»Wisst Ihr, wie die Lords mich nennen?« Desiderius schmunzelte ohne Freude. »Mann ohne Ehre. Weil ich ihre Adeligen ohne jede Ehre beraube. Glaubt mir, ich wäre nur ein weiterer Grund für die Menschen, gegen Euch vorzugehen.«
Der Kronprinz wandte den Blick ab und sah nachdenklich zu Boden. »Bellzazar glaubt, Ihr wärt die Lösung für das Menschenproblem. Er war der festen Überzeugung, Ihr könntet die Aufstände unterbinden. Wir hegen keine Abneigung gegen das Menschenvolk, wir wollen ihnen nichts Böses, aber wenn sie sich gegen den König auflehnen, müssen wir uns dagegen wehren. Und Bellzazar glaubt, Ihr seid der richtige Mann dafür. Nicht nur wegen Euren Fähigkeiten, sondern weil Ihr kein Problem damit habt, Euch die Hände schmutzig zu machen. Der König heißt diese Methoden nicht gut, ich auch nicht unbedingt, aber um mein Volk zu schützen, würde ich alles tun. Ihr seid der Mann, der vielleicht viele Aufstände verhindern oder frühzeitig beenden kann.«
Vielleicht konnte er das, aber dazu musste er kein Lord werden.
»Wenn Ihr es nicht für die Krone tun wollt, werde ich das akzeptieren«, entschied der Prinz und sah Desiderius wieder in die Augen. »Ihr seid der Krone nichts schuldig, Ihr müsst uns nicht beistehen. Aber was ist mit unserem Volk, den Luzianern? Was ist mit Nohva, Desiderius? Liebt Ihr dieses Land?«
»Natürlich«, versicherte Desiderius. »Wäre dem nicht so, wäre ich längst in die Wildnis entflohen, wo ich frei leben könnte.«
»Dann helft mir, Nohva vor der Tyrannei der Machthungrigen zu beschützen.«
Müde seufzend ließ Desiderius seinen Hinterkopf auf die Pelze fallen und fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar.
»Entscheidet Euch für Euer Erbe, Desiderius!« Der Prinz stand auf. »Ich sorge dafür, dass mein Bruder Euch in der Zwischenzeit nicht noch mehr Ärger bereitet.«
Aber Desiderius wusste nicht, welcher der Prinzen ihm nun mehr den Verstand raubte. Der, der sein Blut in Wallung brachte, oder doch eher der Ehrgeizige, der die Gesetze in Nohva ändern wollte und darauf hoffte, dass Desiderius ihn vor den Konsequenzen schützen konnte.
Stöhnend und verzweifelt rieb er sich das Gesicht, nachdem der Kronprinz gegangen war.
Alles in einem wünschte Desiderius sich, nie zu diesem Treffen gekommen zu sein. Dann hätte er keinen Zwischenstopp an der Küste eingelegt, wäre dem jungen Prinzen nicht begegnet, hätte nichts von seinem Erbe erfahren und wäre vermutlich noch immer recht zufrieden mit seinem Vagabundenleben.
Nicht glücklicher als jetzt, aber immerhin zufriedener.
10
Die Kräutermischung, die der Heiler ihm verabreicht hatte, hatte Desiderius einen ganzen Tag lang schlafen lassen. Es war ein traumloser, tiefer Schlaf gewesen, der jeden Muskel in seinem Körper entspannt hatte.
Erholt erwachte er langsam aus seinem Tiefschlaf und musste einige Male blinzeln, bis er die dunkle Kammer erkannte, in der er noch immer lag.
Es war wieder dunkel geworden, vermutlich mitten in der Nacht, und nur eine Kerze brannte neben seinem Lager. Sie war fast abgebrannt, und weißer Wachs tropfte von dem niedrigen Tisch hinab auf den morschen Holzfußboden, durch dessen Rillen er das flackernde Licht aus dem Raum unter ihm wahrnehmen konnte.
Ein Geräusch ließ ihn zu Bewusstsein kommen. Desiderius drehte sich auf den Rücken und sah sich im Raum um. Augenblicklich war er hellwach.
Er hätte jeden an seinem Bett erwartet, nur nicht jene Person, die auf einem kleinen Hocker saß und ihn unbeirrt waschen wollte.
»Oh, du bist wach«, erkannte sein Bruder wenig erfreut. »Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr aufwachen.«
Desiderius zog sich die Pelze über seine Blöße, als er zurückgab: »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.«
Arerius schnaubte verachtend, doch er wich gekonnt Desiderius` fragenden Blicken aus.
