Abgelenkt. Adam Wutkowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adam Wutkowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738020281
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musst auch schon ordentlich gegen drücken.» gibt mir mein Vater den Rat.

      «Das habe ich auch.» erwidere ich. «Warte, ich versuche es noch einmal.»

      Von Verzweiflung und Angst getrieben, bloß keinen Wutausbruch meines Vaters über mich ergehen lassen zu müssen. Drücke ich mit aller Kraft gegen das Blechstück, bis meine Fingerkuppel anfangen weh zu tun. Aber es hilft alles nichts. Egal was ich mache, das Blechstück hält nicht.

      «Bist du da endlich fertig?» fragt mein Vater schließlich in einem gereizten Ton.

      Den Tränen nah, erwidere ich halb verzweifelt: «Das Blechstück hält nicht. Egal wie sehr ich mich auch bemühe. Ich…»

      «Komm da raus!» ertönt schließlich donnernd seine Stimme. «Alles muss man selbst machen. Sogar zum Festkleben eines Blechstücks taugt der Junge nicht.»

      «Ich habe…» setze ich an, als ich unter dem Auto heraus krieche.

      «Geh lieber!» unterbricht mein Vater mich und winkt, wie so oft wenn er von etwas oder jemanden nichts hält, mit der Hand abschätzig.

      Diese Geste sagt mehr als tausend Worte.

      «Ich…» versuche ich von neuen, werde aber sogleich unterbrochen.

      «Du bist genauso unfähig wie dein Onkel Bruno. Zu nichts zu gebrauchen.»

      Langsam trete ich einen Schritt zurück. Im Kopf eine Stimme sagend: «Ich wollte doch… »

      Neben dem Gefühl der Enttäuschung breitet sich Verzweiflung in mir aus.

      Mit geröteten Augen und Zorn erfüllten Gesicht laufe ich zum Fahrrad. Ziehe es vom Fahrradständer, schwinge mich auf den Sattel und fahre los. Weg. Einfach nur weg. Das ist das Einzige, was ich nur will.

      Auf dem Fahrrad sitzend, die Straße herunterfahrend, spiele ich das Geschehene noch einmal vor dem geistigen Auge ab und lasse Zweifel an meiner Person hervorkommen. Hab ich mich einfach nur zu wenig bemüht? Hätte ich doch noch mit mehr Kraft gegen drücken sollen? Bin ich wirklich unfähig ein Blechstück an einen Auspuff zu kleben? Dieses verdammte Auto. Musste es auch unbedingt kaputt gehen! Wieso hab ich immer so ein Pech? Wieso ich? Warum…

      «Hey, da bist du ja. Hast es doch noch geschafft vorbeizukommen.» erklingt plötzlich die Stimme von Sebastian.

      Unsicher schaue ich mich um. Der Sportplatz. Wie lange bin ich in meinen Gedanken versunken herum gefahren?

      «Hallo.» gebe ich schließlich kurz von mir, die Tränen wegwischend.

      «Alles in Ordnung bei dir?» fragt Sebastian ein wenig unsicher.

      «Ja. Ja. Alles bestens. Hatte nur etwas Stress mit meinem Vater.»

      «Oh.» gibt Sebastian zurück. «Verstehe. Wenn du nicht willst, dann brauchst du nicht, mit uns hier zu spielen. Du kannst…»

      «Nein. Nein. Ist schon in Ordnung. Komm! Lass uns spielen!» fordere ich Sebastian auf.

      «Ich muss zugeben,» beginnt Sebastian vorsichtig, «dass ich überrascht bin, dich hier zu sehen.» und beendet den Satz kleinlaut, so als ob er bedauert, dass er das Thema überhaupt angesprochen hat.

      «Wieso?» frage ich neugierig.

      «Na ja. Ach ist auch egal.» gibt er von sich, «Lass uns einfach spielen!» und versucht im nächsten Augenblick vom Thema abzulenken.

      «Nein, Nein. Du hast damit angefangen und nun will ich es wissen! Komm sag es. Wir sind doch Freunde! Oder nicht?»

      «Ach es ist nur so. In der letzten Zeit hast du öfters davon gesprochen, dass wir wieder das eine oder das andere unternehmen sollten. Aber am Ende ist dir immer etwas dazwischen gekommen. Hier eine Sendung, da ein Computerspiel, hier eine Verabredung. Da hab ich einfach nicht mehr daran geglaubt, dass du vorbeikommst. Entschuldige. Aber in der letzten Zeit da hatte man das Gefühl, dass du mehr an einer fiktiven Welt interessiert warst, als an der Realen.» antwortet Sebastian verlegend, den Augenkontakt meidend. «Aber,» beginnt er von Neuem, diesmal in mein Gesicht schauend, und mit einem Lächeln auf den Lippen, «vielleicht sehe ich das einfach nur etwas zu einseitig. Auf jeden Fall freue ich mich, dass du hier bist.»

