Sie nickte. „Ich hatte eine wichtige Sitzung, die ich leider nicht verschieben konnte.“
Krüger war leicht verlegen. „Ja dann, Frau Schultheß, muss ich doch noch einmal nachfragen. Wie sicher sind Sie sich mit der Identifizierung der Toten? Wahrscheinlich, möglich, oder ziemlich sicher? Was würden Sie denn als passend bezeichnen?“
„Wenn Sie so fragen, dann, ja, möglich.“
„Vielen Dank, Frau Schultheß“, brummte Krüger, „das wäre für den Moment alles!“
Die Leiterin brachte ihre Besucher noch zu Tür. Nina wartete, bis sie einen sicheren Abstand erreicht hatten. „Haben wir jetzt eine Spur, Chef, oder nicht?“
Krüger lachte kurz auf, „Wenn ich das wüsste, Frau Böhringer. Wir suchen natürlich weiter. Irgendjemand sonst müsste das Paar auch noch gesehen haben. Abendessen, Übernachtung…“
„Dann müssen wir den ganzen Ort abklappern?“
„Nein, das überlassen wir den Beamten vor Ort. Wir kümmern uns zuerst um die Anschrift. Sobald wir zurück im Büro sind, können Sie loslegen, Frau Böhringer.“
Nina nickte. „Ja, Chef!“
Als Erstes versuchte es Nina mit der Telefonnummer, die sie von Frau Schultheß erhalten hatte. Der Mann, der sich meldete, wollte weder von einem Pflegeheim noch von einer Frau Erna Schneider jemals gehört haben. Nachfragen konnte sie nicht, die Leitung wurde unterbrochen und danach war niemand mehr zu erreichen.
***
Zwei Tage dauerte es, bis Nina die Adresse des Mannes ausfindig gemacht hatte. Auf gutes Glück fuhr sie hin. Die Identität von Erna Schneider war inzwischen vom Pfarrer und weiteren Trauergästen zweifelsfrei bestätigt worden.
Ein freistehendes Einfamilienhaus, am Briefkasten stand der Name L. Schneider. Verschiedenes Baumaterial lagerte in der Einfahrt. Das Geräusch einer Maschine ließ darauf schließen, dass im Haus gearbeitet wurde.
Nina klingelte zweimal kurz hintereinander. Die Maschine verstummte, stattdessen schlurfende Schritte, dann schwang die Tür auf. Ein mürrisch wirkender Kerl erschien, der sie von oben bis unten musterte. „Was ist denn los?“, fragte er.
Nina trat einen Schritt zurück. „Sind Sie Herr Schneider?“
Sie erklärte ihm kurz die Fakten, dass Erna Schneider kurz nach der Beerdigung ihrer Schwester, die im Pflegeheim Grenzach gelebt hatte, tot aufgefunden worden war.
Sie sei mit ihrem Mann angereist, das hatte die Heimleiterin ausgesagt.
„Ich war seit mindestens sechs Jahren nicht mehr in Grenzach“, erwiderte Lukas Schneider darauf.
„Das ist doch ihre Frau“, beharrte sie, „weshalb bestreiten Sie das?“ Nina klopfte nachdrücklich auf das Foto, das sie ihm vorgelegt hatte.
Er zuckte mit den Schultern. „Diese Frau ist mir völlig unbekannt.“
„Sie sind mit ihr verheiratet, Herr Schneider“, fauchte Nina, „das kann ich beweisen!“
Er konnte ein Lächeln nicht verkneifen. „Beweisen“, wiederholte er. „Dann brauchen Sie ja meine Aussage gar nicht, junge Frau, wenn Sie schon alles wissen.“
„Was soll das alles?“, fragte Nina, die ihre Wut kaum noch unterdrücken konnte.
„Genauigkeit, Präzision“, antworte Lukas Schneider, „gerade in ihrem Beruf. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man von einer Frau, die man seit Jahren nicht mehr gesehen hat, nur noch nicht geschieden oder immer noch mit ihr verheiratet ist. Übrigens, nicht „ist“, sondern „war“. Sie sieht ja ziemlich tot aus, auf dem Bild, nicht wahr?“
„Worin sollte da ein Unterschied bestehen?“, fragte Nina empört zurück. „Sie war ihre Frau, mit allen Rechten und Pflichten, die dazugehören. Egal, wie Sie das sehen möchten.“
„So, wie ich das sehen möchte. Schön formuliert. Die Erna, die meine Frau war, ist eines Tages vor etwa fünf Jahren einfach verschwunden, hat sich nie mehr gemeldet, von einem Tag auf den andern.“
„Wohin ist sie gegangen?“, fragte Nina verwundert.
