Die Wände waren bemalt mit zahlreichen geistlosen Sprüchen wie:
Jutta, du Schlampe! Dich mach ich kalt, weil du dich von anderen ficken lässt Uwe ist ein Verräter! Fuck the Justice!
usw.
Doch im Moment interessierte mich gar nichts mehr. Ich war eingesperrt, konnte nicht vor und nicht zurück. Verzweiflung kam auf, Hilflosigkeit und Sehnsucht. Mein Körper hier, meine Ge danken draußen.
Es war schon dunkel, aber noch nicht spät. Michael fragte, ob er das Licht ausmachen solle. Ich glaube, es war noch keine 21 Uhr.
Mir war’s egal. In mir war alles erstarrt. Irgendwann müssen mir die Augen zugefallen sein. Mein erster Tag in der neuen Zelle.
Ich weiß nicht mehr, wann ich aufgewacht bin. Jedenfalls war es lange vor der Frühstücksausgabe.
Mein erster Blick traf auf das Fenstergitter und schlagartig wur de mir wieder bewusst, wo ich war.
Mein Zellenkollege Michael rollte sich verschlafen aus dem Ge stell, das sie Bett nannten. Eine wacklige Konstruktion aus ein paar Rohren und einem Metallrahmen. Jede Körperbewegung ei nes oben oder unten Liegenden verursachte knarrende Geräusche und versetzte das Teil in einen schwingenden Zustand.
Ich drehte mich zur Seite, als Michael sein Geschäft auf der Toilette verrichtete. Mir wurde übel. Es stank fürchterlich. Dieses Ritual „durfte“ ich nun jeden Morgen erleben.
Irgendwann setzte ein schriller Signalton der Stille ein Ende.
Es kam Betrieb auf im Haus. Lautes Türenknallen, das Rattern von Transportwagen, Stimmengewirr. Fenster wurden aufgerissen und wieder zugeknallt, die Geräusche des Auf und Zuschließens der Zellen.
Als erstes erschien eine Beamtin mit einem knappen „Guten Morgen“. Auf die Erwiderung des Grußes wartete sie erst gar nicht, sondern ging direkt zum nächsten Haftraum.
Zwei Häftlinge knallten uns ein paar Scheiben Brot und etwas Marmelade auf die Teller. Michael ließ sich heißes Wasser geben und ich besorgte mir Briefpapier, Umschläge und alles an Formu
laren, was vorhanden war. Das Ganze dauerte vielleicht zwei Mi nuten, schon donnerte die schwere Eisentür wieder ins Schloss.
Ich fragte mich, ob die überhaupt wussten, wer sich in den Zel len befand. Oder war ich nur eine Nummer, die man gezwungen war, am Leben zu erhalten?
Nach einem Kaffee und einer Zigarette erwachten bei Michael langsam die Lebensgeister. Ich musste erst etwas essen. Vorher konnte ich nicht rauchen. Das habe ich noch nie gekonnt.
Michael erzählte, dass sein Anwalt in der nächsten Woche in die JVA kommen wolle, um mit ihm den Prozess durchzusprechen.
„Worum geht’ s denn da eigentlich, wenn du schon sieben Jahre hinter dir hast?“, fragte ich ihn.
Michael schwieg eine Weile und drehte sich eine neue Zigaret te. Seine Gesichtszüge verhärteten sich zunehmend und die Au gen flackerten. Sein rechtes Bein zuckte wie eine Nähmaschine permanent auf und ab.
„Du musst mir nichts erzählen, wenn du nicht willst“, versuch te ich die Situation etwas zu entschärfen. „Ich bin eh nächste Woche hier weg. Also, was soll’s!“
Anscheinend animierte ihn meine Offenheit vom gestrigen Tag, als ich ihm kurz meine eigene Geschichte schilderte.
„Ich bin verurteilt zu sieben Jahren Knast wegen illegalen Waffenhandel, Förderung der Prostitution, Menschenhandel und Mit gliedschaft in einer kriminellen Organisation.
Ich habe einen Club im Berliner Rotlichtmilieu geleitet, bin mit einer Russin verheiratet und habe eine Tochter von acht Jah ren.
Die Staatsanwaltschaft hat noch eine alte Sache ausgegraben und angeboten, bei Nennung der Hintermänner, die Kronzeugenre gelung anzuwenden und auf Bewährung zu plädieren.
