vermischten sich mit Trillerpfeifen und Trommelschlägen. Hunderte von Teilnehmern belagerten das Gelände und machten sich warm für die Demo. Es waren viele Ältere darunter, wie Melzick feststellte, als sie Phil außer Atem