Im Spiegel meiner Seele. Christina Enders. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Enders
Издательство: Bookwire
Серия: New Yorker Upperclass
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195124
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sich aus ihrer Erstarrung und ging nach oben, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche und konnte hier endlich in sich zusammensinken. Die Hände über sich verschränkt, saß sie in ihrer Dusche und ließ das Wasser auf sich herab rauschen, was sie allmählich beruhigte und ihrer Seele guttat. Wollte im Grunde nie wieder aufstehen, einfach so verweilen. Doch das ging nicht, sie musste sich aus eigener Kraft aufraffen, aufstehen und das Wasser zudrehen. Schob ihren Körper in ihrem Bademantel und schlürfte zu ihrem Bett. Sie schob die Überdecke bei Seite und die Kissen purzelten nach unten. Unbeeindruckt davon schob sie sich noch halb nass in die Kissen, deckte sich zu und starrte an die Decke. Dachte an den Tag, der ihr Leben verändert hatte. Eigentlich hatten sie vor, ein Wochenende bei seinen Eltern zu verbringen. Diese lebten in Kanada, hatten ein Haus am Lake Matinenda. Auch wenn es erst März war, war es da zu jeder Jahreszeit wunderschön. Vor allem abgeschieden mitten von unberührter Natur.

      Ihr Mann war Produktdesigner und hatte seine eigene Agentur und eigentlich war er es immer, der oft Termine nicht einhalten konnte und zu spät kam. Doch auch sie wurde ab und zu von ihrer Arbeit vereinnahmt und zahlte prompt mit ihrer Familie dafür. Sie hatte sie allein losgeschickt, wollte später nachkommen, doch ein Später gab es nicht. Drehte sie sich in die Kissen und Tränen liefen ihr vom Gesicht. Das letzte Wort, das sie mit ihrem Mann gewechselte hatte, war ein Fluchen, sie hätten niemals im Streit auseinandergehen dürfen.

      Doch sie fand es ungerecht, dass sie für sein Zuspätkommen immer Verständnis haben musste, sie dagegen sich ständig zu rechtfertigen hatte. Doch schon als das Geschäftsessen vorbei war und sie allein nach Hause fuhr, um ihre Sachen zu holen, beschlich sie ein ungutes Gefühl, sie konnte Ben nicht erreichen und auf dem Highway ging es plötzlich nur noch schleppend voran. Bevor sie eine ganze Nacht auf der Autobahn verbringen würde, nahm sie die nächste Ausfahrt zurück nach Hause, hörte im Radio, dass es eine Massenkarambolage gegeben hatte, dass ein Lkw, der Fässer geladen hatte, diese verloren und so eine Katastrophe ausgelöst hatte. Immer wieder versuchte sie, Ben zu erreichen, bis ihr Handy klingelte und das Krankenhaus am Telefon war. Sie saß noch im Auto, als sie diese Nachricht erreichte. Augenblicklich drehte sie sich um und fuhr wie in Trance in Richtung Clinic, war noch voller Hoffnung, dass nicht alles vorbei war und dann, stand sie ohne Vorwarnung vor zwei abgedeckte Körper, die sie zur Identifizierung freigeben sollte. Mommy hab dich lieb, klang es noch in ihren Ohren und im nächsten Augenblick war alles vorbei. Sie schob sich aus der Decke, stand auf und ging zum Fenster, machte es auf, nahm ein Hieb kalte Luft, ging in ihr Badezimmer, schob sich auf ihre Toilette und zog sich anschließend ihren Bademantel aus, um in ihren flauschigen Schlafanzug zu steigen. Stoffe konnten manchmal was warm umschmeichelnd, tröstendes haben. Sie schaute zu ihrem leeren Bett und ein Schauer umspannte sie. Ging in ihren Nachtschrank und holte den Riegel Beruhigungstabletten heraus, für den Notfall, dass sie nicht zur Ruhe kommen, hatte der Arzt im Krankenhaus gesagt. Sie drückte sich zwei heraus, weil es eh nur ein Naturpräparat war und keinen wirklichen Schaden anrichten konnte, vielleicht aber für etwas Ruhe in ihren Geist sorgen würde. Nahm anschließend ihre Bettdecke und lief nach unten, schob die Tür zum Garten auf und lief in die kalte, klare Nacht nach draußen und setzte sich auf die Hollywoodschaukel, schob die Decke über sich und bewegte sich darauf monoton. Qui Qua, Qui Qua war das einzige Geräusch, was die Schaukel machte. Eigentlich wollte Ben die Schaukel ölen, weil die Nachbarn sich schon einmal über das laute Geräusch beschwert hatten, doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Irgendwann schob sie sich ganz auf die Schaukel und schlief ein, wachte erst auf, als es hell wurde und sie von einem steifen Nacken zusammenzuckte. Innerlich zerstört und äußerlich fast erfroren, ging sie in ihr Badezimmer zurück. Schaute in den Spiegel. Ihre Haare lagen wie ein unwirsches Gestrüpp um ihren Kopf, eigentlich hatte sie wunderschönes glänzendes, brünettes Haar, was einen kleinen Schimmer von Rotanteilen hatte. Es war ihre Naturfarbe, leichte Wellen zeigten sich, wenn sie es glatt föhnte, nur wenn sie in den Regen kam, neigte es dazu, stumpf zu werden und zu kräuseln. So wenig Interesse, wie sie ihm gestern geschenkt hatte, konnte es sich nur rächen. Da half nicht mal eine Bürste. Sie schaute zur Badewanne. Vielleicht war es gut, ihren eiskalten, durchfrorenen Körper da einzutauchen. Im Grunde war es eine schlechte Idee gewesen, sich bei dieser Jahreszeit draußen auf der Hollywoodschaukel aufzuhalten und einzuschlafen. Wenn sie Pech hatte, hatte sie sich jetzt noch eine fiese Erkältung geholt.

