»Was hast du vor?«, wollte Desiderius wissen, dem fast das Herz stehen blieb.
»Ich tue nur meine Pflicht als Bürger«, erklärte Arerius in einem Tonfall, der Glauben schenkte, er wäre wirklich davon überzeugt, das Richtige zu tun. »Unsere Gesetze nehmen es mit Männern wie dir eindeutig, geliebter Bruder. In den menschlichen Schriften steht geschrieben, dass es eine Sünde ist, einen anderen Mann zu besteigen oder sich besteigen zu lassen.«
Desiderius zog seine Augenbrauen hasserfüllt zusammen, sagte aber nichts.
»Siehst du, es ist eine Sache, wenn du es mit diesen dreckigen Gesetzlosen an der Küste treibst, aber eine gänzlich andere, wenn du einen Prinzen zur Sünde verführst«, grinste Arerius hinterhältig.
Desiderius war versucht, ihm seine geballte Faust direkt in das Mondgesicht zu rammen, doch er war zu gelähmt dafür. Er konnte nicht fassen, was sich gerade zutrug.
Lachend stellte Arerius fest: »Es ist so offensichtlich, wie du und er umeinander herumkreisen. Ich habe es erst nicht verstanden, aber als ich gestern sah, wie der junge Prinz nicht von deiner Tür weichen wollte, obwohl man ihm verboten hatte, zu dir hinein zu gehen, wusste ich, was zwischen euch ist.«
»Du weißt gar nichts!«, zischte Desiderius, doch innerlich war er wie betäubt.
Das bedeutete wohl das Ende, es sei denn, ihm fiel schnell etwas ein, um Arerius’ zum Schweigen zu bringen. Wenn er ihn aber umbrächte, würde man ihn trotzdem hinrichten.
»Ich weiß jedenfalls, dass ihr euch bei jedem Mahl Blicke zuwerft«, konterte Arerius. »Ich weiß, wie er dich angesehen hat, an dem ersten Abend, ich weiß auch, wie er jede Gelegenheit nutzte, um mit dir allein zu sprechen. Ich habe gesehen, wie ihr getuschelt habt, an dem Abend des Fests, und ich weiß, dass der junge Prinz nicht mit auf dem Ausritt war, weil er darauf warten wollte, dass du aufwachst. Und als wir zurückkamen, wart ihr beide lange Zeit verschwunden ... «
»Wir haben uns verlaufen!«
»Aber ihr wart zusammen«, warf Arerius ein. »Stets wart ihr zusammen.«
Desiderius schlug einen anderen Weg ein: »Willst du wirklich den jüngsten Prinzen unterstellen, er sei ein Sodomit?«
Arerius lachte auf, als er antwortete: »Natürlich nicht.«
»Was hast du vor?«, fragte Desiderius mit dunkler Vorahnung.
Sein Bruder hob an und tat, als spreche er vor einer Versammlung: »Mein eigener Bruder ist der Sünde verfallen, ich habe es selbst gesehen! Und er hat in seinem Wahn, den unschuldigen Prinzen verführt und geschändet.«
Desiderius schlug wütend mit der Faust auf sein Lager. »Das ist eine Lüge!«
»Wem wird man mehr glauben?«, fragte Arerius hochinteressiert. »Einem Bastard oder dem ehelichen Sohn des Lords? Glaubst du, dein Prinz wird bei einer Anklage etwas anderes behaupten, um deine Strafe abzumildern? Glaubst du wirklich, er hält selbst den Kopf hin, damit deine Hinrichtung nicht noch grausamer vollstreckt wird, als sie sowieso schon sein wird?« Arerius schüttelte bedauernd seinen Kopf. »Nein, natürlich nicht. Er wird behaupten, du hättest Magie verwendet, Zaubertränke, und damit wäre er fein raus.«
Desiderius’ Gesicht wurde dunkel vor Hass auf seinen Bruder.
»Oder sollte ich lieber fragen, ob du denn riskieren willst, dass nicht nur du, sondern auch dein kleiner Liebhaber hingerichtet wird?«
Desiderius spürte, wie ihm bei diesem Gedanken die Galle hochkam. Noch vor wenigen Nächten hatten er und Wexmell zusammen in purer Leidenschaft das Lager geteilt. Ihre Körper aneinander gerieben, sich geküsst und sich vereint. Nun konnte er nur noch daran denken, wie sie gemeinsam nebeneinander knien würden und sich ansahen, während die Menge brüllte und darauf wartete, dass man ihnen die Köpfe abschlug.
