Der Schatten in mir. Christian Milkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Milkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742770752
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Vorbereitungen für den Winter?«

      »Überall Feinde!«, sagte sie, ihren Blick auf den Boden gerichtet. »Er scheut die Sonne, aber in der Dunkelheit verfolgt er seine Machenschaften.«

      »Wirst du angegriffen?«

      »Ein Maulwurf buddelt sich durch das Erdreich, heimtückisch und frech.«

      »Und wie willst du gegen ihn kämpfen?«

      Greta kicherte und streichelte eine Pflanze mit kleinen, spitzen Blättern und lila Blüten. »Das Witwenkraut ist das stärkste unter den Pflanzen. Ein Bissen, und der Maulwurf buddelt sich nie wieder durch die Erde.«

      »So stark ist dieses Kraut?«

      Wieder kicherte sie. »Ein Blatt, und auch ein Hund steht nie wieder auf. Eine ganze Pflanze, und die Bitterkeit schnürt selbst einem Ochsen den Hals zu.«

      Jetzt bot sich hoffentlich die richtige Gelegenheit; ich probierte es ein zweites Mal: »Greta, wie sehen deine Vorräte für den Winter aus?«

      »Erst der Maulwurf, erst der Maulwurf …«

      »Aber ich …«

      »Er handelt mit Arglist, liebe Kräuterlein!«

      Es schien zwecklos, sie redete zu ihren Pflanzen. Ich versuchte, ihre Aufmerksamkeit durch einen Themawechsel zurückzugewinnen und erzählte ihr vom reisenden Söldner, der uns gestern Nacht besucht hatte, doch auch mit dieser Geschichte fand ich kein Gehör.

      Mein Rundgang ging früh zu Ende. Die meisten Dorfbewohner waren wenig gesprächig, sie bevorzugten es, in Ruhe zu arbeiten. Einige hatten bereits mit der Vorbereitung des Lagerfeuers angefangen. Ich sah den Kindern dabei zu, wie sie versuchten, das Feuer zu entfachen, und dachte an meine eigene Kindheit. Das Feuer hatte mich immer fasziniert, und es zu entfachen, empfand ich als eine Herausforderung. Wenn sich die Flammen jedoch nicht ausbreiten wollten, war ich schnell entmutigt. Um den Kindern diesen Misserfolg zu ersparen, half ich ihnen. Ich zeigte ihnen meine Zwiebelstellung: das dünne Holz nach unten und die dickeren Äste weiter oben. Wir bauten kreisförmige Schichten um die Feuerstelle herum und rammten einige sehr dicke Äste in den Boden, um die Zwiebel zu stabilisieren. Das Entfachen des Feuers überließ ich dann jedoch den Kindern – schließlich war es ihre Aufgabe.

      Während des Lagerfeuers wanderte mein Blick von einem Dorfbewohner zum anderen. Die Kinder spielten und hatten Spaß, aber die Erwachsenen lachten wenig, redeten wenig und tranken wenig. Tarlow tippte sich mit seinen Fingern ständig aufs Knie, Jack spielte permanent an seinem Bart herum, und Aminta fuhr sich mit ihren Händen immer wieder durchs Haar. Ich sah, wie einige sich zum Wald umdrehten und danach mit ihren Blicken das Dorf nach etwas absuchten, das es nicht gab. Glaubten sie wirklich, dieses Mädchen würde wiederkommen?

      Sir Caster schien nicht daran zu glauben. Er saß entspannt auf dem Boden, schaute den Kindern bei ihrem Spiel zu und schenkte ihnen ein Lächeln, wenn sie zu ihm schauten. Er war der Einzige, der seinen Kopf zu Marillas Musik bewegte, auch wenn sie düster und traurig klang. Er pfiff die Melodien mit und applaudierte nach jedem Lied. Neben ihm schien Jack der einzige Erwachsene mit guter Laune zu sein. Doch die zur Schau getragene Laune verbirgt oft die wahren Gefühle im Inneren. Ein guter Wirt kennt seine Gäste, und ein guter Anführer kennt die Bewohner seines Dorfes.

      Für die Gemeinschaft im Dorf war es wichtig, zusammen am Feuer zu sitzen und in der guten Laune zu baden, welche die Kinder verströmten. Ihr Tatendrang und ihr Ehrgeiz konnte eine Inspiration für die geschockte Seele des Dorfes sein. Ich hoffte nur, die Dorfbewohner würden ihre Ängste mit der Zeit überwinden können, um sich mit voller Kraft den Aufgaben des kommenden Winters zu widmen.

      Quinas gelbe Feuerkugel strahlte uns mit wunderschöner gelber Farbe an und sah dem richtigen Mond zum Verwechseln ähnlich. Bei diesem Spektakel klatschten wir alle in die Hände.