      Die Worte von Sebastian, egal wie sie gemeint waren, erzielen ihre Wirkung. In diesem Moment wird mir bewusst, dass Sebastian Recht hat. Ich war in der letzten Zeit wirklich wie ausgewechselt. Alle merkten es, nur ich selbst nicht. Die Schule wurde zu einer Nebensache. Die meiste Zeit meines Tages verbrachte ich vor dem Computer. Spielte Kriegsspiele, Strategiespiele usw.

      «Dabei übernahm ich jede Rolle, nur nicht die meine» fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

      Ich saß vor dem Fernseher oder Computer und nahm an den fiktiven Handlungen von nicht realen Charakteren teil.

      «Dabei lebte ich in jeder Welt, nur nicht in der meinen.» fällt es mir erneut wie Schuppen von den Augen.

      Ich war Kane. Aber Kane ist nicht real und nun stehe ich da. Fast hätte ich die reale Welt um mich herum vergessen und wäre ein Teil einer Ersatzwelt geworden.

      Noch vor ein paar Tagen da redete ich mit Freunden über Sebastian und seine Eltern und urteilte über sie in einer abschätzigen Art und Weise.

      Und nun stehe ich hier und Sebastians Worte holen mich in die Wirklichkeit zurück. Nein! Er ist nicht der Trottel, der nervt. Nein. Wir sind die Dummköpfe, die sich in einer Welt verfangen, die nicht real ist.

      Gestern bei dem Besuch von meiner Klassenlehrerin, da überkam mich ein Gefühl, dessen Bedeutung ich nicht verstand. Ein Gefühl, das mir sagte, dass etwas nicht stimmt. Doch jetzt in diesem Moment begreife ich erst, welchen Ursprung dieses Gefühl hatte.

      Ich weiß nicht, wie lange ich mit Sebastian, Tim und Hauke zusammen Basketball spielte, aber es tat gut und es entspannte mich. Bei dem Spiel fiel mir jedoch noch eine weitere Sache auf. Die Süßigkeiten, die ich abends so gern vor dem Fernseher oder dem Computer naschte, machen mich träge. Und das fiel auch den anderen auf.

      Gegen 18 Uhr löst sich unsere kleine Spielgruppe auf dem Sportplatz auf. Sebastian und ich nehmen denselben Weg nach Hause. Aufgrund unserer körperlichen Erschöpfung wechseln wir kaum ein Wort. Erst kurz vor meiner Haustür drehe ich mich zu Sebastian um und frage: «Was machst du heute Abend noch?»

      «Meine Eltern und ich, wir fahren zu einem Musical.» antwortet dieser, fügt aber hastig hinzu: «Aber Morgen habe ich noch nichts vor. Wenn du Lust hast, können wir etwas unternehmen?»

      «Super. Ich melde mich Morgen dann bei dir.» antworte ich.

      Anschließend setzt Sebastian seinen Weg fort, während ich mich auf den Weg zu der Eingangstür unserer Mietswohnung mache. Kaum dass ich die Haustür ein Stück offen habe, da steht auch schon meine Mutter vor mir.

      «Ach, da bist du ja.» gibt meine Mutter sichtlich erleichtert von sich. «Wo bist du gewesen?»

      «Auf dem Sportplatz. Hab mit Sebastian und ein paar Freunden Basketball gespielt.»

      «Bei dieser Kälte?»

      «Mama.» antworte ich. «Es sind 7 Grad draußen. Globale Erwärmung.»

      «Schon gut, schon gut!» höre ich meine Mutter hastig einlenken. «Das Essen ist fertig! Kommst du auch?» fragt sie mit einem flehenden Gesichtsausdruck.

      «Ja. Ich muss mich aber vorher noch etwas frisch machen.» erwidere ich und gehe so gleich ins Badezimmer.

      In der Küche angekommen, erblicke ich meinen Vater am Esstisch sitzen.

      «Na wie geht’s?» richtet mein Vater freundlich das Wort an mich.

      «Bestens!» antworte ich knapp und ignoriere ihn anschließend.

      «Hm.» gibt er brummend von sich und konzentriert sich wieder auf seinen Teller.

      Nach dem Essen mache ich mich auf ins Badezimmer, um mich erst einmal richtig abzuduschen. Anschließend gehe ich in mein Zimmer und lege