»Dachte ich mir doch, dass du das nicht willst«, stellte Arerius triumphierend fest.
Hasserfüllt fuhr Desiderius ihn an: »Was willst du?«
»Das, was mir schon immer gehört hat, was du mir aber weggenommen hast!«, zischte Arerius wütend zurück.
Darum ging es hier also, erkannte Desiderius. »Du willst Lord werden?«
»Tut mir leid, geliebter Bruder«, säuselte Arerius falsch, »aber wenn es um meinen Titel geht, verrate ich dich gerne.«
»Und du meinst, Vater lässt dich Lord sein, wenn du mich hinterhältig an den König verrätst?« Desiderius sah ihn zweifelnd an. »Du weißt, Vater hasst es, wenn du andere zu deinen Gunsten verpetzt.«
»Versuch nicht, mich zu manipulieren!«, warnte Arerius. »Sonst gehe ich noch heute Abend zum König.«
»Der König wird wohl kaum seinen eigenen Sohn bloßstellen«, warf Desiderius ein. »Er würde wohl eher dich töten, um das Geheimnis zu bewahren!«
Gelassen stand Arerius auf und schob den Hocker Beiseite. »Ich gebe dir genau zwei Tage Zeit, das Erbe zu meinen Gunsten abzulehnen. Tust du es nicht, erfährt jeder, dass du ein Sodomit und Sünder bist.«
Desiderius stieß fassungslos den Atem aus. »Du erpresst mich damit?«
»Weißt du, mir wäre es gleich, mit wem du dein Lager teilst«, erklärte Arerius scheinheilig, »aber leider muss ich an meine Zukunft denken, und dein Geheimnis ist nun mal ein gutes Druckmittel.«
»Du hast keine Ehre, mein Bruder«, warf Desiderius ihm vor.
»Genau wie du«, konterte Arerius und wandte sich dann zur Tür um.
Hoffnungslosigkeit breitete sich in Desiderius aus, nachdem sein Bruder ihn allein gelassen hatte. Erst erfuhr er, dass Wexmell mit Fieber im Bett lag – was wohl irgendwie auch seine Schuld war –und dann geschah das, wovor er all die Jahre solche Angst gehabt hatte. Sein Geheimnis war längst kein Geheimnis mehr und es wurde Zeit, fort zu gehen.
Für immer.
***
Desiderius stützte sich auf den Stock, der ihm als Gehhilfe diente, um das Bein mit seiner Wunde zu entlasten, und humpelte im Lichtkegel der Fackeln auf den dunkelhaarigen, großen Mann zu, der auf den Zinnen unter dem Sternenhimmel lehnte.
»Wie geht es ihm?«, fragte Desiderius, als er in Hörweite war.
Bellzazar sah ihm entgegen und antwortete: »Prinz Wexmell geht es gut, keine Sorge. Er schläft und morgen wird er uns alle wieder mit seinem herzlichen Grinsen beglücken.«
»Schön zu hören«, erwiderte Desiderius desinteressiert, doch innerlich seufzte er beruhigt auf.
Unter dem forschenden Blick des Halbgottes, lehnte er sich auf die Zinnen und blickte hinauf zu dem klaren Sternenhimmel.
»Wie geht es Euch?«, fragte Bellzazar. »Solltet Ihr nicht schlafen?«
»Ich war noch nie so ausgeruht«, antwortete Desiderius darauf. »Aber gut geht es mir trotzdem nicht.«
»Was ist passiert?«, wollte Bellzazar wissen und musterte ihn kritisch. »Ihr strahlt eine Aura puren Hasses aus.«
»Ja«, seufzte Desiderius und legte den Kopf in den Nacken.
»Wollt Ihr erklären, wieso?«
Statt zu antworten, fragte Desiderius: »Wann habt Ihr vor, aufzubrechen?«
»Ihr meint, um den Auftrag des Königs zu erfüllen, den Ihr ausgetüftelt habt?« Bellzazar grinste ihn an und antwortete dann: »Ihr und ich wollten aufbrechen, sobald der König die Heimreise antritt, aber ich habe das Gefühl, dass sich Eure Pläne geändert haben.«
»Ich hatte vor, noch heute Nacht zu verschwinden, wenn Ihr also meine Hilfe benötigt, dann müssen wir jetzt aufbrechen.«
Der Halbgott stellte keine Fragen darüber. Stattdessen sah er an ihm hinab und wollte wissen: »Könnt Ihr mit der Wunde reiten?«
»Vermutlich