Der Schatten in mir. Christian Milkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Milkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742770752
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für das Unheil!«

      Sprach sie mit mir, sprach sie mit sich selbst? Und vor allem: Was sollte ich dazu sagen?

      »Eine meuchelnde Plage«, fuhr sie fort, und plötzlich wurde sie laut: »Es überwuchert meine Kräuterlein!«

      »Ich sehe es«, sagte ich in der Hoffnung, sie würde sich mit dieser Aussage zufriedengeben.

      Doch sie sprach unbekümmert weiter in Richtung ihrer Pflanzen. Hatte sie überhaupt eine Antwort erwartet? Als sie kurz den Mund schloss, nutzte ich die Gelegenheit und huschte rüber zu den Kartoffeln.

      Während der Kartoffelernte kam Kolen vorbei und unterhielt sich mit Greta – zumindest versuchte er es. Er erzählte von einem Söldner, der vergangene Nacht in unser Dorf gekommen war und in seinem Wirtshaus übernachtet hatte. Der Mann war allerdings harmlos. Sie hatten ihm von den schrecklichen Ereignissen in unserem Dorf berichtet, und er hatte schon am frühen Morgen den Beutel gepackt. Schade, denn ich fand Fremde immer sehr interessant, aber wenn er schon wieder weg war, konnte er uns keine Geschichten von der weiten Welt erzählen, die mich die langweilige und anstrengende Arbeit vorübergehend vergessen lassen konnten.

      Als mein Rücken anfing zu schmerzen, gönnte ich mir eine Pause. Ich verließ den Duftgarten und ging zu meinem Lieblingsplatz, einem Baumstumpf am Waldrand in der Nähe unseres Hauses. Er war umringt von einigen dicken Bäumen, die stolz in die Höhe ragten und die Sicht auf den Stumpf verdeckten. Nur wenn man wusste, dass ich hier saß, konnte man mich erkennen. Ich dagegen hatte von hier aus eine gute Aussicht auf große Teile des Dorfes.

      Ich schaute und lauschte in den Wald hinein. Als ich mir sicher war, dass sich niemand in meiner Nähe aufhielt, setzte ich mich hin und beobachtete das Treiben im Dorf. Die Dorfbewohner bereiteten das Lagerfeuer und das Spiel Infernale vor. Es war eine Tradition Schwarzbachs, jede Jahreszeit an einem Abend das tolle Spiel mit dem Feuer zu veranstalten. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage hätte ich nicht gedacht, dass das Fest stattfinden würde, aber vermutlich würde es guttun, wenn wir uns ablenkten.

      Die kleinen Kinder rannten durch die Gegend, brüllten sich gegenseitig an und rauften sich, wenn ein Zwist nicht anders zu lösen war. Die Erwachsenen verhielten sich weitaus ruhiger. Sie sprachen während des Aufbaus des Holzstoßes kaum miteinander, jeder schien in seiner eigenen Welt versunken zu sein. Carl besorgte das Holz; beim Gehen drehte er sich mehrfach nach allen Seiten um. Der alte Kenzie schleppte die Feuersteine, die sie für das Spiel brauchten, danach verzog er sich in sein Haus. Schließlich waren sie fertig. Die größeren Kinder durften nun versuchen, das Feuer zu entfachen. Später kam Kolen an der großen Feuerstelle vorbei und gab den Kindern Anweisungen. Typisch Kolen – warum ließ er sie das nicht allein versuchen?

      Nach anfangs vergeblichen Versuchen schossen die Flammen hoch in den Himmel und tanzten mit dem Wind. Ein Genuss für meine Augen! Ich liebte das Feuer, es war voller Geheimnisse. Ein Kind wollte die Feuersteine testen und warf sie in den Glutherd. Das Feuer knisterte und verfärbte sich, am Boden leuchtete es türkis, nach oben hin ging es allmählich in Lila über. Die bunten Farben zierten den tristen, grauen Himmel wie ein schönes Bild eine hässliche Wand. Wie ich mich auf das Fest am Abend freute! Hoffentlich würde es nur nicht schon wieder regnen.

      Je länger ich das Feuer beobachtete, desto tiefer tauchte ich in meine Gedankenwelt ein. Erst als es dunkel wurde, ermahnte mich eine innere Stimme und holte mich brutal zurück in die Wirklichkeit. Ich hatte viel zu lange Pause gemacht! Der Sack war nicht einmal zur Hälfte mit Kartoffeln gefüllt, und ich musste noch kochen. Mutter würde wütend sein!

      Ich rannte zurück zu unserem Haus. Die Lampen im Inneren brannten, und ich sah meine Mutter in der Küche arbeiten. Sie war schon nach Hause gekommen. Verdammt sei ich!

