So ganz weg bekam man so etwas nie. Das musste er irgendwie verhindern. Der Tote musste bald gefunden werden. Sonst…
Peter öffnete ein Fenster, das den Blick von außen direkt auf die Leiche ermöglichte. Morgen würde er jemanden unter einem Vorwand zum Haus locken. Wie, war ihm noch nicht ganz klar, aber er hatte ja noch Zeit, um darüber nachzudenken.
3. Kapitel
Am Mittwochnachmittag ergab sich eine erste Spur im Fall des Leichenfundes vom Sonntag. Grünwald und Sieber hatten überall in Freiburg Suchplakate geklebt, jetzt hatte sich jemand gemeldet.
Er würde den Toten nur flüchtig kennen. Könne sein, dass er irgendwo in Merzhausen, ganz am Rand, wohnte. Die Adresse wisse er nicht, aber er war dort in der Gegend kürzlich mit einer Autopanne liegengeblieben. Derjenige, der ihm geholfen hatte, habe genauso ausgesehen, sagte der Mann aus.
Deshalb war am Donnerstag Klinkenputzen angesagt. Sieber mit Grünwald, Krüger nahm das „Küken“, die Nachfolgerin für Michélle Steinmann, mit. Das Küken hieß Nina Böhringer, war sechsundzwanzig, hatte sich schon seit Längerem für den Kriminaldienst beworben. Die letzten Jahre hatte sie bei der uniformierten Truppe verbracht. Trotz der paar Jahre Berufserfahrung war sie natürlich noch kein Ersatz für Michélle.
Grünwald und Sieber tuschelten heimlich, dass sie vermutlich eine Lesbe sei. Das kam jedoch eher daher, dass sie nicht so hübsch war wie Michélle und auf keinen ihrer Annäherungsversuche reagierte. Davon hatte Krüger allerdings noch nichts mitbekommen.
Systematisch suchten sie die Straßen ab, befragten die Anwohner.
Bisher ohne Erfolg. Krüger ließ die neu aussehenden Häuser aus, er ging davon aus, dass in ihnen vor allem kürzlich zugezogene Bewohner wohnten.
Ein leicht heruntergekommenes Haus, das trotzdem immer noch stattlich wirkte, mit offensichtlich großzügigem Grundstück, zog ihn magisch an. Nichts wies darauf hin, dass jemand zuhause war, außer dem Mietwagen, der so parkte, dass man ihn von der Straße aus nicht sehen konnte.
Nina klingelte mehrmals, dann zuckte sie mit den Schultern. „Keiner da, Chef!“
Krüger zog die Brauen hoch. „Der Mietwagen, damit muss doch jemand gekommen sein“, stellte er fest.
Nina schlenderte am Haus entlang und stieß plötzlich einen erstickten Schrei aus. Krüger lief los. Sie stand wie erstarrt vor einem offenen Fenster.
„Da… da drin liegt einer“, stammelte sie.
Vor wenigen Minuten waren sie an einer Arztpraxis vorbeigekommen. Krüger schickte Nina zurück, um den Mediziner zu holen. Sie, etwas blass, versuchte tapfer, sich nichts anmerken zu lassen. Deshalb bestand sie darauf, voll einsatzfähig zu sein. Außerdem sei das nicht ihre erste Leiche, es sei nur völlig unerwartet gekommen, deshalb habe sie geschrien. Behauptete sie zumindest. Krüger ließ sie gewähren. Immerhin war sie nicht zusammengeklappt.
Schon nach fünfzehn Minuten kehrte sie zurück. Mit ihr ein älterer Herr, der sich als Doktor Henschel vorstellte.
Krüger, in der Zwischenzeit durch das Fenster eingestiegen, hatte mit dem Schlüsselbund, das auf dem Tisch lag, die Haustüre aufgeschlossen, so dass der Doktor einfach eintreten konnte.
Der Tote lag auf dem Boden. Er schien keinerlei Verletzungen zu haben. Offenbar hatte ihn der Schlag beim Essen getroffen, die angefangene, einfache Mahlzeit ließ darauf schließen.
Die an einem Stuhl hängende Jacke enthielt eine deutlich herausragende, dicke Brieftasche mit mehreren tausend Mark sowie einen vorläufigen Ausweis auf den Namen Wolfgang Heckel, Jahrgang 1917. Das Bild wirkte neu, es stimmte absolut mit dem Gesicht des Toten überein.
Auf die Frage, ob er die Bewohner kenne, hatte der Arzt geantwortet, dass die letzte Besitzerin kürzlich verstorben sei und das Haus eigentlich leer stehen würde.