Damit ginge ich nach der Verhandlung als freier Mann hier raus. Aber dann wäre ich wahrscheinlich auch ein toter Mann.
Die RussenMafia duldet keine Verräter.“
Ich musste unweigerlich schlucken. Das kam mir doch alles ir gendwie bekannt vor, was er da von sich gab, obwohl ich mit ganz anderen Sachen zutun gehabt hatte.
Mir war es auch im Moment egal, ob das alles stimmte, wovon er erzählte. Ich sah nur den Mann, der ins bürgerliche Leben zu rück wollte zu Frau und Kind und der rücksichtslosen Verbre chern ausgesetzt sein würde, falls er gegen deren Willen handelte.
Es war so, als ob ich in einen Spiegel schauen ürde.
Exakt auf die Minute um 11 Uhr, wurde die schwere Eisentür aufgeschlossen und zur Freistunde gerufen.
Im Gang versammelte sich die ganze Station und man konnte sehen, wer sich so alles hinter den sonst verschlossenen Türen an derer Zellen befand.
Man führte uns auf einen kleinen Hof, der inmitten von mehre ren, zusammenhängenden Gefängnisgebäuden lag.
Als Erstes, fiel mir auf, dass die Leute sofort damit begannen, wie die Tiger in einem Käfig, im Kreis zu laufen. Ein Sammelsuri um von Gestalten, die ich zum Teil schon im Polizeigewahrsam gesehen hatte, drehte seine Runden. Andere schienen bereits län ger hier zu sein und gingen zielstrebig zu den Fenstern der an grenzenden Zellentrakts.
Lautstark riefen sie irgendwelche Namen bis sich die Fenster öffneten. Gegenstände wurden heraus geworfen. Ein heilloses Spra chengewirr unterschiedlichster Nationalitäten beschallte den klei nen Hof.
Einige Leute versuchten sich im Joggen, obwohl dafür eigent lich kein Platz war. Andere sahen aus, als ob sie gerade von einer Karnevalsveranstaltung kommen würden; eingezwängt in viel zu kleine oder zu große Anstaltskleidung.
Es tat gut, etwas Sonne und frische Luft zu bekommen.
„Lass uns ein paar Runden gehen“, sagte Michael, „dann quatscht uns auch so schnell keiner an. Habe da heute keinen Bock drauf. Die Meisten hier sind frisch eingefahren und haben gar nichts. Die schnorren dich eine Stunde lang an wegen einer Zigarette. Gibst du etwas, wirst du sie nicht mehr los. Hier weiß man sofort, ob jemand etwas hat oder stier ist.“
„Stier? Was ist das denn?“ Diesen Ausdruck hatte ich noch nie gehört.
„Stier heißt soviel, wie mittellos sein. Blank! Pleite! Der hat halt nichts“, erklärte Michael.
Ich befolgte seinen Rat und lief nun auch im Kreis.
Wir sprachen nicht viel. Jeder war in seinen Gedanken versun ken. Meine gingen in Richtung Beate und was nun werden wür de. Ich nahm mir vor, sofort am Nachmittag einen Brief zu schrei ben.
Das Mittagessen klatschte man uns, wie üblich, auf die Teller. Es gab eine undefinierbare Mischung aus Reis und einer Fleisch soße, deren Bestandteile man nicht erkennen konnte.
Es war eng in der Hütte. Auf 8 qm mit zwei Personen zu leben, an jeder Ecke anzustoßen, sich auch bei den kleinsten Dingen arrangieren zu müssen, steigerte die Belastung enorm.
Der größte Faktor aber war, mit einer wildfremden Person, die man noch nie vorher gesehen hatte und sich nicht aussuchen konn te, klarzukommen. Ob man wollte oder nicht.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass Michael unter diesen Be dingungen, noch ein Glückstreffer war.
Uns beiden war klar, die gemeinsame Zeit, die wir miteinander auskommen mussten, war absehbar.
Ich schrieb den ganzen Nachmittag meine Eindrücke und Er lebnisse in einem Brief an Beate nieder. Es tat gut, die Gedanken freizulassen, meine Ängste mitzuteilen und über die ständige Be aufsichtigung zu berichten. Michael lieh mir eine Briefmarke, damit ich den Brief am nächsten Morgen abgeben konnte.
Um 21 Uhr machten wir das Licht aus und jeder hing seinen