Bislang wusste ich nur das, was alle wissen, dass es neun Monate dauert, einem oft übel ist und man komische Essgelüste hat. An der Übelkeit hatte ich auch gemerkt, dass ich schwanger war. Am ersten Tag, als ich morgens auf die Toilette gerannt war, um mich zu übergeben, hatte ich noch an eine Magenverstimmung gedacht. Doch schon am nächsten Tag, als sich die gleiche Szene wiederholte, war mir der Gedanke gekommen, dass ich schwanger sein könnte. Gleich darauf war ich in die Apotheke gegangen, um einen Schwangerschaftstest zu kaufen. Nach Hause zurückgekehrt, zögerte ich jedoch, den Test zu machen. Ich hatte das Päckchen in die Hausapotheke gelegt, als würde es auf einen passenden Moment warten, bis man den Test brauchen würde. Zunächst war ich etwas unentschlossen durch die Wohnung gelaufen, es war mir dann aber doch gelungen, mich abzulenken. Erst als ich abends zu Bett gegangen war und mit offenen Augen durch das Fenster eine Weile in die schwarze Nacht gestarrt hatte, war ich plötzlich aufgestanden und hatte im Dunkeln den Weg zum Medizinschrank gesucht. Vorsichtig hatte ich nach der Schachtel getastet, die ich nach ganz hinten gelegt hatte. Nach ein paar Tastversuchen wusste ich, dass ich die richtige Schachtel in den Händen hielt. Ich hatte mich umgedreht, nach dem Toilettendeckel gegriffen und gestaunt, wie zielsicher man sich in seiner Wohnung zurechtfindet, auch wenn man fast nichts sieht. Bevor ich mich jedoch auf die Toilette setzte, lehnte ich mich gegen die Wand. Die Kühle der Fliesen war in meinen Körper geströmt, und ich fand es angenehm, dass ein kalter Schauer über meinen Körper lief. Meine Brustwarzen stellten sich auf, und ich spürte, wie plötzlich Erregung in mir aufstieg. Dieses Gefühl hatte ich schon lange, sehr lange nicht mehr empfunden. Ich genoss den Moment und zögerte es hinaus, den Test zu machen. Mein Kopf wurde durch die Kühle immer klarer und meine Gedanken ruhig und gleichmäßig.
Schließlich schaltete ich das Licht an, setzte mich auf die Toilette und pinkelte über den Teststreifen. Kurze Zeit später waren zwei rote Balken in dem Sichtfensterchen erschienen, und ich hatte die Bestätigung für das, was ich ohnehin schon geahnt hatte.
Nachdem ich den Test gemacht hatte, hat mich die Erkenntnis, schwanger zu sein, weder beunruhigt noch gefreut. Doch jetzt, wo ich hier vor der Weltkarte stand und mich nicht traute, die Augen zu öffnen, um zu wissen, wo der Pfeil getroffen hatte, fühlte ich Freude in mir aufsteigen, über das Leben, das in mir wuchs. Ich war froh, dass ich Veränderungen an mir entdeckte, die die Schwangerschaft anzeigten, und wollte unbedingt noch mehr entdecken. Ich wollte dazu nicht nur im Internet recherchieren, sondern auch in eine Buchhandlung gehen und mir entsprechende Bücher besorgen. Gleich dann, wenn ich meine Augen geöffnet haben würde.
Wir, Rolf und ich, hatten uns Kinder gewünscht. Ich hatte auch bereits die Pille abgesetzt, war aber dennoch nicht schwanger geworden. Es war noch kein großes Thema zwischen uns beiden gewesen, denn gerade ich hatte es noch nicht so eilig gehabt, und so hatten wir uns nicht davon beunruhigen lassen, dass ich auch einige Monate nach Absetzen der Pille noch nicht schwanger war. Ich hatte mich damit getröstet, dass ich so meinem Beruf noch eine Weile uneingeschränkt nachgehen konnte, denn ich hatte die Stelle erst kurze Zeit vorher angenommen, und meine Arbeit machte mir viel Spaß.
Es kam mir komisch vor, dass ich ausgerechnet dann schwanger wurde, als mein Körper völlig ohne Kraft war. Ich fragte mich, warum sich gerade in meinem Körper, der sich in den letzten Monaten nur noch wie eine leere Hülle angefühlt hatte, ein neues Leben eingenistet hatte. Ich empfand es als falsch von der Natur. Oder war es genau deshalb passiert, damit auch meine Lebensgeister wieder geweckt wurden?
Wie auch immer, ich musste mich nun dieser Aufgabe stellen. Mutter würde ich sein, mit Freude und Hingabe für mein Kind. Alleine wollte ich das machen, Lars sollte nie erfahren, dass er der Vater des Kindes war. Es gab keinen Vater, diesen Entschluss hatte ich fest gefasst. Vielleicht würde ich dem Kind später mal erzählen, dass Rolf sein Vater sei, dann müsste ich aber das Datum seines Todestages ändern. Ich bezweifelte, dass eine solche Lüge unentdeckt bliebe, daher verwarf ich den Gedanken wieder. Also, das Kind wird ohne Vater aufwachsen, basta, dachte ich trotzig. Ich könnte immer noch behaupten, dass es ein One-Night-Stand gewesen war, wenn mich mein Sohn oder meine Tochter später mal fragen sollte, und letztendlich war es das ja auch gewesen. Zwar kannte ich Lars schon lange, aber dennoch waren wir nur in dieser einen Nacht intim gewesen. Im Nachhinein betrachtet, ist es verwunderlich, dass es nur dieses eine Mal gegeben hat, denn wir hatten in den letzten Monaten viel Zeit miteinander verbracht, und ich hatte mich oft an seiner Schulter ausgeweint. Lars hatte die Situation aber nie ausgenutzt und die freundschaftliche Ebene nicht verlassen – bis auf diesen einen Abend.
