Ankunft ohne Wiederkehr - Teil 2. Vicky Lines. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vicky Lines
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746796208
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nicht mit uns speisen magst, steht es dir frei, an diesem Tisch nicht mit uns Platz zu nehmen, VATER!“, hörte ich Patrizia mit einer unglaublich ironischen Stimme sagen.

      „Wer sind Sie denn?“, fragte dieser etwas panisch, denn George stand immer noch einfach nur regungslos da.

      Langsam fand ich das albern. Duell zweier erwachsener Männer im Wohnzimmer ist und bleibt kindisch. Dringend war es notwendig, dass ich ernst blieb. Wenn mein Gort ebenfalls solche eine Wirkung wie im Film bei diesem Familientreffen haben sollte, wäre ich auf den Verlauf enorm gespannt. Sollte George jetzt den Mund öffnen und irgendwas seltsames geschehen, würde ich schallend loslachen. Dieses verdammte Kichern kitzelte mein Gehirn. Marko starrte immer noch George von der Seite an. Nun wollte ich unbedingt noch einmal provozieren.

      „Dieser Hüne ist mein Beschützer“, kam es sehr mädchenhaft aus mir heraus.

      Verdammtes Kichern, es wollte raus und es kitzelte überall. In der Stirn, in der Nase, in der Lunge und im Herzen. Damit ich nicht ganz aus dem Rahmen fiel, musste ich endlich diese Situation auflösen. Vorsichtig tippte ich George auf die Schulter. Er reagierte. Meinem englischen Hünen bot ich, als angeblich braves Mädchen, charmant und ganz unwissend Vaters Stammplatz an. Mein Vater glotze mich fassungslos an, als flöge eine Kuh vor ihm Pirouetten und kleine Schweinchen sangen Polka dazu. Auf diesem mir bisher so verhassten Platz saß mein ungehobelter Vater, seit dieses Zimmer eingerichtet wurde als Oberhaupt und Richter über mich und meinem Lebensstil.

      Ich konnte einfach meinen Humor nicht bändigen: „Komm, hier lag kein Handtuch.“

      George begann endlich zu grinsen. Zwar versuchte er, es zu unterdrücken, doch vermutete ich, dass er schon die gesamte Zeit bemerkt hatte, dass ich kurz vor einem hysterischen Lachanfall stand. Oder konnte er etwa doch ein wenig Deutsch? So viel mentales Chaos vertrugen diese beiden Wichtigtuer nicht. Mein über sechs Fuß großer George sah mit seinen immer noch angespannten Schultern und der starken Brust aus, als hätte er einen riesigen Atlas zum Mittag im Ganzen verspeist. Oder eine Panzerung in seinem perfekt passenden Anzug eingenäht. Das wirkte so omnipräsent und auch irre attraktiv auf mich, dass ich anfing, automatisch nach seiner Hand zu greifen. Bei der Berührung seiner warmen Haut durchflutete eine Hitzewelle meinen Körper, doch dieses Mal vom Kopf hinunter durch meinen Busen, weiter durch meinen vollkommen nervösen Magen und zwischen meinen Beinen endend.

       Bitte nicht allzu erregt werden.

      Langsam drehte George seinen Kopf zu mir. Und ich vermutete, er wollte das erste Mal zwinkern, seit er diesen Raum betreten hatte. Was für ein Mann. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Es erregte mich. Entgegen seinem spartanischen Auftreten funkelten seine Augen und brannten sich in den meinen fest. Ein Tunnel bildete sich in meinem Blick, mein Herz versuchte, auszubrechen und die Emotionen schwankten zwischen Angst, Verlegenheit und Fassungslosigkeit.

       Ich will mit dir … Jetzt! Hier! Auf dem Tisch! Oh weh, ich wollte ihn. Fliehen wäre super!

      Gerade noch so erwischte ich die nächste Abfahrt der Autobahn des Wahnsinns, während es in meinem Kopf bereits Alarm schrie. An dieser Stelle gebe ich offen zu, dass sich auch noch andere Wünsche als Sprachfetzen bildeten. Der Schock über meine Sehnsüchte überraschte mich dennoch. Es blitzten auch ab und an Wörter mit den unanständigen drei Buchstaben auf. Meine Güte, ich hatte arg zu kämpfen, mich zu zügeln. George detektierte ich eindeutig als ein Opfer für mich. Seine Anwesenheit übertünchte vollständig meine übliche Befangenheit. Wischte die ewige Benommenheit beiseite und weckte in mir Begehrlichkeiten.

      George blickte zu Patrizia und zu meiner Mutter mit einer angehobenen Augenbraue. Dunkelheit überschattete sein Gesicht beim Anblick Markos und meines Vaters namens Peter. Nun setzte sich mein Vater wütend dreinblickend, samt abgeräumten Gedeck wieder hin. Während Patrizia schelmisch ihren Mann beobachtete, glotzten also Marko und Peter angriffslustig zu George. Nachdem ich die warme Platte auf dem Tisch positioniert hatte, setzte ich mich neben George, normalerweise der Stammplatz von Marko, der sich neben Patrizia niedergelassen hatte. Ich hielt meine Schnauze, weil ich erleben wollte, wie beide auf diesen neuen Spieler am Tisch reagierten.

