Es gibt für die kranken Menschen von heutzutage zwei Hauptwege, die Leiden zu bekämpfen. Die einen Kranken wollen so rasch als möglich, momentan, über das Unangenehme ihres „Falles“ hinwegkommen, mit dem Schmerz und dem Hinderlichen der Krankheit möglichst rasch aufräumen; vor lauter „Arbeit“, wohl auch vor Hang zu Lust und Vergnügen haben sie keine Zeit zum Kranksein und so greifen sie eben zu Pillen und Mixturen, zu Serum und Tuberkulin, zu Jod, Quecksilber und Ehrlich Hata und wie die Mittel und Mittelchen alle heißen und verstehen es wirklich, eine „Besserung“ herbeizuführen und sich wieder eine Zeitlang über Wasser zu halten. Sie machen aber so eine gründliche Heilung immer mehr unmöglich und eilen umso rascher und rettungslos dem Ende zu. Das ist recht so und man verlangt es nicht anders. Die Medizin entspricht damit einfach den Anforderungen der Zeit und der „Untergehenden“. Die heutige Medizin ist also ein berechtigtes und wissenschaftliches Zeitbedürfnis, im Handumdrehen gesund zu machen, ein „wissenschaftliches Wunder“ sozusagen und es ist kein Grund vorhanden, sie von diesem Standpunkt aus zu bekämpfen. Sie wird ihrer Aufgabe, ihrer Nachfrage ganz gerecht und ist ihr heute mehr gewachsen denn je.
Die andern Kranken, man heißt sie oft die „Dummen, Rückständigen“, in Wirklichkeit sind es die gegen sich Ehrlichen, Intelligenten, noch Lebensfähigen, wollen die Ursachen der Krankheiten, die man sehr oft nicht gelten lassen will, beseitigen, wollen das Übel mit der Wurzel ausreißen, d. h. den Menschen heilen, nicht bloß die Flammen der Krankheit für Stunden, Tage oder Wochen am hellen Auflodern verhindern und dabei doch den Feuerherd im Körper belassen. Wer diesen Weg betreten und sich wieder kerngesund machen will, muss sich auch ans Herz greifen und Opfer bringen können. Er selbst ist hier sein verantwortlicher Arzt und Berater, es kann ihm nur die Richtung und die Bahn gezeigt werden. Das ist es, was ich mir in der vorliegenden Schrift zur Aufgabe mache.
Zwischen diesen beiden Extremen liegt die Naturheilkunde, die insofern in eine missliche Lage kommt, weil sie zwar den Menschen heilen will, aber fast immer, ohne die Krankheit, den Heilprozess zu verhindern, aber auch ohne die Hauptursache der Krankheit, das „gute Essen“ zu beseitigen. Wirklich natürlich geheilt werden wollen heißt, nach der Lehre leben, die die Natur im Tierreich anwendet: fasten und nichts „Künstliches“, d. h. Gekochtes essen, also nur Obst und Pflanzliches. Es soll dabei nicht geleugnet werden, dass die einzelnen Hilfsmittel der Naturheilmethode, der vernünftige Gebrauch von Luft und Wasser (Bädern), die Erfolge des Fastens noch fördern können.
Wie dieses Fasten vor sich gehen soll, welche Speisen im Allgemeinen zu meiden sind, soll im nachstehenden dargelegt werden, soweit dies möglich ist, ohne dem Individuum als solchem zu nahe zu treten und die individuellen Heilvorschriften zu verletzen. Diesen Vorschriften kann nur durch persönliche Ratschläge von Fall zu Fall genügt werden. Meine denkenden Leser haben aber auch aus meinen bisherigen Darlegungen allgemeiner Art reichen Nutzen geschöpft, aus der erweiterten Ausführung werden sie es noch um so bestimmter tun können.
