Hadrian hebt die Hand, um Seimon am Weitersprechen zu hindern. »Das ist ja gut und schön. Aber ich will wissen, was passiert ist! Diese Frage habt Ihr nicht beantwortet, Hohepriester!« Ungeduldig tippt er die Fingerspitzen gegeneinander.
»Es gibt Menschen, die wissen, was damals passiert ist«, hört Jamon sich nun sprechen. »Die Sklaven und der amtierende Pharao wissen Bescheid. Die Frage ist jedoch, ob die Sklaven noch leben. Immerhin sind inzwischen mehr als sechs Jahre vergangen.«
Irritiert runzelt Hadrian die Stirn. »Warum die Sklaven? Wie sollen die wissen, was wir entscheiden und was im Geheimen besprochen wird?«
Jamon lächelt milde. »Kaiser Hadrian … Die Sklaven sind, wie soll ich es sagen … unsichtbar. Sie werden nicht wahrgenommen, solange sie nicht direkt gebraucht werden oder bestraft werden müssen. Wisst Ihr zum Beispiel, wie viele Sklaven die Pflanzen im Garten mit Wasser besprühen?« Obwohl es ihm Mühe bereitet, sieht er den Kaiser direkt an, der unwillkürlich zum offenen Fenster blickt. »Warum sollte ich das wissen? Dafür ist mein Haus- und Hofmeister zuständig!«
Mit einem wissenden Gesichtsausdruck nickt Jamon. »Ja, aber wenn ein Sklave härter bestraft werden muss, werdet Ihr informiert. Dann taucht der Sklave aus dem Dunkel der Katakomben auf. Vorher habt Ihr ihn vermutlich nicht einmal wahrgenommen, wenn Ihr im Garten an ihm vorbeigegangen seid. Aus diesem Grund hören und sehen Sklaven deutlich mehr, als Euch bewusst ist.«
Mit einer nachdenklichen Miene reibt sich Hadrian das Kinn. »Ihr könntet recht haben«, gibt er widerwillig zu. »Ich achte wirklich nur selten darauf, ob sich ein Sklave in meiner Nähe befindet, wenn ich allein oder in Begleitung im Garten unterwegs bin.«
Ein Klopfen warnt sie vor, ehe sich die Tür öffnet und Hauptmann di Modena den Raum betritt. Tief verneigt er sich vor dem Kaiser und vor Jamon, ehe er sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen hinstellt. »Mein Kaiser. Ich sollte Euch an Euren Termin mit den Abgesandten aus den nördlichen Gebieten erinnern.«
»Danke, Hauptmann. Lasst sie in den grünen Audienzsaal bringen und dann informiert Hofmeister Catlan darüber, dass für unsere Gäste Räumlichkeiten im Westflügel hergerichtet werden müssen.«
»Wie Ihr wünscht, mein Kaiser.« Noch einmal verneigt er sich, bevor er, rückwärts den Raum verlassend, die Tür hinter sich schließt.
Hadrian seufzt. »Leider ist mein restlicher Tag mit Terminen ausgefüllt.« Majestätisch erhebt er sich aus seinem Sessel, woraufhin auch Jamon aufsteht, gefolgt von Hazem und Seimon. »Pharao Nesut-anch-Ra. Ich werde meine Termine so legen lassen, dass wir morgen in aller Ruhe miteinander sprechen können. Bis dahin ruht Euch aus und zögert nicht, meine Bediensteten und Sklaven in Anspruch zu nehmen. Natürlich seid Ihr, der Prinz und der Hohepriester meine Gäste.«
Jamon neigt wieder den Kopf. »Ihr habt unseren Dank. Mir ist bewusst, dass die Lage äußerst schwierig und angespannt ist. Jedoch bin ich sicher, dass wir mit vereinten Kräften eine Lösung finden werden.« Nun wieder mit hoch erhobenen Haupt, sieht er in die grauen Augen des Kaisers.
Dieser nickt noch einmal knapp und verlässt den Raum, ohne selbst die Tür öffnen zu müssen. Natürlich steht jederzeit ein Sklave bei jeder Tür, um sie für die kaiserliche Familie und ihre Gäste zu öffnen, wenn diese nicht von einem Diener begleitet werden.
Dies lässt Jamon schmunzeln. Ob dem Kaiser überhaupt bewusst ist, dass der Sklave vermutlich alles gehört hat? Plötzlich müde, lässt er sich wieder in den Sessel sinken und reibt sich die Nasenwurzel. Überdeutlich nimmt er die Präsenzen Seimons und Hazems wahr und würde sie am liebsten wegschicken.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, werden sie vom Hofmeister abgeholt und zu den Räumlichkeiten im Westflügel gebracht.
Dort wartet Anna schon auf sie. »Kommt, ich zeige Euch Eure Zimmer«, sagt sie und führt die Männer zu den Suiten, die durch das gemeinsame Wohnzimmer miteinander verbunden sind.