      Ins Haus gehen konnte ich nicht. Sie würde sehen, wie wenig Kartoffeln ich geerntet hatte, und mich als faul beschimpfen. Welche Wörter würden diesmal fallen? Nutzlos? Schande? Enttäuschung? Und selbst wenn ich gekocht hätte, würde sie das Essen als fad und mich als zu dumm zum Kochen bezeichnen.

      Ich ging zurück zu meinem Lieblingsplatz und holte mein Messer aus der Tasche. Es war ein kleines Messer mit einer Klinge fast so lang wie meine Hand. Warum hatte ich es überhaupt mitgenommen? In den Griff war ein Pilz mit Gesicht eingeritzt. Der Pilz lächelte. Er lächelte immerzu. Er schien glücklich zu sein auf dem Griff des Messers.

      Ich versuchte, meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Bloß – wie sollte mir das gelingen? Ich biss mir auf die Lippe. Als ich Blut schmeckte, ließ ich von der Lippe ab und presste die Zähne zusammen. Nichts half. Die Stimme meiner Mutter hämmerte mir gegen den Kopf. Ginge ich zu ihr, würde ich ihr ausgeliefert sein, ohne Versteck, ohne Fluchtmöglichkeit. Ich würde mir wieder anhören müssen, ich sei schuld, dass mein Vater uns verlassen hatte. Ich spürte ein flaues Gefühl in der Brust, und mir wurde unerträglich heiß. Schon bald liefen mir Tränen die Wangen hinunter, ich konnte sie einfach nicht aufhalten.

       Wieso weinst du?

      Ich sprach zu mir, als wäre ich eine Außenstehende. Wie ein Vogel, der mich beobachtete und über mich urteilte.

       Du hast keinen Grund zu weinen. Es ist nichts Schlimmes passiert, und mehr schimpfen als sonst wird Mutter auch nicht.

      Mein Geist hatte meinen Körper nicht unter Kontrolle, meine Stimme vermochte mir nichts zu sagen. Ich sah mir dabei zu, wie ich das Messer nahm und die Spitze der Klinge an meinen Unterarm hielt.

       Lass es, es wird dir nicht helfen!

      Ich drückte zu. Die ersten Blutstropfen kamen zum Vorschein und zeigten sich in einem schönen, dunklen Rot. Ich spürte keinen Schmerz. Ich drückte fester zu und führte die Klinge meinen Arm entlang. Jetzt spürte ich auch sanfte Schmerzen. Die Klinge hinterließ einen Pfad aus Blut, es trat langsam aus der Wunde aus und lief in verschiedenen Bahnen den Arm entlang. Danach tropfte es langsam auf die Wiese. Ein schönes Schauspiel, ich sollte es auf einem Bild festhalten.

       Was sagst du dazu, kleiner Pilz?

      Er sagte nichts, aber er lächelte immer noch.

       Wie glücklich du bist! Ich möchte auch glücklich sein.

      Kapitel 3 (Kolen)

      Es war bereits mitten in der Nacht, als das Wirtshaus sich langsam wieder mit Leben füllte. Nur leider nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Der Fremde wartete neugierig auf Tarlows Bericht über die Ereignisse, die ich am liebsten für alle Zeiten verschwiegen gewusst hätte.

      Tarlow fuchtelte mit seinem Zeigefinger vor unseren Nasen herum. Er nahm noch einen Schluck Bier, dann fing er an zu erzählen: »Es fing vor drei Tagen an«, sagte er. »Es war ein Tag wie jeder andere, jeder erledigte seine Arbeit.«

      »Alles war wie immer«, fügte Jack mit lauter Stimme hinzu.

      »Das sagte ich bereits«, blaffte Tarlow ihn an.

      »Ich will nur, dass du die Geschichte richtig erzählst. Wenn du so erzählst, wie du Karten spielst, ist unser Gast bald eingeschlafen, har!«, rief Jack und schlug seinen Krug auf den Tisch. Er sprach so laut, als sollte jeder im Dorf ihn hören können.

      Der Fremde betrachtete Jack und musste lachen. Jack hingen einige Brotkrümel im Bart, aber auch ohne sie wäre seine Belustigung nicht ungewöhnlich gewesen. Jack war klein und dick, und wegen seiner Glatze und seines üppigen Schnauzers guckten ihn die Menschen oft und gerne an. Vor allem Kinder liebten sein komisches Aussehen und nannten ihn daher ›den Hofnarren Schwarzbachs‹.

      Tarlow rollte mit den Augen, verkniff sich aber eine Antwort. »Die Sonne stand tief im Westen«, fuhr er fort, »und wir wollten gerade ins Wirtshaus gehen, als Lynna geschrien hat. Der Schrei war so laut und grässlich, das ganze Dorf hat es gehört und ist zu ihr gerannt.«

      »So viel Aufmerksamkeit hat sie nicht mehr bekommen, seit sie vom Pferd gefallen