Lord Geward. Peter P. Karrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter P. Karrer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847617402
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Gesetzen? Wer wird mich verteidigen, meine teure, noch nie benötigte Rechtsschutzversicherung wird mir hier sicher nicht helfen. Wer wird für mich sprechen? Ist das Jüngste Gericht überhaupt ein Gericht, oder nur ein Gerücht, oder einfach die Erfindung der Kirche, um ihre Schäfchen, ihre vielleicht dummen Schäfchen, gefügig zu machen?

      Vielleicht urteilt man nur über mich, hört mich gar nicht an, aber ich habe ein Recht auf Verteidigung! Mein Gott, welches Recht?

      Meine Kirchenbesuche waren zugegebenermaßen sehr selten und das letzte Mal zur heiligen Kommunion.

      Abgesehen vom verhassten Klosterkindergarten - in dem wir Kinder, wie hilflose Schäfchen, mit nach vorne auf dem Tisch, auf unseren verschränkten Armen gebeugten Köpfen, unsere Mittagsruhe verbringen mussten und die strengen Augen der schwarzen Schwestern fürchteten - war ich ein schlechter Kirchengänger. Ach, wie hasste ich die selbstherrlichen, selbstgerechten und ungerechten, alles besserwissenden, schwarzen Schwestern. Noch lange, bis zu meinem zwölften Lebensjahr, träumte ich von ihren geröteten, alten, bösen Augen und an Spinnenbeine erinnernden faltigen Händen.

      Mein Kirchenaustritt - mit zweiundzwanzig Jahren, um letztendlich nur Steuern zu sparen - wird meine Lage vor dem Jüngsten Gericht sicher auch nicht verbessern, aber wenigstens konnte ich mit dem Austritt ein dunkles Kapitel meiner Kindheit abschließen.

      Ansonsten war ich aber doch ein ordentlicher Mensch, oder?

      Bis auf ein paar Notlügen - die meisten um die Schule oder später die Arbeit zu schwänzen, um ungeliebte Arbeit einem Kollegen zuzuschieben oder ein paar Biere bei einer Alkoholkontrolle runterzurechnen - habe ich niemanden belogen oder betrogen.

      Wenigstens nicht mit Absicht.

      Absicht, na ja, meinen Chef habe ich, nach durchzechter Nacht schon belogen: Da habe ich mich doch des Öfteren krank gemeldet. Aber krank ist, wenn man sich körperlich gebrechlich fühlt; genau wie eben nach einer Kneipentour. Sich krank zu melden, ist demnach nicht einmal eine Lüge, sondern die reine Wahrheit oder wenigstens beinahe.

      Toll, der erste Teil meiner Verteidigung ist abgehakt.

      Wie ist es aber mit meinen mangelhaften Kirchenbesuchen? Das dürfte kein Problem sein: Kirche ist nicht gleich Glauben!

      Glauben, da ist mein Problem! - Habe ich den richtigen Glauben? Hinduismus, Buddhismus, christlicher Glaube oder der Islam oder doch besser das Judentum. Wie soll man da noch den Überblick behalten und sich richtig entscheiden?

      Genau die große Auswahl hat verhindert, dass ich mich entschieden habe. Für das Thema „mangelnder Glaube“ habe ich nun auch die richtigen Argumente oder wenigstens Ausreden.

      Meine Verteidigung steht, wenn, ja wenn, ich mich verteidigen darf.

      Keine schlechte Ausgangsbasis. Außer, Ja... außer, wenn es stimmt, und Gott uns ins Herz schauen kann, dann, ja dann ist meine ganze Notlügenkonstruktion nutzlos.

      Mein Gott, wie soll man sich auf eine Verhandlung vorbereiten, wenn... wenn einem niemand...

      Ein Geräusch, so natürlich wie bedrohlich, wirft mich jäh aus meinen Gedanken zurück in die neue, undurchschaubare Realität.

      Zum erstenmal, seit ich hier bin, höre ich dieses Geräusch: einen Ton, den ich sicherlich schon tausende Male, ohne ihn zu beachten, hörte. Ein Laut, der in meiner Welt keine Bedrohung darstellte, aber hier, in dieser stummen und toten Welt, ist das Geräusch so unnatürlich, so erschreckend.

      Ich umklammere mit übermenschlicher Kraft den Knauf meines Schwertes. In mir explodiert die Angst... Ich habe keine Ahnung und keinerlei Erfahrung - außer den unzähligen Ritterfilmen, die Lieblingsfilme meiner Kindheit - im Umgang mit der mir so fremden Waffe.

      Prinz Eisenherz wäre jetzt der richtige Freund oder König Artus und seine Tafelrunde.

      Wieder das furchterregende Geräusch, das Geräusch von brechenden, zersplitternden Ästen. Äste, die unter dem Druck gewaltiger Füße oder sogar Pfoten zerbrechen.