„Keine Ahnung. Ein neuer Mann vielleicht? Ausstieg, Indien.“ Er zuckte wieder mit den Schultern.
„Weshalb haben Sie sie nicht als vermisst gemeldet?“
„Sie hat mir eine Botschaft hinterlassen, auf dem Badezimmerspiegel. Ich solle nicht nach ihr zu suchen. Deshalb.“
Nina wirkte nachdenklich. „Trotzdem haben Sie ein ziemlich starkes Motiv. Ihr Tod erspart Ihnen die mühsame Scheidung. Sie können sie sogar beerben.“
Lukas lachte laut auf. „Sie beerben? Hatte sie denn etwas?“
„Ihre Trauer hält sich doch in bescheidenen Grenzen“, stellte Nina fest, „das fällt schon auf!“
„Das habe ich schon hinter mir, die Trauer“, gab er zurück.
„Na schön, lassen wir das für den Moment“, fuhr Nina fort. „Wie wollen Sie mir erklären, dass das Pflegeheim Ihre Telefonnummer hat?“
„Die habe ich schon vor Jahren hinterlassen, für Notfälle. Die geistig behinderte Schwester, das blieb ein sorgsam gehütetes Geheimnis. Das passte nicht in die Welt, in der Erna lebte.“
„Und wie wurde Ihre Frau benachrichtigt, wenn Sie angeblich keine Ahnung hatten, wo sie zu finden war?“
„Auf jeden Fall nicht von mir. Ich wurde weder angerufen noch sonst irgendwie verständigt.“
„Es hat keinen Zweck zu lügen“, ermahnte Nina, „selbstverständlich prüfen wir die Verbindungen nach. Das ist völlig problemlos.“
Er reagierte nicht darauf. Keine Unsicherheit, er schien höchstens belustigt.
„Also“, hakte Nina schroff nach, „wann kam der Anruf?“
„Kein Anruf, wie schon gesagt“, stellte er ruhig fest. „Auf den Busch klopfen hilft da auch nicht, kleine Frau!“
„Ich bin Beamtin“, versuchte Nina, sich mehr Respekt zu verschaffen. „Sie haben mich gefälligst mit Frau Böhringer anzusprechen, nicht so herablassend, als kleine Frau!“
Er nickte. „Da haben Sie wohl Recht, nur fällt es schwer, jemandem Respekt entgegenzubringen, der kaum trocken hinter den Ohren ist, Frau Böhringer“, gab er zurück.
Nina schluckte ihren Ärger herunter. Der Typ war ein alter Macho, sinnlos, den ändern zu wollen. Sie schüttelte nur leicht mit dem Kopf und verdrehte die Augen.
Schneider konnte es nicht lassen, sie zu belehren. „Ist doch wohl klar, dass Erna ihre Schwester inzwischen einige Male besucht und dabei eine Nummer hinterlassen hat, die zu ihr führt!“
„Die Leiterin hat mir nur Ihre Rufnummer angegeben“, erwiderte Nina spitz.
Schneider schüttelte den Kopf. „Macht auch wenig Sinn, die Telefonnummer einer Toten weiterzugeben, finden Sie nicht?“
Nina fühlte, dass sie errötete. Über diesen Aspekt hatte sie bisher noch gar nicht nachgedacht. Wie peinlich, dass ausgerechnet dieser Idiot…
„Haben Sie ein Alibi für die Tatzeit?“, fragte sie stattdessen.
„Nicht schlecht, der Versuch“, antwortete er anerkennend. „Sie sind doch nicht ganz so harmlos, wie man denken könnte.“
„Letzten Samstag“, presste Nina hervor, „wo waren Sie da?“
„Hier“, antwortete er, „hier auf meiner Baustelle. Haben Sie das Gerüst gesehen? Ich erneuere die ganze Rückseite.“
„Am Samstag?“, zweifelte Nina.
„Wann denn sonst? Ich mache fast alles