»Seht ihr das Flugzeug da drüben? Da müssen wir hin. Es gibt hier einen Seiteneingang, an dem wir von einem Bediensteten der Prinzessin erwartet werden. Egal was passiert, der Pharao muss unter allen Umständen in den Flieger gelangen. Wir anderen sind entbehrlich. Habt ihr mich verstanden?« Eindringlich sieht er die jungen Leute an, die gebannt auf das Flugzeug starren.
Schließlich durchbricht Hazem die eingetretene Stille: »Das ist uns bewusst, alter Mann. Nun hört auf, große Reden zu schwingen. Wir müssen los.« Geschickt schnallt er sich ab und steigt mit der kleinen Toshi aus dem Wagen. Ungeduldig wartet er darauf, dass auch die anderen seinem Beispiel folgen.
Endlich stehen sie alle neben dem Auto im Schatten des Gebäudes, das jetzt als alter Hangar erkennbar ist. Hazem nickt Seimon zu, der sie daraufhin an der Mauer entlang zum Zaun führt.
Bis jetzt konnten sie sich im Schatten der Mauern halten, aber nun liegt eine freie Fläche vor ihnen, die von den Scheinwerfern auf dem Flugfeld erhellt wird. Schweigend sehen sie sich an, ehe sie gebückt losrennen, um das etwa hundert Meter entfernte Tor zu erreichen, wo sie schon von einem dunkel gekleideten Mann erwartet werden.
Kaum sind sie bei ihm, rennt auch er los. »Die Flughafenbehörden werden langsam ungeduldig«, ruft er. »Sie haben Patrouillen geschickt, die jeden Moment eintreffen können.«
Schon können sie die laufenden Turbinen des kleinen Privatjets hören, aber auch das Motorengeräusch von sich nähernden Fahrzeugen dringt durch die kühle Luft zu ihnen.
Als Anna stolpert, packt Jamon sie am Arm und stützt sie.
»Meister, lasst mich zurück. Wir sind unwichtig«, presst sie hervor.
Doch Jamon hört nicht auf sie, sondern zerrt sie nur grob weiter hinter sich her. »Nur noch ein paar Meter«, ruft er ihr durch den lauter werdenden Lärm der Turbinen zu, die auch Toshis Weinen inzwischen übertönen. Wann hat das Baby bloß angefangen zu schreien?
Auf der anderen Seite des Fliegers tauchen ein paar Fahrzeuge auf.
Sie hetzen die Treppe hinauf, wo sie schon von einem nervösen Bediensteten erwartet werden, der hastig die Tür hinter ihnen schließt, während weitere Helfer draußen die Treppe entfernen.
Zu Jamons Erstaunen ist das Flugzeug deutlich geräumiger, als es von außen gewirkt hat. Sie brauchen eine Weile, bis sie endlich ihre Plätze erreichen. Noch bevor sich alle angeschnallt haben, setzt sich das Flugzeug in Bewegung.
Unter den kalten, aber zugleich neugierigen Blicken der beiden bereits anwesenden Personen legt Hazem Anna den Gurt richtig an.
Missbilligend rümpft Prinzessin Helena die Nase. »Hohepriester Marukosu, Ihr habt mir nicht gesagt, dass euch eine Sklavin begleitet. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Laderaum erst nach eurem Eintreffen schließen lassen.« Vorwurfsvoll sieht sie den alten Mann an.
Dieser erwidert den Blick ruhig und hebt gleichzeitig beschwichtigend die Hand. »Prinzessin Helena, mir war nicht bewusst, dass auch eine Mutter mit Baby im Laderaum mitfliegen muss.« Er spricht ruhig und seine Miene verrät nichts darüber, was er von ihren Worten hält.
»Entweder überleben die Kinder den Aufenthalt im Laderaum oder nicht, so ist das Leben«, erwidert die Prinzessin spitz.
»Meine Sklavin und ihr Kind reisen auf keinen Fall im Laderaum mit. Ich bin für sie verantwortlich und ich habe entschieden, dass sie hier mit uns reisen!« Eiskalt sieht Hazem die schwarzhaarige Prinzessin des römischen Großreiches an, die nun tatsächlich für einen Moment zur Seite blickt.
»Ich wusste nicht, dass das Eure Sklavin ist. Und wer ist der Freigelassene, der neben Euch sitzt?«
Nun grinst Hazem wie ein Raubtier. »Sagt bloß, dass Ihr Euch nicht an Pharao Nesut-anch-Ra erinnert? Dabei war er doch damals extra bei eurem Vater, um über eure Vermählung zu verhandeln, sobald Ihr die Großjährigkeit erreicht habt.«
Der Flieger fährt eine scharfe Kurve und beschleunigt dann.
