„Hat sonst noch jemand ein Problem mit meinen Entscheidungen?“ Niemand rührte sich, obgleich sie einverstanden waren oder einfach nur keinen Ärger wollten. Aber Thuriell reichte der Gehorsam und sie fuhr fort, als sei nichts geschehen. Jetzt richtete sie erstmals ihre Worte an Rakna, welche mit erhobener Waffe an einer der hintersten Wände gedrängt stand. Von dort aus hatte sie hilflos zugesehen.
„Sei gegrüßt Rakna von den Menschenkindern, ich heiße Euch im Namen aller ...“, sie ließ eine kurze Pause, um die Umstehenden streng anzusehen, dann sprach sie weiter:
„... hier in unserer Mitte willkommen. Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch gern unter vier Augen sprechen.“ Als Thuriell ihre Worte direkt an Rakna richtete, ließ diese ihre erhobene Waffe zögerlich sinken und schaute fragend zu Fenrick. Er nickte ihr besänftigend zu. Daraufhin steckte Rakna ihr Schwert in die Scheide und marschierte an den immer noch aufgebrachten, aber regungslosen Elfen vorbei. Die Meisten machten ihr Platz, doch einige verharrten stur in ihrer Stellung, sodass sie sich zwischen ihnen hindurchzwängen musste. Es war sofort klar, dass diese Elfen auf Solas Seite standen und nicht erfreut über ihren neuen Gast waren. Als sie Fenrick und Thuriell erreichte, liefen sie gemeinsam tiefer ins Innere des Reiches und in die Halle der Herrscherin.
„Ich gehe davon aus, dass du unter sechs Augen meintest, Thuriell.“, sagte Fenrick mit fragendem Unterton.
„Tust du das? Ich dachte, eigentlich ich hätte mich klar ausgedrückt.“ Strenge lag in ihrer Stimme, doch Fenrick kümmerte das nicht, er kannte sie und er würde sich nicht zurückweisen lassen.
„Ich bin nicht Euer Feind Thuriell. Wäre ich sonst hier? Ich brauche nur Gewissheit, dass Rakna hier in Sicherheit ist.“
Thuriell blieb abrupt stehen, sodass Rakna fast mit ihr zusammenstieß. Sie hatte den beiden Streitenden kaum zugehört. Zu großartig war das, was sie hier erblickte. Der anfängliche schmale Gang war aus gewöhnlichen grauem Stein, so wie sie es aus Bergwerken in ihrem Land kannte. Doch umso weiter sie vordrangen, umso außergewöhnlicher wurde alles. Sie waren durch einen hohen Torbogen aus massivem Gold gegangen und als wäre das nicht schon genug, schloss sich ein größerer Gang mit einem Boden aus schwarzen Marmor an. Glatt und glänzend, dass man sich darin spiegelte. Die Decke verlor sich in einem scharf verlaufenden Bogen, wie ein spitzes Gewölbe. Alle zehn Fuß erhoben sich rechts und links filigran verzierte Säulen, welche sich zur gegenüberliegenden Seite erstreckten. In der Mitte hing ein akkurat geschliffener Bernstein, der aus dem Inneren heraus orange leuchtete und sein Licht an die Wände warf. Sie gingen einige Schritte und jener Gang endete in einem geschwungenen Tor. Zu beiden Seiten standen Wachen. Die Tür war mit einem gusseisernen Riegel verschlossen, welcher sich wie von Zauberhand öffnete, sobald sie näher herantraten. Die Wachmänner verbeugten sich tief vor ihrer Gebieterin, während sie durch das Tor hindurch schritten. Die Halle, die sich dahinter verbarg, war noch größer und schöner. An jeder ihrer Acht Ecken befand sich eine weitere spiralförmige Säule, die mit vielen feinen goldenen Adern durchzogen war. Auch hier sah man eine vollkommen runde Decke. Rakna erkannte keine einzige Ungenauigkeit. Überall standen Elfen, die in grüne, transparente, schimmernde Gewänder gekleidet waren. Darunter trugen sie eng anliegende braune Kleider. Mal Hose und Oberteil, mal mit langen oder kurzen Ärmeln. Auch wunderschöne Kleider und Röcke waren dabei. Aber immer schimmerten sie in bräunlicher Farbe. Manche der weiblichen Elfen trugen aufwendig geflochtene Zöpfe, die mal über den ganzen Kopf verliefen, mal nur im Nacken verflochten wurden oder von der Stirn ausgehend, wie der Kamm eines Hahns, am Hinterkopf endeten. Es herrschte ein buntes Treiben, manche unterhielten sich miteinander, tauschten Dinge aus oder gingen nur ihrer Wege. Überall waren lustige und aufgeregte Stimmen zu hören. Doch als die drei sehr unterschiedlichen Personen den Raum betraten, wurde es plötzlich still. Die Elfen hielten, bei dem, was sie gerade taten, inne und sahen interessiert