      »Ich kann schon die Wölfe dazu jaulen hören«, rief Sir Caster. Da fiel mir ein, dass ich mit ihm über Kolosan reden wollte, und setzte mich neben ihn. Marilla spielte ›Der Eisgigant‹ auf ihrer Laute, und der Ritter pfiff die einzelnen Strophen mit; beim Hauptteil sang er aus voller Kehle. Es war ein trauriges Lied, langsam gespielt und mit vielen tiefen Tönen, doch Sir Casters Gesang brachte einen fröhlichen Schwung hinein. Während zwei Kinder versuchten, einen Fisch aus dem Feuer zu formen, sah ich vorsichtig zu ihm hinüber. Er trug einen schwarzen Lederumhang, verziert mit kleinen, weißen Edelsteinen. Auf dem rechten Arm prangte ein segelnder Falke auf rotem Hintergrund.

      »Ein wahrhaft prächtiges Banner«, sprach ich ihn an, als Marillas Lied zu Ende war. Sir Caster applaudierte ihr und schaute zu mir herüber.

      »Der Falke über Payton Grat ist stolz und unermüdlich«, sagte er. »Er wohnt dort schon länger als die Paytons selbst, und er wird die Menschen um viele Epochen überleben.«

      »Ich habe noch nie einen Falken gesehen.«

      »In Payton Grat tummeln sie sich so zahlreich wie in anderen Städten die Ratten.«

      »Hat Euer ehemaliger König seine Heimat oft besucht?«

      Sir Caster zog seine Augenbrauen hoch. »Meiner? Er ist auch Euer ehemaliger König.«

      »Natürlich ist er das«, sagte ich und betonte: »Unser ehemaliger König.« Hier in Schwarzbach war uns einerlei, wer gerade auf dem Thron saß, doch das war dem Ritter sicherlich bewusst.

      Jetzt lächelte er. »Nicht so häufig, wie er gerne hätte, und auch ich hätte ihn mit Vorliebe öfter dorthin begleitet. Es ist eine lebhafte Stadt mit riesigen Gebäuden aus Granit, und die Berge sind von malerischer Schönheit.«

      »Wieso hat er seinen Sitz nicht dorthin verlegt?«

      »Lloyandasburg liegt nun mal in der Mitte des Königreichs. Von dort aus konnte er seine Truppen viel strategischer einsetzen.«

      Während er sprach, huschten verschiedenfarbige Lichter über ihn hinweg, rot, grün, gelb und lila, doch das Blau des Meeres wollte den Kindern nicht gelingen. Sie mixten immer mehr Feuersteine, doch je mehr sie probierten, desto unreiner wirkte die Farbe.

      »Wie schlägt sich Kolosan beim Schwertkampf?«, fragte ich Sir Caster.

      »Er macht gute Fortschritte für sein Alter«, erklärte er. »Das Schwert liegt gut in seiner Hand, und seine Füße bewegen sich schnell. Aus ihm kann ein geschickter Ritter werden.«

      »Das freut mich zu hören. Doch ist sein Gemüt nicht sein stärkster Gegner? Zu Hause handelt er ungeduldig und ist schnell erzürnt.«

      Sir Caster lachte. »Stimmt wohl, aber so ist jeder ehrgeizige Junge in seinem Alter. Als Knappe wird er die Geduld lernen; sie ist eine der wichtigsten Tugenden eines Ritters.«

      »Er hat noch viel Zeit, diese Tugenden zu lernen. Er hat ein langes Leben vor sich.«

      »Je früher, desto besser. Das gilt für die Ritterschaft wie für den Bauern und den Schneidermeister.«

      Die Kinder hatten den Fisch nicht formen können. Sie vergossen Tränen, und ihre Eltern eilten herbei, um sie zu trösten. Doch sie waren nicht zu trösten, nicht, solange sie das Feuer nicht zähmen konnten. Sie hielten an ihren Feuerstäben fest, bis die Erwachsenen ihr Mitleid vergaßen und ihnen die Stäbe aus den Händen rissen. Andere Kinder wollten sich schließlich auch noch der Kunst des Feuers hingeben.

      Der nächste Feuerartist war an der Reihe, es war Kolosan. Diesmal wurde keine Form vorgegeben, sondern sollte von den Zuschauern erraten werden. Kolosan würde entweder ein Schwert oder einen Schild formen wollen, zwei sehr anspruchsvolle Figuren. Selbst für die meisten Erwachsenen wäre dieser Baum zu dick zum Fällen.

      »Sollte Kolosan den Schwertkampf nicht lieber unter Euch erlernen statt unter einem fremden Ritter? Ihr seid ein ehemaliger Ritter der Königsgarde, nicht einmal ein Prinz könnte einen besseren Lehrer finden als Euch.«

      Sir Caster lächelte. »Danke für die hellen Worte, Kolen! Aber