      Ich ducke mich, wie im Kriegseinsatz, hinter einen der unzähligen niederen Büsche, verfluche das schlagende Geräusch meines Schwertes gegen einen kleinen Felsen und zittere, still der Dinge harrend.

      Die Zeit verrinnt und ich wage nicht zu atmen, spüre die gewaltigen pumpenden Schläge meiner Hauptschlagader am Hals, bewege mich nicht mehr, spüre den Druck in meiner Blase ausgerechnet jetzt urinieren zu müssen und kämpfe gegen den Harndrang an. Erst jetzt erkenne ich das Problem, mein Schwert in gebückter Haltung nicht ziehen zu können.

      Wieder das deutliche Splittern von Holz; immer näher und doch kann ich nichts erkennen.

      Old Shatterhand, der Held meiner Kindheit, hätte sofort erkannt welches Tier, Rothaut oder Bleichgesicht sich ihm näherte, hätte sicher seinen Bruder Winnetou an seinen Schritten erkannt, mir aber drückt die nackte Angst den Adamsapfel gegen den Gaumen. Ich kann nicht einmal erkennen, wie viele Füße - zwei oder vier - das Grauen hat. Die Trockenheit zwischen Zunge und Rachen gleicht der Dürre der Sahara.

      Jetzt glaube ich etwas zu erkennen.

      Mein Rücken verspannt sich und jede einzelne Bandscheibe, geschädigt durch jahrelange Bürofolter, bäumt sich gegen den einseitigen Druck der ziehenden Muskulatur auf.

      Träume ich schon wieder?

      Nein, diesmal ist es kein Traum, die Panik ist begründet, die Angst real.

      Ich kann nichts erkennen. Es ist absolut still, ich spüre oder besser ich höre jeden Pulsschlag in meinen Ohren klopfen und jeder Pulsschlag endet mit einem Paukenschlag auf mein geplagtes Trommelfell.

      Nichts zu hören, absolut nichts!

      Meine Panik weicht langsam einer tiefen, bohrenden Unsicherheit. Habe ich mir alles nur eingebildet, oder werde ich langsam verrückt?

      Robinson Crusoe hielt viel länger in der Einsamkeit durch. Aber Crusoe war nur eine von Daniel Defoe in Worten gefasste Fantasie; nicht real, nicht wirklich.

      Bin ich, überhaupt real, bin ich wirklich?

      Mir fällt ein, Daniel Defoe hat die Geschichte nicht frei erfunden, sondern nur die wahren Erlebnisse eines Fischers ausgeschmückt und ausgezeichnet nacherzählt. Vielleicht entsprechen auch die langen, durchgehaltenen Jahre Robinson Crusoes der Wahrheit und ich werde nicht verrückt, habe noch eine Chance.

      Minutenlang lausche ich und versuche erfolglos die Dunkelheit zu durchbrechen. Im Vollmond könnte ich sehen, aber jetzt? Keine Chance. Der Mond, Neumond, Vollmond, es gibt keinen Mond. Auch die letzten Nächte waren dunkel und tief schwarz.

      Es gibt hier keinen Mond! Die Tatsache erschreckt mich mehr, als die Dunkelheit.

      Phantasiere ich schon wieder? Nein, das Traumland ist weit weg, alles ist echt. Ich höre nur die Stille. Und hier ist nichts!!

      Der Trommelwirbel in meinen Ohren wird langsamer und sachter und auch der Druck in meiner Kehle lässt langsam nach.

      Habe ich mir doch alles nur eingebildet?

      Diese Nacht verbringe ich in leicht gebeugter, angespannter Haltung und auch von meinem Schwert möchte ich mich nicht trennen. Es gibt mir Halt und Sicherheit, auch wenn ich zugeben muss, im Ernstfall wäre es mir sicher mehr hinderlich, als hilfreich.

      Um jederzeit kampfbereit zu sein, lege ich es neben mich und behalte den Knauf fest in der rechten, schweißnassen Hand.

      Mit weiteren Anstrengungen in der Stille doch noch ein Geräusch wahrzunehmen, falle ich in einen unruhigen, durch wirre Phantasien immer wieder unterbrochenen, wenig erholsamen Schlaf.

      Der neue Morgen begrüßt mich mit einem hellen Strahlen. Das Licht ist mein Befreier, mein Retter, nichts Schöneres könnte ich mir nach der schwarzen, nicht enden wollenden Nacht vorstellen.

      Die warmen Strahlen der Sonne pflegen meine gedehnten Sehnen und Gelenke und allmählich schafft es mein starrer, leicht unterkühlter Körper sich von den nächtlichen Strapazen zu befreien und ich bewege mich ein paar Schritte Richtung