Wenn die wissenschaftlich sein wollende Schulmedizin auch mir gegenüber auf ihrer mittelalterlichen Ausnahmestellung in der Ignorierung einer vorauseilenden Laien-Entdeckung beharrt, so richtet sie sich eben damit selbst. Hat sich denn wirkliche Wissenschaft, namentlich die Naturwissenschaft und die Technik, darum gekümmert, ob ihre Entdecker Laien waren? Allerdings hat man auch über Franklin und Galvani, über Edison und Zeppelin gespottet und gelacht, aber man hat doch hier das Durchdringen des Laiengenies respektiert und anerkannt. Die Medizinschule jedoch sagt ihren Kandidaten höchstens so beiläufig etwas von einem Prießnitzschen Umschlag, verschweigt aber, dass Prießnitz ein Laie war.
Ich teile weder die unbedingt feindliche Stellung gegen die Medizin im Lager der Naturheilkunde noch irgendeine Strömung des modernen Kurpfuschertums. Es muss sogar unzweideutig gezeigt werden, dass auf dieser Seite eine grenzenlose Charlanterie unter der Flagge „Natur“ getrieben wird. Meine Stellung und Beweisführung für obige Behauptung ist ganz exklusiv.
I. Die gemeinsame Grundursache im Wesen aller Krankheiten.
„Sie sind ein wirklicher Wohltäter der Menschheit! Ich wäre glücklich für alle Menschen, wenn sie nach Ihren einzig richtigen Grundsätzen leben würden ...!“
Heinr. Knote, kgl. Kammersänger.
Alle Phasen des Entwicklungsprozesses der Heilkunde, die der ersten Kulturperioden eingeschlossen, haben in ihrer Vorstellung vom ätiologischen (ursächlichen) Wesen der Krankheiten das eine gemeinsam, dass die Krankheiten auf Grund äußerer Ursachen in den Menschen eindringen und ihn somit, kraft eines notwendigen, wenigstens unabwendbaren Gesetzes, in seinem Dasein stören, schmerzen und schließlich umbringen. Dieses Grundtones dämonischer Vorstellung hat sich selbst die moderne Medizin noch nicht entschlagen, so wissenschaftlich aufgeklärt sie auch zu sein vorgibt. Gerade die modernste Errungenschaft, die Bakteriologie, freut sich über jeden neuentdeckten Bazillus, als einen weiteren Gesellen im Heere der Wesen, die da bestimmt sein sollen, das Leben des Menschen zu gefährden.
Im philosophischen Lichte betrachtet, unterscheidet sich diese Auffassung vom mittelalterlichen Aberglauben und vom Zeitalter der Fetische nur durch das vertauschte Wort. Ehemals war es ein bis zur „teuflischen Persönlichkeit“ in der Vorstellung verdichteter „böser Geist“, jetzt aber ist dieses Unheil anrichtende Wesen ein mikroskopisch sichtbares Wesen und seine Existenz ist exakt nachgewiesen.
Zwar hat die Sache noch einen großen Haken mit der „Disposition“. Ein schönes Wort! Aber was darunter zu verstehen ist, hat uns noch niemand gesagt. Alle Tierversuche mit ihren Symptomenreaktionen beweisen deshalb nichts Sicheres, weil diese nur bei Injektion in die Blutbahn, niemals aber bei Aufnahme in den Verdauungskanal durch den Mund auftreten.
In der Vorstellung vom Eindringen, vom „Vonaußenherkommen“ der Krankheit ist etwas Wahres, auch bei Vererbung, aber nicht in dem Sinne, dass der Eindringling ein dem Leben feindlicher Geist (Dämon) oder ein mikroskopisches Wesen (Bazillus) ist, sondern alle Krankheiten ohne Ausnahme, auch die vererbten, kommen – von wenigen andern unhygienischen Ursachen abgesehen – einzig und allein von biologisch unrichtiger, „unnatürlicher“ Nahrung und von jedem Gramm Überernährung her.
Zunächst behaupte ich, dass bei allen Krankheiten ohne Ausnahme ein Bestreben des Organismus vorliegt, Schleim1 und in vorgeschrittenem Stadium Eiter (zersetztes Blut), auszuscheiden. Dies wird mir jeder Sachverständige bei allen katarrhalischen Erscheinungen vom harmlosen Schnupfen bis zur Lungenentzündung und Schwindsucht zugeben. Wo diese Schleimabsonderung nicht offen zu Tage tritt, wie bei Ohren-, Augen-, Haut-