Selbstverständlich hatte ich mir das nur gedacht, anderenfalls wäre ich meiner potentiellen Enterbung bereits einen großen Schritt näher gewesen.
»Das waren noch andere Zeiten«, sagte ich stattdessen. »Heutzutage bekommen viele erst später Kinder.«
»Mag schon sein, aber du hast ja noch nicht einmal eine Frau, mit der du überhaupt Kinder machen könntest. Sieh doch mal zu, dass sich da wenigstens mal was tut.«
Selbst wenn es ein wenig harsch klang, konnte niemand abstreiten, dass er recht hatte. Meine sogenannten Beziehungen bisher waren kurz und bedeutungslos gewesen, und im Augenblick war diesbezüglich ohnehin Funkstille angesagt. Im Meer der Liebe tuckerte ich mit einem alten Kahn dahin, wobei ich weder ein Navigationsgerät noch Benzinreserven besaß, die mich in den nächsten Hafen bringen konnten.
»Mann, Mann, Mann, sieh dir nur an, was ich für ein Zeug rede«, meinte mein Vater nach einer schweigenden Pause. »Hör einfach nicht hin. Ich klinge ja schon fast wie deine Mutter. Erzähl ihr das bloß nicht!«
Aufmunternd klopfte er mir auf die Schulter.
»Du wirst schon noch die Richtige finden, keine Sorge.«
Sein Lächeln wirkte versöhnlich und aufbauend. Ich lächelte ihm ebenfalls zu, dann zerriss ein Klingeln die Stille. Das Glöckchen über der Eingangstür der Metzgerei kündigte das Eintreten von Frau Huber an. Sie war seit vielen Jahren Stammkundin, die uns ausschließlich samstagvormittags beehrte.
»Frau Huber!«, rief ihr mein Vater entgegen und sprintete hinter die Theke, als wollte er an den nächsten Olympischen Spielen teilnehmen.
Ich blieb sitzen, nahm einen neuerlichen Bissen von der Wurst und kam nun nicht drum herum, über mein Leben nachzudenken. Es war immerhin nicht so, dass ich mich nicht nach einer Partnerin gesehnt hätte, aber sich einfach so zu verlieben und geliebt zu werden, das war leichter gesagt als getan. Gut möglich, dass andere damit weit weniger Schwierigkeiten hatten, aber mir fehlte es in dieser Hinsicht an gewissen körperlichen Attributen und bestimmt auch an einer Portion Selbstbewusstsein.
Dennoch: Wenn ich nicht ewig allein bleiben wollte, dann musste ich tatsächlich endlich einmal die Initiative ergreifen, denn es war höchst unwahrscheinlich, dass die Frau meiner Träume aus heiterem Himmel an meiner Tür klingeln würde, nach dem Motto: »Hallo, darf ich mich vorstellen?« Auch wenn das – zugegeben – ziemlich praktisch und genau nach meinem Geschmack gewesen wäre.
Als ich das Brot und die Würste verputzt hatte, tendierte ich dazu, diese ganze Angelegenheit fürs Erste auf sich beruhen zu lassen. Ich war jetzt bereits so lange Single, da würde es auf ein paar Tage, Wochen oder Monate nicht mehr ankommen. Außerdem dachte ich nicht daran, mir meine Geburtstagparty von einer mittelstarken Sinnkrise verderben zu lassen. Das Vorbereiten des Grillfleisches würde zudem meine ganze Konzentration in den nächsten Stunden in Anspruch nehmen, da durfte ich mich nicht mit unnötigem Firlefanz ablenken.
Ich begab mich schließlich in den hinteren Teil der Metzgerei, zog mir die durchsichtigen Einweghandschuhe an und nahm das große Fleischmesser. Mit dem ersten Schnitt stand meine Entscheidung dann auch endgültig und unumstößlich fest: Meine zukünftige Freundin musste noch ein wenig warten. Jetzt hatten erst einmal die Schweinekoteletts Vorrang.
Kapitel 3: Meine Koteletts und ich
Gegen fünfzehn Uhr kamen Peter und Uwe, um mir bei den letzten Vorbereitungen zu helfen. Wir holten die Klapptische und Klappstühle aus dem Keller und stellten sie im Innenhof auf. Anschließend brachten wir die gekühlten Getränke nach oben und zu guter Letzt führte ich die beiden in die Metzgerei, um auch das Fleisch hinaus neben den Grill zu verlagern.