Unbeirrt griff er nach den Pelzen und wollte sie mit seinen dicken, wulstigen Fingern von Desiderius’ Beinen reißen.
»Was hast du vor?«, fuhr Desiderius ihn schockiert an.
»Wonach sieht es denn aus?«, fragte Arerius gelassen. »Ich möchte deine Wunde waschen und neu verbinden.«
»Wo ist der Heiler?«, wollte Desiderius wissen.
»Er hat andere Sorgen«, erklärte Arerius und schmunzelte Desiderius daraufhin mit einem hinterlistigen Funkeln in den Augen an. »Du bist nicht der einzige, der sich gestern etwas übernommen hat.«
Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Desiderius’ Zunge aus. Er schluckte laut, bevor er sich befürchtend erkundigte: »Meinst du etwa Prinz Wexmell?«
»Es heißt, er liege mit Fieber im Bett und ist sogar zu schwach, um die Augen zu öffnen«, berichtete Arerius triumphierend. »Meine Gratulation, Bruder, du hast es geschafft, einen Prinzen fast ins Grab zu bringen.«
Desiderius‘ Herz raste voller Schuld in seiner Brust. Er richtete sich eilig auf, ignorierte den Schwindel in seinem Kopf, und wollte aufstehen.
Aber Arerius stieß ihn zurück auf das Bett und säuselte listig: »Oh nein, geliebter Bruder, du darfst nicht aufstehen. Anordnung des Heilers. Ich soll deine Wunde neu verbinden und dir dann wieder deinen Schlaftrunk verabreichen. Frühestens morgen Abend darfst du das Bett verlassen, wir wollen ja nicht, dass du dich überanstrengst.«
»Lass den Unsinn und geh beiseite!«, zischte Desiderius. Er wollte aufstehen, doch er kam nicht gegen seinen Bruder an, weil sein Körper sich noch nicht von der Erschöpfung und den Kräutern erholt hatte.
Sein bulliger Bruder stützte sich auf ihn und presste ihn damit auf die Pelze. Säurehaltiger Atem schlug ihm entgegen und ließ ihn beinahe würgen. Angewidert drehte er das Gesicht fort, um dem Geruch zu entkommen.
»Ich bring dich um, wenn du mich nicht gehen lässt«, drohte Desiderius wütend. Er hatte nur noch Gedanken daran, nach dem jungen Prinzen zu sehen. Egal, was er am Vortag zu Wexmell gesagt hatte, nun gab sich Desiderius die Schuld, weil der junge Prinz krank wurde.
»Keine Sorge«, sagte sein Bruder und ließ von ihm ab, »der Prinz ist bald wieder gesund, es ist nur die Erschöpfung, weil er die Nacht und den ganzen Tag vor deinem Zimmer gewartet hat, bis er schließlich auf dem kalten Boden eingeschlafen ist.«
Der Unterton in der Stimme seines Bruders gefiel Desiderius gar nicht. Alarmiert sah er Arerius an und beobachtete ihn genau.
Auf dem runden Mondgesicht seines Bruders zeichnete sich triumphierendes Wissen ab. Arerius setzte sich wieder auf den Hocker neben Desiderius’ Lager und verschränkte die Arme über seinem ausladenden Bauch, der fast sein dunkelblaues Seidenhemd zum Platzen brachte.
Desiderius schielte zur Tür, doch der Körper seines Bruders versperrte ihm den Weg.
»Es ist doch erstaunlich, dass niemand das Offensichtliche erkennt«, sagte Arerius und blinzelte gespielt unschuldig. »Aber mittlerweile habe ich dich durchschaut, geliebter Bruder.«
Statt etwas zu erwidern, starrte Desiderius ihn grimmig an.
»Dein drohender Blick nützt dir nichts«, grinste Arerius. »Du bist im Moment schwach und keine Bedrohung.«
»Du solltest gehen«, warnte Desiderius. »Und zwar sofort.«
Arerius überging das und begann im Plauderton zu erzählen: »Weißt du, ich glaubte ja schon immer, dass du Männer bevorzugst, die Tatsache, dass du oft an der Küste bist, war Grund genug für diese Annahme.«
»Alle Heimatlosen Bastarde sind dort, egal, wen oder was sie ficken«, warf Desiderius verärgert ein. »Ich