Helena lacht spitz auf. »Das ist ein guter Witz, Hoheit. Jeder weiß, dass der Pharao bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist.« Triumphierend sieht sie Hazem an, da von seinem Sitznachbarn nicht nur keine Reaktion kommt, sondern dieser auch noch mit gesenktem Kopf dasitzt. »Niemals würde der hochwohlgeborene Pharao mit demütig gesenktem Haupt dasitzen.«
Sofort ruckt Hazems Kopf herum. »Mein Pharao?«, spricht er ihn leise an und berührt ihn an der Hand.
Schlagartig zieht Jamon den Arm weg und krümmt sich leise wimmernd zusammen.
»Verdammt!«, flucht Seimon und beugt sich vor. »Mein Pharao, tief durchatmen. Sobald wir unsere Flughöhe erreicht haben, kann euch der persönliche Mediziner der Prinzessin etwas zur Beruhigung geben. Verzeiht, ich hätte vorher daran denken sollen.«
Verwirrt runzelt Prinzessin Helena die Stirn. »Was hat das zu bedeuten?«
»Prinzessin, der Pharao hat den Flugzeugabsturz überlebt und ist danach durch die Hölle gegangen. Das Trauma konnte er noch nicht verarbeiten und hat jetzt eine Panikattacke. Er braucht ein Beruhigungsmittel, aber wir müssen bis nach dem Start warten.«
Das Flugzeug rast nun mit Höchstgeschwindigkeit über die Startbahn und schüttelt die Insassen kräftig durch, dann ruckt es nach oben und hebt ab. Durch den starken Seitenwind kippt es leicht zur Seite, als es an Höhe gewinnt, und schlingert leicht, bis es sich wieder stabilisiert. Dann steigt es ruhig und steil nach oben.
Jamon ist noch blasser geworden und sein Herz rast. Er ringt nach Atem und doch will sein Körper den so dringend benötigten Sauerstoff nicht aufnehmen.
Der Flieger neigt sich wieder etwas nach vorne und der alte Mediziner Poniz eilt herbei, der bereits erkannt hat, wer sein neuer Patient ist. Er kniet vor Jamon nieder und raunt: »Ganz ruhig, gleich gehts Euch besser, mein Pharao.« Der grauhaarige Mann zieht eine Spritze auf und verabreicht sie Jamon mit routinierten Handgriffen. Dann misst er seinen Puls. Er wirft die Stirn in Falten und meint: »Wenn er sich nicht bald beruhigt, muss ich ihn sedieren.«
Seimon seufzt. »Vielleicht wäre das das Beste«, murmelt er. »Wenn ich dran denke, was er alles durchgemacht hat …« Als er ein leises Wimmern hört, blickt er zum Baby, doch es ist Anna, die leichenblass in ihrem Sitz hängt und ihr Baby an sich presst. »Könnt Ihr auch ihr ein Beruhigungsmittel geben? Nicht dass sie uns auch noch zusammenbricht.« Er widersteht dem Drang, mit den Augen zu rollen, und sagt freundlich: »Keine Angst, Mädchen. Fliegen ist deutlich sicherer als das Reisen mit der Kutsche.«
Poniz zieht mit verkniffener Miene eine weitere Spritze auf, ehe er sich wieder voll und ganz auf seinen Pharao konzentriert. »Was für eine Verschwendung des guten Mittels!«, brummt er, als er wieder den Puls an Jamons Handgelenk misst. »Er ist immer noch viel zu hoch. Ich betäube ihn, dann schläft er den Flug durch.«
»Ach, für den Pharao habt Ihr Medikamente, aber für eine verängstigte junge Frau, die für ihr Kind da sein muss, wollt Ihr nichts tun«, zischt Hazem mit blitzenden Augen.
»Hoheit, sie ist eine einfache Sklavin. Sie sind es nicht wert, dass man ihnen teure Medikamente gibt. Ich verstehe nicht, warum Ihr darauf besteht, dass sie hier sitzt und ein Beruhigungsmittel bekommt«, erwidert Poniz, während er ein Betäubungsmittel in Jamons Ader spritzt.
Mit jedem Wort, dass der Mediziner sagt, werden Hazems Augen schmaler. »Das Kind würde die Reise unten im Laderaum nicht überleben und ich habe keine Lust, stundenlang ein Baby von seiner Mutter zu trennen. Sie hat sich um ihr Kind zu kümmern und das kann sie nur, wenn sie voll da ist und nicht vor Angst erstarrt.« Mit jedem Wort wird seine Stimme schärfer und ist am Ende so schneidend, dass nicht nur Poniz erblasst, sondern auch die Prinzessin lieber schweigt, während sie ihn mit großen Augen ungläubig anstarrt. Kalt sieht Hazem erst den Mediziner und dann die Prinzessin an. »Starrt mich nicht so an. Das ist reine Kausalität. Manchmal ist es einfach sinnvoll, etwas in einen Sklaven zu investieren,