»Ach, du meine Güte!«, rief Uwe aus, als er die von mir liebevoll marinierten Schweinekoteletts sah. »Willst du etwa die ganze Bundeswehr versorgen?«
»Das ist der größte Haufen von zerstückelten Tieren, den ich je gesehen habe«, entgegnete Peter sichtlich beeindruckt. »Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
»Was heute nicht gegessen wird, kann morgen als Frühstück herhalten.«
»Ein paar Kilogramm Schwein als Frühstück?«, erwiderte Uwe mit einem schelmischen Grinsen.
»Du kennst ja mein Motto: Das eine oder andere Kotelett am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.«
Es war weniger mein Motto, sondern eher als Scherz gemeint. Da meine Freunde laut auflachten, hatte ich die beabsichtigte Wirkung auch tatsächlich erzielt.
»Und das ist also dein neues Prachtstück?«, fragte Peter, nachdem wir die Teller voller Fleisch auf den dafür vorgesehenen, runden Tisch neben dem Grill abgestellt hatten.
»Yep!«, rief ich stolz aus, als präsentierte ich meinen Erstgeborenen. »Der Firemaster 2000! Vergesst jeglichen Fraß, der euch bisher vorgesetzt wurde. Heute speisen wir wie die Könige!«
»Ich nehme dich beim Wort«, meinte Uwe, wobei sein Blick etwas anderes sagte. »Auch wenn es vielleicht Leute gibt, die meinen, dass du dich etwas weit aus dem Fenster lehnst.«
Er deutete in Richtung Peter, der wiederum seine unschuldigste Miene aufsetzte.
»Nun ja, schließlich behauptest du das bei jedem neuen Grill«, verteidigte er sich. »Und geschmeckt hat es natürlich immer. Nur ...«
Während einer dramaturgischen Pause legte er seine Stirn in Falten, so als versuchte er sich angestrengt an etwas zu erinnern.
»Ehrlich gesagt, einen Unterschied habe ich bisher noch nie geschmeckt.«
»Judas!«
Meinen anklagenden Ausruf unterstrich ich mit einem ausgestreckten Zeigefinger, der auf seine Brust deutete.
»Ein einziges Kotelett bekommst du heute von mir. Und nur aus dem Grund, damit du weißt, was du in Zukunft versäumst, denn für deinen Frevel sollst du kein weiteres Stück Fleisch von meinem wunderbaren Grill erhalten.«
Meinen gespielten Unmut konnte ich nicht ganz bis zum Ende meiner pathetischen Rede durchhalten, und so lachten wir bereits neuerlich, ehe ich zu Ende gesprochen hatte.
»Wann geht es eigentlich genau los?«, fragte Uwe.
»In etwa einer Stunde sollten die Ersten kommen«, antwortete ich, nachdem ich meine Armbanduhr konsultiert hatte.
»So lange lässt du deine besten Freunde doch wohl nicht auf dem Trockenen sitzen, oder?«
Uwe deutete mit seinem Kinn auf die Bierkiste, die er zuvor nach oben geschleppt hatte.
»Lasst den anderen aber noch etwas übrig«, erwiderte ich seufzend, denn Uwe hatte bereits zwei Flaschen geöffnet.
»Willst du auch?«
»Nein, danke. Ich möchte mich erst noch umziehen. Das heißt, wenn ich euch beide inzwischen allein lassen kann.«
Meine Freunde tauschten neckische Blicke aus und schon musste ich befürchten, dass das eine dumme Idee gewesen war. Wer wusste schon, welcher Unsinn den beiden einfiel?
»Geh nur, wir werden ganz artig sein«, versprach Peter unheilvoll grinsend, während Uwe überhaupt nichts sagte und mich lediglich lammfromm ansah, was noch weitaus bedrohlicher auf mich wirkte.
»Lasst einfach die Finger vom Fleisch, okay?«
Ich wartete auf keine weitere Reaktion der beiden, sondern wandte mich mit ungutem Gefühl von ihnen ab und ging hinauf in mein Zimmer. Dort hatte ich mir schon am Vortag drei Hemden auf die Kommode gelegt, zwischen denen ich mich nun entscheiden wollte. Welches davon war das absolute Geburtstagshemd?