Mord aus gutem Hause. Achim Kaul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Achim Kaul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753182087
Скачать книгу
Augen an und fand keine weiteren Worte. Der schüttelte den Kopf und zwinkerte mit den Augen, als sähe er nicht richtig.

      »Lucy! Mir ist gerade etwas klar geworden!«, rief er.

      »Mir auch«, erwiderte sie trocken, zauberte eine Rolle Küchentücher unter ihrem Schreibtisch hervor und tupfte energisch und empört den Sumpf auf ihrem Schreibtisch trocken. Ein unangenehm säuerlicher Geruch nach feuchtem Papier und kaltem Milchkaffee machte sich bemerkbar. Zweifel legte beschwörend beide Hände flach auf ihren Tresen.

      »Ich muss weg.« Lucy war sehr beschäftigt und hörte nur mit halbem Ohr zu.

      »Wer muss das nicht?«, brummte sie. Zweifel winkte ab.

      »Das meine ich nicht.« Etwas in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Sie unterbrach ihre Trockenlegungsmaßnahmen und sah ihn stirnrunzelnd an. Er lächelte sie an und nickte.

      »So ist es. Ich muss weg.« Eine halbe Stunde später präsentierte er das Versetzungsgesuch seinem Chef Alois Klopfer. Der wäre normalerweise aus allen Wolken gefallen, aber da er selbst kurz vor einem Karrieresprung ins Ministerium nach München stand, blieb er gelassen.

      »In Augsburg dürfte mordtechnisch gesehen etwas mehr los sein als in Bad Wörishofen«, meinte er und unterschrieb das Gesuch.

      »Ich bin nicht auf der Suche nach Morden, Chef. Ich brauche Veränderung.« Klopfer nickte.

      »›Variatio delectat‹, wie der alte Lateiner Gerhard Polt in einem seiner Sketche im schönsten Premium-Bayerisch deklamiert. Aber warum gehen Sie dann nicht gleich nach München?« Zweifel schüttelte den Kopf.

      »Ich will nach Augsburg zurück. Vor meiner Berliner Zeit hab ich dort ein paar Monate verbracht.« Er schloss kurz die Augen. »Und die habe ich in bester Erinnerung. Ich glaube einfach, dass das jetzt das Richtige für mich ist.«

      »Sie werden dort nicht so leicht eine vernünftige Wohnung finden.« Zweifel winkte ab.

      »Ach was, da mach ich mir keine Gedanken.« Er hatte aber sehr bald eingesehen, dass Klopfers Behauptung zutraf. Eher würden Störche auf dem Perlachturm nisten, als dass er ein passendes Nest in der Altstadt fände. Mit viel Glück bekam er den Zuschlag für eine winzige Zweizimmerwohnung unter dem Dach im alten Kern von Friedberg, direkt an der Stadtmauer. Das Wittelsbacher Schloss war nur einen kurzen Spaziergang entfernt. Von seinem Fenster aus hatte er freien Blick in Richtung Westen auf die Silhouette von Augsburg: den Hotelturm, im Volksmund Maiskolben genannt, die Ulrichs-Kirche, den Perlachturm samt Rathaus, den Gaskessel. Seine engste Mitarbeiterin, Melinda Zick, die er vom ersten Tag an Melzick genannt hatte, witterte die drohende Veränderung.

      »Gibts irgendwelche Neuigkeiten, die ich wissen müsste?«, hatte sie zwei Wochen später Lucy gefragt.

      »Was meinst du, Mel?«

      »Na, was meinen Chef betrifft, Lucy. Du hörst doch sonst immer das Gras wachsen.« Lucy zuckte mit den Schultern.

      »Was das angeht: Außer Rasenmähern und Laubbläsern hör ich nix mehr in letzter Zeit. Frag ihn doch einfach, deinen Chef.« Doch Zweifel kam ihr zuvor und sorgte für Klarheit, als er die beiden noch am gleichen Tag in sein Büro bat.

      »Der Fall Kronberger«, begann er und räusperte sich. Unvermutet verlor er den Faden, als er Lucy und Melzick in die Augen blickte.

      »Also — der Kronberger-Mord …« Melzick verschränkte die Arme und zog die Augenbrauen hoch. Lucy ahnte schon etwas und legte eine Hand auf den Mund. Zweifel ärgerte sich über seine plötzliche Unsicherheit und klatschte einmal in die Hände, was die beiden zusammenzucken ließ.

      »Um es kurz zu machen: Das war mein letzter Fall hier.« Melzick schluckte.

      »Was soll das heißen?«

      »Ich habe meine Versetzung beantragt. Ich gehe nach Augsburg.« Lucy schlug nun auch die zweite Hand vor den Mund.

      »Sie haben das wirklich ernst gemeint«, flüsterte sie.

