Da geht das Portal auf und Hauptmann di Modena verneigt sich vor ihnen. »Es ist alles bereit, Prinzessin Helena.«
»Sehr gut, Hauptmann di Modena. Meine Gäste fahren in einem Eurer Fahrzeuge mit und betreten den Palast durch den Bediensteteneingang.« Das letzte Wort spricht sie mit einem deutlichen Ekel in der Stimme aus.
»Wie Ihr wünscht, Prinzessin Helena.« Mario wagt es nur kurz, den Blick zu heben, als er zur Seite tritt und sie an ihm vorbei schreitet. Erst als sie ihm den Rücken zuwendet, sieht er sie an und erlaubt sich ein verstecktes Lächeln.
Jamon bemerkt es. Mit erhobener Augenbraue sieht er den braunhaarigen Mann an. Er fragt sich unwillkürlich, wie alt der Hauptmann wohl ist, wirkt er mit dem leichten Lächeln doch gleich viel jünger. In der Erwartung, dass sie auch gleich das Gebäude verlassen können, stellt er sich zu den anderen und beobachtet nun, wie Poniz nach draußen geht und in ein schlichtes graues Auto steigt.
Als di Modena ihnen das Zeichen gibt, treten sie durch das Portal in die kühle Morgenluft. Unwillkürlich sieht Jamon zum Sonnenaufgang, der das alte Hafenbecken von Ostia in feuriges Licht taucht.
»Wenn du das nur sehen könntest«, murmelt Jamon und schließt, von Sehnsucht überwältigt, für einen Moment die Augen. Um Beherrschung bemüht, legt er die Finger um den kleinen Phönix und atmet tief durch, ehe er in den schwarzen Minivan steigt und sich neben Seimon setzt.
Zu viert hocken sie im Fonds, während di Modena sich vorne neben den Fahrer setzt und Anweisungen gibt.
In Gedanken versunken sieht Jamon aus dem Fenster und fragt sich, was Kai wohl gerade macht. Steht er noch im Laden? Hat er ihn überhaupt geöffnet? Oder sitzt er mit Großvater und Nino am Mittagstisch? Hat Nino die Boxen schon gemistet und die Pferde gefüttert? Hat er dran gedacht, sie zu putzen und zu kraulen? Hat er den Hofplatz schon gefegt? Ein größer werdender Kloß in seinem Hals droht ihm den Atem zu nehmen. Er zwingt sich, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken und die vorwurfsvolle Stimme Yaris in seinem Innern zu ignorieren. Sieben Stunden Zeitunterschied liegen zwischen ihm und seinem Zuhause. Er kann nicht mal gleichzeitig mit seinem Sharik den Sonnenaufgang beobachten. Gepeinigt schließt er die Augen und öffnet sie erst wieder, als er eine Hand auf seinem Arm spürt.
Fragend blickt er zu Seimon, der ihn mit einem verständnisvollen Blick ansieht. »Ich weiß, es ist schwer, mein Pharao, aber glaubt mir, der Schmerz wird vergehen, sobald Ihr die Liebe Eures Volkes wieder spürt.«
Mit ernster Miene erwidert Jamon den Blick. Er weiß, dass es der alte Mann nur gut meint, aber im Moment helfen diese Worte ihm überhaupt nicht weiter. »Danke, Hohepriester«, erwidert er dennoch freundlich, ehe er wieder aus dem Fenster blickt. Jetzt kann er schon den Capitol mit dem Hügelpalast erkennen. Nicht der höchste Hügel, aber derjenige, der am weitesten von den Stadtteilen des einfachen Volkes entfernt liegt. »Macht Euch keine Sorgen um mich. Ich werde meine Pflicht erfüllen, wie Ihr es von mir erwartet.« Mit für ihn selbst überraschend fester Stimme spricht er die Worte aus, während sie durch die gewundene, von Olivenbäumen gesäumte Allee fahren, die direkt zum Palast führt, dessen goldene Dächer im Licht der Morgensonne glänzen.
Anders als die Limousine der Prinzessin fahren sie nicht durch das prunkvolle goldene Tor, sondern folgen einer schmaleren Seitenstraße bis zu einem unscheinbaren schmiedeeisernen Gitter, das sich wie durch Zauberhand öffnet, als sie sich ihm nähern. Im Schatten der riesigen im altrömischen Stil erbauten Gebäude fahren sie auf das Palastgelände zu und halten vor einer einfachen Tür aus Holz an.
Die Schiebetüren des Minivans werden geöffnet. Woraufhin sie mit vom Flug und der Fahrt steifen Gliedern aussteigen.
Leise knirscht der helle Kies unter ihren Füßen, als sie ein paar Schritte gehen. Die Motoren der Wagen werden kurz lauter, als sich die drei Autos wieder in Bewegung setzen und um die Ecke fahren. Das leise Zufallen des Tores lässt Jamon unwillkürlich zusammenzucken. Schlagartig fühlt er sich eingesperrt und es wird ihm jetzt noch mehr bewusst, dass er seinen geliebten Sharik nie wieder sehen wird. Für eine Sekunde erlaubt er sich, die Augen zu schließen, noch einmal zu fühlen, ehe er eine Maske der Undurchdringlichkeit, der pharaonischen Herrschaftlichkeit anlegt. Mit kühlem Blick sieht er sich noch einmal um, ehe er mit den anderen auf die nun geöffnete Tür zuschreitet, wo sie schon von Hauptmann di Modena erwartet werden. Abermals versetzt es ihm einen schmerzhaften Stich, als er den Palast betritt und sich die Tür mit messerscharfer Endgültigkeit hinter ihnen schließt.