Der Doktor kam nach gründlicher Untersuchung zu dem Schluss, dass ein natürliches Ableben anzunehmen sei. Den Todeszeitpunkt konnte er nur schätzen, die Leichenstarre war schon wieder abgeklungen. Etwa drei Tage, so seine Vermutung. „Bewegt wurde die Leiche definitiv nicht, die Flecken sind scharf begrenzt, da bin sicher“, sagte der Doktor.
Krüger hatte seine Beobachtungen bisher nicht erwähnt. Zusammen mit der Leichenschau ergab sich ein schlüssiges Bild.
Wolfgang Heckel, immerhin schon neunundsiebzig, war einem Herzanfall erlegen. Eine Fremdeinwirkung ließ sich nicht feststellen.
Nina kam die auf die Idee, dem Doktor das Bild des Toten zu zeigen, nach dem sie suchten.
„Das ist Günther Zwiesel, einer meiner Patienten“, antwortete der Doktor, ohne zu zögern.
Krüger rief Grünwald und Sieber zurück, während Nina den Arzt zu seiner Praxis begleitete, um die Adresse von Zwiesel zu bekommen.
***
Die Wohnung Zwiesels gab nicht viel an Erkenntnissen her. Außer der Tatsache, dass nicht abgeschlossen war, eigentlich nichts Ungewöhnliches. Zwei Zimmer, eine Kochecke, die übliche Unordnung eines langjährigen Junggesellen. Zwiesel war seit Jahrzehnten geschieden, keine Kinder, das hatte der Arzt noch beitragen können.
Die Identifizierung des Toten war ein wichtiger Schritt. Jetzt konnte seine Vergangenheit durchleuchtet und nach einem Motiv gesucht werden. Auch nach einer ganzen Woche zeichnete sich nichts ab. Günther Zwiesel war ein absolut unauffälliger Mensch gewesen, keine Umtriebe, Ämter oder Mitgliedschaften. War es überhaupt jemandem aufgefallen, dass er nicht mehr lebte?
Ein Einkommen hatte er durch die Herstellung von Werkzeugstielen aus Holz erzielt, die er in einer winzigen Werkstatt im Untergeschoss seines Wohnhauses angefertigt hatte. Kein Job, um reich zu werden, es schien jedoch zum Leben gereicht zu haben.
Eine Beziehung nach der Scheidung ließ sich nicht finden. Ab und zu hatte er eine Eckkneipe besucht, nicht den Stammtisch, den benutzten nur regelmäßig erscheinende Gäste. Gesprochen hatte er höchstens mit der Bedienung, die nicht einmal seinen Namen wusste. Stets war er allein gekommen und auch wieder gegangen.
Und trotzdem: Günther schien jemanden so sehr gestört zu haben, dass er ihn erschossen hatte.
Krüger dachte an eine Verwechslung. Oder hatte Zwiesel irgendwas mitbekommen, das nicht ans Licht dringen durfte? In Merzhausen?
Der direkte Ablauf konnte ein Auftragsmord sein. Einfach erschossen und abgelegt. Dagegen sprach jedoch die verwendete Munition. Ein kleines Kaliber, das seit dem Krieg kaum noch Verwendung fand. Ziemlich unsicher, ob die Patronen überhaupt noch funktionierten. Ein Profi würde sich niemals auf so etwas einlassen.
Andererseits war die Waffe vermutlich nirgends registriert. Es handelte sich schon fast um eine Antiquität, wie Erwin Rohr, der Chef der Spurensicherung in Freiburg, Krüger lächelnd erklärt hatte.
Die sich daraus ergebende Spur in alte Zeiten schien wenig ergiebig, Günther war bei Kriegsende gerade sechs Jahre alt gewesen.
Trotzdem, der Schlüssel musste irgendwo in der Vergangenheit liegen. Krüger konnte sich einfach nichts anderes vorstellen. Nur aus Gefühl, ohne klaren Hinweis, irgendwie musste es mit einer Frau zusammenhängen. Die sich jetzt gerächt hatte?
Elisabeth, der er davon erzählte, hielt das immerhin für möglich. Für Krüger ein ausreichender Grund, in der Sache weiterzusuchen. Wenn Polizeirat Vogel das wüsste, dachte er. Ein Grinsen konnte er sich dabei nicht verkneifen.
***
Auch Kommissar Gruber in Basel kam in seinem neusten Fall nicht weiter. Die Tote war nach der Entdeckung der Todesursache vom Badeunfall zum Mordfall geworden, was natürlich umfangreiche Ermittlungen auslöste. Die Frau war bisher nirgends als vermisst gemeldet, Gruber hatte keinen Namen, keinen Tatort, kein Umfeld.
Sie