      „Beantworten Sie mal meine Frage? Wer sind Sie?“, forderte mein Vater George ungeduldig und vergeblich auf, sich zu offenbaren.

      Allerdings fragte er auf Deutsch. Somit drehte ich meinen Kopf, um George anzusehen. Weil der jedoch erst meinen Vater, dann Marko ins Visier nahm und letztlich mich mit gehobenen Augenbrauen fragend ansah, erwartete er natürlich eine Übersetzung. Für genau diesen Augenblick war die förmliche Kleidung von George gerade passend. Diplomat fiel mir ein, staatsmännisch und gediegen. Doch die weiterhin schwelende negative Stimmung verwirrte mich. Ohne nachzudenken, legte ich meine Hand auf seine. Mein Herz hüpfte ganz kurz zweimal. George reagierte mit einem kurzen Zucken um seine Mundwinkel zur Zimmerdecke und ich beugte mich vor, um seiner Geste entgegenzukommen. Ganz nah war ich seinem Ohr und roch dieses markante Deodorant.

      „Lieber George, mein Vater versucht zu erfahren, wer du bist“, dolmetschte ich ins Englische.

      Er senkte seine Augenbrauen. Hob sie beide wieder an. Allerdings änderte sich seine Mimik keineswegs. Langsam wandte sich mein Lord meinem Vater zu. Der Hals zerrte dabei nicht ein bisschen am Hemdkragen.

      George verblüffte alle mit stoischer Etikette: „Wer ich bin, dürfte als Vorstellung nicht dem Protokoll angemessen sein. Aber ich kann meinen Namen preisgeben, George“.

      Dann aber fragte er mich in einem sehr lockeren leisen Tonfall, „Entschuldige, darf ich dies überhaupt tun?“

      Vor lauter Ironie biss ich mir auf meine Unterlippe. Dieses ungewohnt amüsante Theaterspielchen machte George sichtlich Spaß. Also übertrug ich seine Bemerkung für meinen Vater ins Deutsche. Woraufhin sich George ein wenig entspannte. Meine Mutter stand auf und balancierte mit einer der Platten voller Schnittchen und Beilagen zu meinem Londoner Hünen. Wahrscheinlich versuchte Claudia, diese anfängliche erlebte gute Laune zu retten. Das kannte ich so gar nicht von ihr. Meine Mutter mochte George anscheinend sehr.

      Sie bot George eine Auswahl von Schnittchen an und fragte: „Lieber George, möchten Sie einen Happen?“

      „Gerne, Mylady“, antwortete er britisch.

      Prompt drehte sich Patrizia weg, weil sie anfing zu lachen. Erst verhalten, dann unterdrückte sie es wieder. George nahm sich dezent aber elegant zwei belegte Brötchen, eines mit Lachs und eines mit Kräuterquark mit Messer und Gabel von der Servierplatte. Alle staunten, mit welcher Sicherheit und Eleganz dies geschah. Woraufhin meine Londoner Eroberung warm lächelte und hoheitsvoll nickte. Meine Mutter genoss diesen Augenblick sichtlich, errötete jedoch leicht, bevor sie wieder zu ihrem Platz retournierte, um die Platte auf den gedeckten Tisch zurückzustellen. Geschwind erhob sich George, griff helfend mit seinen langen Armen nach der Platte. Galant setzte er diese auf den freien Platz auf dem Tisch ab. Fasziniert merkte ich, dass Marko ihn weiterhin argwöhnisch beobachtete. Als meine Mutter sich gesetzt hatte, hob George ihre Hand und kredenzte ihr einen anerkennenden Handkuss. Meine Mutter knickste automatisch. Prompt reagierte mein Vater ungehalten und versetzte die eben abgestellte Platte, irgendetwas vor sich hin brabbelnd, mehr zur Tischmitte. Auch Marko atmete missbilligend ein und aus. Leider verstand ich nicht, was genau zwischen den Männern vorging. So suchte ich Blickkontakt zu Patrizia. Diese zwielichtige Stimmung verunsicherte mich doch erheblich. Meine Schwester hob leicht irritiert ihre Schultern, als wir einander ansahen.

      Mein Vater: „War ja klar, dass meine älteste Tochter einfach einen Fremden zu ihrer Beruhigung mitbringt. Hofft, von ihrer vergebenen Bringschuld abzulenken. Ist ja einfacher.“

      Geschockt versteifte ich mich und saugte die plötzlich zu Eiseskälte abgekühlte Luft ein. Patrizia jaulte leise auf, während meine Mutter mit hochrotem Kopf begann, sich ihres Mannes zu schämen. George blickte in die Runde und fixierte den nickenden Marko. Unwillkürlich verfinsterte sich der Blick des Lords, ignorierte nun das mittlerweile


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