„Nicht auszudenken, wenn Filou in einem Kochtopf gelandet wäre“, bekräftigte er die Worte der Baronetess und zählte im Kopf die Pfundnoten mit, die sie ihm auf den Schreibtisch legte. Der Auftrag war einfach und lukrativ gewesen. Außerdem hatte John ein paar Zusatzposten berechnet, um die Besitzer der Garküche für die Beherbergung und Beköstigung Filous sowie die entgegengebrachten Beschuldigungen zu entschädigen.
„Sie leisten wundervolle Arbeit. Ich habe einige Freundinnen, denen ihre Lieblinge abhandengekommen sind und werde Sie weiterempfehlen, Mr. Maddock.“
Sich als Privatdetektiv für verschwundene Haustiere etabliert zu haben, war für John Fluch und Segen zugleich. Einerseits war seine Tätigkeit krisensicher, denn es gab unzählige ältliche Damen, die ihre Haustiere als Kindersatz in einer längst zur Gewohnheit gewordenen Ehe nutzten und sie mit ihrer Liebe fast erdrückten. Da wunderte es kaum, dass die armen Tiere jede Gelegenheit nutzen, der gut gemeinten Umklammerung ihrer Besitzerinnen zu entkommen.
Die Baronetess erhob sich von ihrem Stuhl, der ächzend seine Erleichterung kundtat.
Mit Filou auf dem Arm, der noch immer zitterte, ging sie Richtung Tür und verabschiedete sich mit einem wohlwollenden Nicken von John, während dieser sich fragte, ob das Zittern des Hündchens rassebedingt war oder von der Aussicht herrührte, in sein altes Leben zurückzukehren. John war sich ziemlich sicher, dass es Filou in der Garküche gut gefallen hatte. Die Menschen waren freundlich zu ihm gewesen – und das Wichtigste: Sie hatten ihn wie einen Hund behandelt und nicht wie einen lebendigen Dekorationsartikel. „Ich frage mich, wie du diesen winzigen Hund in der Garküche gefunden hast“, wandte sich John an Sir Tiny, sobald die Baronetess fort war. „Manchmal denke ich wirklich, dass ihr euch untereinander unterhaltet. Sogar du und Miss Kitty. Auch wenn Patricia das als Unsinn abtut.“
Als hätte Sir Tiny seine Worte verstanden, bellte er in einem tiefen Bariton, erhob sich von seinem Platz, und kam schwanzwedelnd zu John, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. Zugegeben – Sir Tiny war vielleicht nicht das, was man von einem Hund seiner Rasse erwartete … weder Furcht einflößend noch schien er sich seiner Größe wirklich bewusst zu sein. Aber die entlaufenen Haustiere vertrauten ihm, und das war für Johns Detektei fast wie ein Jackpotgewinn.
Sir Tiny sah ihn erwartungsvoll an, und John zog einen von Fatimas selbst gebackenen Hundekeksen aus der Hosentasche.
„Den Rest deines Honorars bekommst du heute Abend“, versprach John und stopfte sich die Pfundnoten in die Tasche seines Panama-Anzugs. Heute konnte er die Detektei etwas früher schließen und sich einen neuen Hut kaufen, nachdem das garstige Katzenvieh den letzten mit ihren Krallen zerfetzt hatte. Außerdem musste er etwas für sein niedergetrampeltes Selbstwertgefühl tun.
John warf einen Blick in den Spiegel. Der Anzug stand ihm ausgesprochen gut, wie er fand. Ohnehin hatte sich sein Leben in den letzten zwei Monaten mehr als verbessert. Seit er Patricia getroffen hatte, bemühte er sich, ehrlich und anständig zu sein – zumindest für seine Verhältnisse. Trotzdem nagte das erneute Scheitern vor Patricias Schlafzimmertür nach dem Silvesterball vorgestern Abend an ihm. Noch immer hatte sie ihm die Sache mit dem Kostüm nicht verziehen.
Aber John wollte sich den Tag nicht mit düsteren Gedanken verderben. Außerdem konnte er sich Besseres vorstellen, als in seinem zugegebenermaßen deutlich komfortableren Büro als dem Rattenloch, das er von Rashad gemietet hatte, auf eine neue Kundin zu warten. Zu viele Pflichten waren auf Dauer erdrückend, und dafür war er nicht geschaffen.
„Sollen wir ein wenig Kairo unsicher machen?“
Die Dogge sprang auf, als hätte sie seine Worte verstanden.