zu dem kleinen Grüppchen. Rakna wurde es mulmig zu Mute. Immer mehr drang es in ihr Bewusstsein, was für eine Besonderheit es war, dass sie hier unter ihnen wandelte. Sie verstand, dass es von äußerster Großzügigkeit zeugte, was Lynthriell für sie getan hatte, was Fenrick für sie tat oder was Thuriell gerade im Begriff war für sie zu tun. Doch jetzt mischte sich eine leise böse Stimme unter ihre Gedanken. Wieso nehmen sie das für dich auf sich? Niemand bringt sich in Gefahr, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen? Wenn sie wollten, könnten sie diese Leistung jederzeit einfordern. Noch während sie das dachte, fasste Fenrick sie zart an der Schulter, beschwichtigend und schützend zu gleich. Bei dieser sanften Berührung seinerseits, war sie nicht länger in der Lage zu glauben, dass er etwas Böses im Schilde führte. Sie sah keine Hinterlist in seinen Augen oder straff gespannte Muskeln, die auf gezwungene Mimik hinwiesen. Nein, sie hatte sich schon dazu entschlossen ihm zu folgen, es gab keinen sinnvollen Grund jetzt damit aufzuhören. Er hatte sie gerettet, er brachte sie hier her und er setzte sich immer noch für sie ein. Er war ihr Fels in der Brandung und wo er hinging, dahin würde sie ihm folgen. Der Gedanke ein Ziel, einen Sinn in ihrem Leben zu haben, ermutigte sie und baute sie auf. Fenrick, der noch immer seine Hand auf ihrer Schulter hatte, bemerkte ihre Veränderung. Verwundert sah er sie an, dann lächelte er ebenfalls und gemeinsam durchschritten sie die Tür, die in die Räumlichkeiten Thuriells führte.
Zwei Neuankömmlinge
In der Mitte des, im Vergleich, kleinen Raumes, stand ein langer, hölzerner Tisch. Auf ihm lagen unzählige Pergamente und Schriftrollen. Hier und da waren Kerzen aufgestellt, die ihren warmen Schein auf der Oberfläche verbreiteten. An der Decke darüber hing ein weiterer Bernstein, aus dem ein pulsierendes Licht hervortrat. Doch die Form glich in keiner Weise den Steinen, die sie in dem langen Gang hierher, entdeckt hatte. Während die ersten Edelsteine spitz und eckig waren, wirkte dieser geschwungen. Aus seiner runden, breiten Mitte entsprangen wellenförmige Spitzen, die alle am unteren Rand endeten. Tatsächlich ähnelte er mehr einer orangenen Krone. Jetzt fiel Raknas Blick auf die steinernen Wände. Bis auf ein paar wenige Landkarten und einen einzigen großen Waffenhalter wirkten sie leer und kahl. Um den Tisch herum standen reich verzierte Stühle aus massivem Kastanienholz. Wie schon in den vorherigen Räumen waren hier mehrere goldene Details eingearbeitet und ließen die Sitzmöbel wertvoll aussehen. Thuriell und Fenrick unterhielten sich ausgelassen, während Rakna es kaum schaffte, alle neuen Eindrücke zu verarbeiten. Erst als Thuriell zu ihr sprach, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Herrscherin.
„Ich werde Euch die einmalige Gelegenheit bieten, unter meinem Volk zu wandeln und gemeinsam mit unseren Junglingen zu trainieren. Falls Ihr Euch gut anstellt, habt Ihr sogar die Chance, ein Teil dieses Volkes zu werden. All das stelle ich in Aussicht, jedoch verlange ich dafür eine Gegenleistung. Wenn wir Eure Unterstützung brauchen, dann bekommen wir sie bedingungslos.“ Ein Moment der Stille trat ein. Rakna sah von Thuriell zu Fenrick und wieder zurück. Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem sie sich entscheiden musste. Sie fühlte sich furchtbar verwirrt. Ihr war bereits vorher bewusst gewesen, dass es eine Bedingung geben würde und da war sie. Aber hatte sie überhaupt eine echte Wahl? Entweder weigerte sie sich und verbaute sich damit die Chance vorerst in Sicherheit zu sein, oder sie stimmte dem Deal zu und einem Schicksal, welches sie von hier an nicht mehr bestimmte. In ihrem Kopf tobte es und sie war hin und her gerissen. Unweigerlich suchte sie den Blick Fenricks und da war es wieder. Sein warmes, gewisses Lächeln, welches ihre Bedenken hinweg wehte. Er hatte eine Art an sich, die ihr jeden Zweifel nahm. Eigentlich hatte sie ihre Wahl schon getroffen. So streckte sie Thuriell entschieden ihre Hand entgegen. Diese packte sie fest und schüttelte sie. Der Griff der Herrscherin war hart und schwielig, aber warm.
„Also gut, jetzt