Kapitel 3: Sehnsucht
Appetitlos stochert Kai in seinem Gulasch herum, das sein Großvater heute zum Mittagessen zubereitet hat. Immer wieder wandert sein Blick zu dem leeren Platz auf der anderen Seite des Tisches. Jedes Mal hofft ein törichter Teil seines Herzens, dass sein Liebster ihn anlächelt und ihn fragt, warum er denn so gerötete Augen hat. Doch der Stuhl bleibt natürlich leer …
»Kai, ich weiß, es ist hart, aber iss wenigstens ein paar Bissen.« Besorgt legt Ren eine Hand auf Kais Schulter. »Er würde nicht wollen, dass du vor lauter Kummer krank wirst.« Als sein Enkel nicht reagiert, seufzt Ren leise und steht auf. Er stellt sich neben Kai und nimmt ihn in den Arm. »Ich bin sicher, es geht ihm gut und er wird dir sicher schreiben, sobald es ihm möglich ist.« Auf einmal schlingen sich die Arme seines Enkels um ihn.
Kai schluchzt los: »Was ist, wenn es ihm nicht möglich ist? Wenn ihm etwas passiert ist?« Seine Stimme ist gedämpft, da er das Gesicht in Rens Oberteil vergräbt, dennoch ist die Verzweiflung deutlich zu hören. Gequält hebt er den Kopf und sieht Ren aus verweinten Augen an. »Wir würden es doch nie erfahren, wenn ihm etwas passiert ist, so wie das alles abgelaufen ist.«
Mit einem großväterlichen Lächeln streicht Ren sanft über Kais Wange. »Ich bin sicher, dass wir es erfahren würden. Denk dran, dass er dafür gesorgt hat, dass uns ein Medizimagus zur Seite steht. Denkst du nicht, dass der es erfahren würde, wenn ihm und den anderen etwas zustößt?« Obwohl auch er sich unglaubliche Sorgen um Jamon macht, lässt er seine Stimme zuversichtlich klingen.
Beschämt löst sich Kai aus Rens Armen. »Du hast bestimmt recht und ich sollte stark sein – so stark wie mein Liebster. Schließlich musste er gehen und …«
»Papperlapapp. Du hast jedes Recht zu weinen und ihn zu vermissen und dir zu wünschen, dass er wieder hier ist.« Mit sanfter Strenge sieht Ren seinen Enkel an. »Es ist alles ganz furchtbar gelaufen! Es ist eine riesige Ungerechtigkeit, was euch passiert ist, aber es lässt sich nicht ändern. Trauere, vermisse ihn, aber vergiss nicht zu leben! Stell dich in den Laden und lenke dich ab!«
Unwillkürlich schluckt Kai, als er sich auf die Lippen beißend nickt. »Ja, Großvater. Ich verspreche es dir.« Mühsam zwingt sich Kai zu einem zittrigen Lächeln. Er blickt auf seinen noch immer vollen Teller und schiebt ihn von sich. »Ich bin im Laden«, murmelt er und schlurft aus der Küche.
Verwirrt sieht Nino Kai nach. »Warum hast du das gemacht?«, wagt er vorsichtig zu fragen, vermeidet es jedoch, Ren dabei anzusehen. – So viel Mut hat er nun doch noch nicht. Als er Ren leise seufzen hört, sieht er mit gesenktem Kopf zu ihm.
»Ach, Nino … Wenn ich Kai jetzt nicht antreibe, dann verkriecht er sich in seinem Zimmer und kommt gar nicht mehr raus. Ich weiß ja, wie es ihm geht, und ich würde ihn gerne einfach trauern lassen, aber ich kenne ihn. Wenn ich ihn zu tief in das Loch fallen lasse, kommt er da kaum noch raus.« Bedrückt reibt sich Ren die Nasenwurzel. »Da ist er leider wie ich. Ich wäre damals fast im Schuldturm gelandet, weil ich mich nach Amaras Tod zu tief in das Loch habe fallen lassen. Wenn Kai nicht gewesen wäre, dann würden wir jetzt nicht hier sitzen.«
Mit großen Augen sieht Nino den alten Mann an. Er kann kaum glauben, was der starke Meister Mutsuo da sagt. Aber er wagt es nicht, weiter zu fragen. Er beißt sich auf die Lippen und sieht auf seinen Teller hinunter. Obwohl er keinen Hunger hat, isst er seine Portion auf und erhebt sich dann. »Wenn ich darf, gehe ich wieder in den Stall.«
Warm lächelt Ren den Jungen an. »Du musst nicht fragen, ob du in den Stall darfst. Geh ruhig und