Von dem ganzen Prunk um sich herum nur noch abgestoßen, sucht sich Jamon kurzerhand das schlichteste Zimmer aus, das immer noch so groß wie die gesamte erste Etage der Mutsuos ist. Bevor er das Schlafzimmer betritt, lässt er sich von Anna seinen Korb zurückgeben. »Lasst mich nun bitte in Ruhe«, murmelt er und schließt die Tür hinter sich. Mit geschlossenen Augen lehnt er sich gegen das dunkle Holz, atmet bewusst ein und aus, ehe er sich strafft und den Korb auf den kleinen Schreibtisch stellt, der wie zu Hause am Fenster steht.
Mit einem sehnsüchtigen Lächeln greift er nach dem letzten belegten Brot und obwohl es inzwischen ziemlich trocken ist, genießt er jeden einzelnen Bissen. Während er isst, steht er vor dem Schreibtisch und blickt aus dem Fenster.
Nachdem er gegessen hat, legt er sich ins Bett und schläft schon nach ein paar Minuten erschöpft ein.
Kapitel 5: Offene Worte
Ein Geräusch weckt Jamon auf. Verwirrt von der Dunkelheit und dem ungewohnt weichen Bett liegt er bewegungslos da. Nur langsam kehrt die Erinnerung an die letzten beiden Tage zurück und mit ihr der Schmerz des Verlustes. Gepeinigt schließt er die Augen, reißt sie jedoch sofort wieder auf, als sich Bilder vor seinem inneren Auge zu formen beginnen.
Er hält es im Bett nicht mehr aus. Ruckartig schlägt er die Decke zurück und setzt sich auf. Als seine nackten Füße den Boden berühren, zuckt er im ersten Moment zurück, aber nicht weil der Steinboden kalt ist. – Die Platten sind warm, zu warm für seinen Geschmack, genauso wie das Zimmer für diese Jahreszeit einfach zu warm ist.
Automatisch sucht er nach dem Feuerstein und dem Eisen, um die Öllampe auf dem Nachttisch anzuzünden, doch ertasten seine Finger stattdessen einen Lichtschalter. Das plötzlich viel zu grelle Licht lässt ihn den Arm schützend vor die Augen reißen. Sein vor Schreck schlagartig schneller schlagendes Herz beruhigt sich nur langsam und erst, als sich auch sein Atem wieder normalisiert hat, senkt er den Arm und blickt zu der Lampe, die den Raum in ein künstlich warmes Licht taucht. »Du bist so ein Idiot, Jamon«, murrt er vor sich hin, als er aufsteht und rüber zum Fenster geht. Jetzt weiß er auch, was für Geräusche ihn geweckt haben: Die Blätter der Bäume unter seinem Fenster rauschen im Wind.
Vorsichtig steigt er auf den Schreibtisch und setzt sich dann seitlich ans Fenster gelehnt hin. Den Kopf an die kühle Scheibe legend, sieht er die Spiegelung seines Gesichts im Glas. »Du siehst so was von miserabel aus«, sagt er zu seinem Spiegelbild und grinst schief.
Jetzt fällt ihm das kaum hörbare Ticken der Uhr auf, die über dem kalten Kamin hängt. Sein Blick richtet sich auf die Zeiger. Er überlegt einen Moment, aber dann lächelt er traurig, als er wieder zum Fenster blickt. »Sharik, bei dir geht jetzt gerade die Sonne auf. Hat dich Großvater schon aus dem Bett geworfen? Oder Nino? Oder liegst du noch unter der Decke und verfluchst, dass die Sonne jetzt jeden Tag spürbar früher aufgeht?« Beim Gedanken, an das morgendliche Aufstehen mit seinem Sharik muss Jamon unwillkürlich lächeln.
***
Tatsächlich quält sich Kai in Izusan aus dem Bett und geht fröstelnd rüber zum Schreibtisch. Der Boden unter seinen Füßen ist eiskalt und die Luft ist auch nicht viel wärmer. Seit es tagsüber nicht mehr ganz so kalt ist, heizen sie nur noch die Küche, das Bad und den Laden. Die Zehen einrollend steht er am Tisch und sieht aus dem Fenster zum sich rot verfärbenden Himmel. »Liebster, geht bei dir auch gerade die Sonne auf oder herrscht bei dir tiefste Nacht und du liegst noch schlafend im Bett?« Die Hand in Richtung Fenster ausstreckend schließt er gepeinigt die Augen. »Du fehlst mir«, raunt Kai erstickt und schlägt sich die Hand vor den Mund. Er will jetzt nicht schon wieder weinen. Um Beherrschung ringend, greift er schniefend nach seinem Kleiderstapel, ehe er aus dem Zimmer eilt.
***
Ans Fenster gelehnt dasitzend, ist Jamon noch mal eingedöst. Als plötzlich ein Klopfen ertönt, schreckt er hoch und starrt zur Tür. Ein leicht bekleideter Sklave tritt ein und schließt die Tür hinter sich, ehe er sich niederwirft und mit