      »Also hast du doch was gewusst«, stieß Melzick hervor. Lucy schaute sie aus großen Augen an und schüttelte den Kopf.

      »Er hat nur gesagt, er muss weg, mehr nicht, Mel. Und vorher hat er mir so ’nen Schreck eingejagt, dass die Flecken nie mehr rausgehen aus meinem Schreibtisch.«

      »Ich versteh kein Wort, Lucy. Und ich versteh überhaupt nur Bahnhof!«, rief Melzick und funkelte ihren Chef an. Der hob beschwichtigend beide Hände.

      »Da gibt es gar nicht viel zu verstehen. Lucy, erinnern Sie sich an meine Worte? Was hab ich gesagt, nachdem Sie Ihren Schreibtisch mit Kaffee überschwemmt hatten?« Lucy starrte ihn an und dachte nach.

      »Das ist vollkommen unmöglich.« Zweifel nickte.

      »Genau.«

      »Was ist unmöglich?«, wollte Melzick wissen. »Chef! Jetzt reden Sie doch mal Klartext!« Zweifel deutete mit beiden Händen vielsagend auf seinen Schreibtisch und auf den Rest seines Büros.

      »Sehen Sie sich das an. Können Sie sich vorstellen, dass ich noch fünfzehn Jahre an diesem Tisch in diesem Büro hocke?«

      »Klar!«, rief Melzick spontan. Zweifel lachte kurz auf.

      »Ganz ehrlich, Melzick«, er schüttelte den Kopf, »das glaub ich Ihnen nicht.« Lucy war schon ein Stückchen weiter.

      »Er hat Recht, Mel.« Melzick kratzte wild auf ihrem Kopf herum.

      »Aber, Herrgott nochmal, wer denkt denn so weit in die Zukunft? Ich denk höchstens bis zum nächsten Ersten.«

      »Das tu ich auch«, sagte Zweifel. »Am nächsten Ersten bin ich woanders und viel mehr weiß ich auch nicht.« Melzick schüttelte den Kopf. Sie ahnte, dass da nichts zu machen war. Außerdem fehlten ihr die Worte. Sie nahm Zweifels Entscheidung persönlich. Es war ein harter Schlag und sie wollte plötzlich nur noch weg. Ohne Lucy oder Zweifel auch nur eines Blickes zu würdigen, stürmte sie aus dem Büro. Eine wilde Wut schlug in ihrer Brust. Eine schwere Enttäuschung hatte sie im Genick gepackt. Sie brauchte frische Luft. Sie riss ihr Fahrrad aus dem Ständer, sprang auf und trat mit voller Kraft in die Pedale. Zweifel beobachtete sie aus dem Fenster seines Büros. Lucy stand neben ihm. Sie seufzte. Er drehte sich zu ihr um.

      »Sie wird schon drüber wegkommen«, brummte er und seine Stimme klang heiser. Lucy zuckte mit den Schultern.

      »Da wäre ich nicht so sicher.« Zweifel war immer noch unwohl beim Gedanken an diese Szene. Aber nichts konnte ihn von seinem Entschluss abbringen. Er griff nach der Flasche Wein, die er Lucy mitbringen wollte. Dabei war er so in Gedanken, dass sie ihm aus der Hand rutschte, auf den Boden knallte und in tausend Scherben zersprang. Lucys Worte kamen ihm in den Sinn:

      »Das muss bestraft werden.« Er fluchte laut, fischte die Scherben aus der Weinpfütze und warf sie in den Müll. Den Rest beseitigte er in aller Eile mit Papiertüchern. Er riss das Küchenfenster auf, schnappte seinen Schlüsselbund und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

      »Sie sind zu spät, Herr Kommissar«, begrüßte ihn Lucy, »das verschärft die Sache noch.«

      »Vielen Dank für die Einladung und die freundliche Begrüßung, Lucy. Welche Sache meinen Sie?« Lucy deutete mit einem soßenverschmierten Kochlöffel hinter sich.

      »Chili con Chili sin Carne.«

      »Mir schwant nichts Gutes«, erwiderte Zweifel und hielt ihr die Flasche Wein vor die Nase, die er noch rasch im Feinkostladen besorgt hatte. »Ist Melzick schon da?« Lucy nahm die Flasche entgegen, studierte das Etikett und meinte:

      »Sieht teuer aus. Zufall oder Absicht? Sie brauchen nicht zu antworten. Folgen Sie mir einfach, Herr Kommissar.« In der geräumigen Wohnküche war für zwei gedeckt. Zweifel schnupperte nach dem köstlichen Duft, der in der Luft lag.

      »Hab sie nicht eingeladen«, sagte Lucy beiläufig und rührte in der gusseisernen Pfanne, in der etwas sehr Scharfes vor sich hin köchelte. Zweifel setzte sich zwanglos an den Tisch.

      »Das