      Sie öffnete den Wasserhahn und schaute dem Plätschern zu, gab Schaum hinein und etwas von dem duftenden Bade-Öl. Anschließend tauchte sie ihren Körper ins Wasser und fand es gut, mitten im Schaum zu verschwinden. Tauchte anschließend ab und fragte sich, was würde passieren, wenn sie einfach die Luft anhielt und nicht mehr auftauchte. Das hielt sie einen Moment aus und zog es durch, bis sie schnappend wieder auftauchte. Eine Badeleiche war kein schöner Anblick, das sollte sie sich ersparen. Also wischte sie den Schaum von sich und zog den Stöpsel. Schob sich aus der Wanne hoch, trocknete sich ab, föhnte sich das Haar und zog sich an. Schaute anschließend auf ihr Smartphone. Keine Nachrichten, die Welt vermisste sie nicht, dachte sie und ging nach unten in ihre Küche. Als Erstes sah sie den blauen Schal ihrer Mutter, er hing noch über dem Küchenstuhl. Sie nahm ihn in der Hand, sah den Zettel Kaschmir 100 Prozent. Ein Geschenk von Ralfi, hatte sie es in den Ohren. Nahm den Schal und brachte ihn augenblicklich nach draußen und stopfte ihn in die Mülltonne. Glaubte ihre Mutter wirklich, sie hatte Nerven für ihren dummen Schal? Stimmt, normalerweise würde sie ihn pflichtschuldig zusammenrollen, ein kleines Päckchen im Keller suchen gehen, ihn einpacken und sofort zur Post bringen. Doch das war die Person, bevor sie ihre Familie verloren hatte, jetzt war alles aus dem Gleichgewicht geraten und nichts war mehr, so wie es einmal war. Sie machte sich einen Kaffee und setzte sich mit ihrem Becher auf die Fensterbank, schaute rüber zu der Schaukel, die sich im Wind bewegte und verlor sich in einem Tagtraum. Toby, ihr kleiner Sohn tobte in der Sonne umher, lachte und kreischte. Ben schubste ihn auf der Schaukel an. Toby konnte es nicht hoch genug gehen. Ben blickte sie mit seinen unverschämt schönen Augen an und lächelte. Alles war gut, sie wurde geliebt. Bis sie aus ihrem Traum herausgerissen wurde, weil es an der Tür klingelte. Sie stand auf, ging zur Tür und sah ihre beste Freundin Sam, eigentlich Samira aber keiner nannte sie mit ihren vollen Namen. Sie hatte ein Päckchen von ihren Lieblingsthailänder in der Hand. Essen, an Essen hatte sie bisher nicht gedacht.

      «Ich bin mir sicher, dass du heute noch nichts gegessen hast.»

      Sjena lächelte, «stimmt …»

      «Ach und dein Briefkasten hier, bettelt wohl auch um Erlösung.»

      Sjena schüttelte mit dem Kopf und machte ihn auf und eine Menge Briefe kamen ihr entgegen. Alles Beileidsbekundungen, die es nicht geschafft hatten, persönlich zur Beerdigung zu kommen. Dass man heute doch noch so viel Briefe schrieb, überraschte sie. Noch nie war ihr Briefkasten so voll gewesen. Aber sicher auch eine Methode, um nicht weiter kommunizieren zu müssen.

      Sie schmiss den Haufen Briefe auf dem Stapel der alten Post und ging mit Sam in die Küche.

      «Du schaust dir die Briefe schon noch an, oder?»

      «Wozu?»

      «Na ja, der ein oder andere wird sicherlich auch etwas Geld beigefügt haben. Außerdem solltest du eine Liste machen von den Namen, die dir, was geschickt haben, damit du dich bedanken kannst.»

      «Wofür bedanken?»

      «Dass alle an dich denken?»

      «Echt jetzt Sam, seit wann bist du so spießig.»

      «Das macht man doch so …»

      «Wenn du meinst, dann kannst du die Briefe nach Geld durchschnüffeln, aber eine Liste werde ich ganz sicher nicht machen.» Sie öffnete die lecker, duftenden Päckchen und schubst die gebratenen Nudeln mit knusprigen Hühnchen und die Wan Tan’s mit süßsaurer Soße auf den Teller und reichte Sam das Besteck.

      Sie aßen kurz ohne Worte, was für Sjena irgendwie beruhigend war. Doch Sam durchbrach die Stille. «Was wirst du jetzt tun, im Büro fragen sie nach dir, kommst du zurück?»

      «Nein, das glaube ich nicht. Ich weiß es nicht, Sam, aber jetzt einfach, so weiter machen, das kann ich nicht.» Sie blickte auf ihren Teller, drehte ihre Gabel, legte sie ab und blickt wieder auf. «Wie war eigentlich dein Pitch, wieso