Gerade als John die Tür öffnete, stand überraschend eine neue Kundin davor. Er zuckte vor der Frau zurück, die ihr Gesicht hinter einem schwarzen Hutschleier verbarg, besann sich dann jedoch auf seinen Geschäftssinn und setzte sein gewinnendes John-Maddock-Lächeln auf. „Willkommen in der Detektei Maddock. Wir garantieren eine hundertprozentige Erfolgsquote“, leierte er seinen Werbespruch herunter. Das war es dann wohl mit dem freien Tag. Andererseits … zu ein paar Pfundnoten sagte er nicht Nein. Vielleicht wären dann zum Hut noch ein paar neue Schuhe im Budget.
„Womit kann ich Ihnen helfen?“ Die verschleierte Dame machte keine Anstalten, zu antworten. Vielleicht hatte sie vor Kurzem jemanden verloren? Warum sonst der dunkle Schleier vor dem Hut, der sie wie eine Gestalt aus einer dieser Gruselgeschichten aussehen ließ, die sich Damen abends in geselliger Runde erzählten?
Endlich kam Leben in die schwarze Gestalt. „Ha! Meine Tarnung scheint zu funktionieren. Ich hatte schon befürchtet, jemand würde mich auf dem Weg hierher erkennen.“
Die Stimme kam John vertraut vor, aber er erkannte Gräfin Walburga erst, als sie ihren Hutschleier lüftete. „Gräfin Walburga?“
Mit einer resoluten Bewegung, schob die Gräfin John beiseite und schloss dann die Tür hinter ihnen.
„Für Sie Walli! Haben Sie vergessen, dass wir auf dem Silvesterball Brüderschaft getrunken haben?“
John erinnerte sich vage daran, dass der Silvesterball zu späterer Stunde etwas überschwänglich geworden war. Der Champagner hatte ihm zugesetzt, genau wie der Gräfin und dem General. Sogar Patricia hatte ein paar Gläser zu viel gehabt. John entsann sich, dass sie sich irgendwann wie alte Freunde in den Armen gelegen hatten. Allerdings war er nicht davon ausgegangen, dass sich diese Freundschaft über einen Champagnerrausch hinaus erstrecken würde.
„Ich brauche Ihre Hilfe, John! Sie haben doch auf dem Silvesterball erzählt, dass Sie Privatdetektiv sind.“
„Ja ...“, antwortete John zögerlich, weil er sich beim besten Willen nicht mehr genau daran erinnern konnte, was er so alles von sich gegeben hatte. „Wunderbar, denn ich habe einen Auftrag für Sie!“
Ohne Aufforderung nahm Walli auf dem Stuhl Platz, der erneut gequält aufächzte, und tätschelte Sir Tiny nebenbei den Kopf. Er war zu ihr getrabt, in der Hoffnung, die Gräfin hätte etwas Essbares für ihn dabei.
„Was für ein netter Hund.“ Auffordernd tippte Walli mit dem Finger auf die Schreibtischplatte, damit John sich ebenfalls setzte.
John folgte der Aufforderung. „Wie kann ich Ihnen helfen? Vermissen Sie Ihren Hund?“
Sie hob die Brauen. „Nein! Ich vermisse Huddi!“
„Den General? Aber er war doch vorgestern noch auf dem Silvesterball.“
„Oh, ja. Das war eine gelungene Silvesterfeier, oder?“ Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, nur um gleich wieder einer finsteren Miene zu weichen. „Und gestern wurde mein Huddi entführt!“
Wer konnte ein Interesse daran haben, den General zu entführen … und warum? „Wäre es da nicht besser, Sie gingen gleich zur örtlichen Gendarmerie?“
Entschlossen schüttelte die Gräfin den Kopf. „Das geht nicht. Der General wurde aus dem Lotusgarten entführt. Es hat mich bereits eine Menge Bakschisch gekostet, die Damen zum Schweigen zu verpflichten. Besonders diese Madame Mona war schwer zufriedenzustellen.“
„Ich verstehe.“ John dachte daran, wie viel Geld die gewiefte Geschäftsfrau ihm bereits aus der Tasche gezogen hatte. Dann erst wurde ihm die Tragweite von Wallis Worten bewusst. „Der General war im Lotusgarten? Und Sie … ich meine, Sie wussten davon?“
Ihr Blick zeigte nicht die geringste Scham. „Nun hören Sie mal, John! Huddi und ich sind fast fünfzig Jahre verheiratet, und die Kunst einer glücklichen Ehe basiert auf Arrangements. Wir schätzen uns gegenseitig und lassen uns unsere Freiheiten. Allerdings feiern wir, wie Sie wissen, in zwei Wochen unsere Goldene Hochzeit. Es werden viele Gäste kommen, auch Huddis Militärfreunde, dazu wichtige Persönlichkeiten aus Politik und Adel. Ich kann denen ja kaum erzählen, dass die Hochzeit nicht stattfindet, weil Huddi aus einem Etablissement der Sünde entführt