Wenn ich mich richtig daran erinnerte, dann war ich es gewesen, die ihn zuerst geküsst hatte. Wir waren im Kino gewesen und anschließend war er noch mit in meine Wohnung gekommen, um mich auf andere Gedanken zu bringen, denn der Film hatte von einer Frau gehandelt, die ihren Mann und ihren Sohn bei einem Autounfall verloren hatte. Die Ähnlichkeit mit meiner Lebensgeschichte hatte mich so überwältigt, dass ich im Kino in Tränen ausgebrochen war und wir die Vorstellung vorzeitig verlassen hatten. Lars hatte sich hundertmal entschuldigt, denn er war es gewesen, der den Film ausgesucht hatte. Er hatte nicht gewusst, wovon der Film handelte. Lars hatte lediglich gelesen, dass der Film alle Facetten menschlicher Größe und Überlebenskraft widerspiegele. Lars hatte das passend gefunden und wollte mich mit dem Film aufbauen. Dass die Schicksalsgeschichten sich dann aber so sehr ähnelten, hatte er nicht gewusst und sich sehr dafür geschämt. Vielleicht war es diese Scham gewesen, die ihm an diesem Abend die Stärke genommen hatte, sich mir zu widersetzen. Ich hatte es schon das eine oder andere Mal versucht gehabt, mich ihm zu nähern, er hatte aber immer abgeblockt. Meine Annäherungsversuche waren nicht von Lust auf Intimität getragen gewesen, vielmehr war der Wunsch, ihm nah zu sein, nur dann aufgekommen, wenn ich das Gefühl hatte, dass er mir entglitt. Einerseits hat er keinen Hehl daraus gemacht, dass er Interesse an mir hat, andererseits hat er aber auch nicht den Versuch unternommen, mich zu erobern, weder vor Rolfs Tod noch danach. Ich habe mich mehr als ein Mal gefragt, warum er das nie versucht hat. Gerade nach Rolfs Tod hätte er seine Chance als gekommen ansehen müssen. Waren es seine Größe und Reife gewesen, die er zweifelsohne besaß, der bloße Anstand oder die Tatsache, dass ich mit meinem dauernd verheulten Gesicht nicht attraktiv war? Ich hatte mich in den letzten Monaten nicht viel um mein Aussehen gekümmert. Lange war es her, dass ich mir neue Kleidung gekauft hatte. Obwohl das eigentlich nötig gewesen wäre, denn alles, was ich trug, war mir zu groß. Seit dem Unfall hatte ich viel abgenommen, und die Hosen und Pullover hingen wie Säcke an mir. Ich war mal eine schöne Frau. Mit meinen rotbraunen Haaren bin ich überall aufgefallen, und in der Sonne haben sie feuerrot geschimmert. Mittlerweile hingen meine Haare nur noch stumpf herunter. Schwärmte Lars nicht mehr für mich, war er vielleicht gar nie in mich verliebt gewesen, hatte ich mich immer mal wieder gefragt. Immer dann hatte ich einen Beweis für seine Zuneigung haben wollen. Eigentlich war das unnötig, denn Lars hat mir mit all der Unterstützung, die er mir zuteilwerden ließ, tausendfach gezeigt, dass er mich sehr mochte. Keiner meiner Freunde hat sich nach dem Unfall so sehr um mich gekümmert wie er. Nicht mal meine beste Freundin Marlis hat so an meiner Seite gestanden wie Lars.
Nur selten hat Lars von sich aus von anderen Frauen erzählt, und ich habe nicht gewagt zu fragen. Ich habe mich daher immer in der Hoffnung gewiegt, dass es da niemanden gibt. Ich wollte ihn ganz für mich alleine haben. Ich wusste, dass das egoistisch war. Er sollte da sein und mir dadurch guttun, und dass, obwohl ich mir sicher war und bin, dass ich keine Partnerschaft mit ihm möchte. Früher, als Rolf noch gelebt hat, war dieses Gefühl, von Lars begehrt zu werden, ein angenehmes Prickeln gewesen, das ich nach einem Treffen mit ihm mit nach Hause genommen hatte und das sich dann manchmal in einer leidenschaftlichen Nacht mit Rolf entlud. Seit dem Unfall brauchte ich dieses Gefühl aber, um Geborgenheit zu spüren. Lars war zu meinem wichtigsten Menschen geworden und derjenige, der mir am meisten Halt gab.
Als wir an dem Abend nach dem Kinobesuch miteinander schliefen, war das kein tolles, erotisches Erlebnis gewesen, sondern es war einfach passiert. Nachdem ich meine Lippen auf seine gepresst hatte und ihm keine andere Möglichkeit gelassen hatte, als meinen Kuss zu erwidern, hatte er mich zum Sofa geführt, mir das T-Shirt abgestreift und die Hose ausgezogen. Als ich nur noch in BH und Slip dort