Der Schatten in mir. Christian Milkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Milkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742770752
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können nicht einfach gehen«, sagte ich. »Wo sollen wir wohnen, wo sollen wir arbeiten?«

      Jorden schaute mich kurz an, dann wich er meinem Blick aus. Er hatte keine Antwort für mich. Stattdessen setzte er sich wieder hin und klammerte sich an seinen Krug.

      »Wir sollten zu den Göttern sprechen und ihren Beistand erbitten«, murmelte Tarlow. Es wurde verdammt noch mal Zeit, dass er seinen Mund öffnete.

      »Wofür sollen wir beten?«, fragte Jorden. »Die Götter haben uns noch nie geholfen.«

      »Hör auf, über die Götter zu lästern!«, schimpfte Tarlow mit erhobenem Zeigefinger und gerötetem Gesicht. »Zeig gefälligst mehr Respekt!«

      Jorden sagte nichts, auch Jack und ich blieben ruhig. Wenn es um die Götter ging, duldete Tarlow keine Widerworte.

      »Kaum eine Frau gehabt, schon packt dich der Übermut«, fügte Tarlow brummelnd hinzu.

      Doch auch darauf antwortete Jorden nicht. Reglos saß er auf seinem Stuhl und starrte durch alles hindurch ins Leere. In welcher Gedankenwelt er sich wieder verloren hatte, vermochte niemand von uns zu sagen.

      Der Abend schritt voran, und das Bierfass leerte sich. Wenn der Wind aufjaulte, noch lauter als zuvor, klapperte das Türschild mit wachsender Kraft. Zwischen den Windstößen jedoch war es so leise, dass ich jeden Einzelnen von uns atmen hören konnte. Ich nutzte die Stille und warf einige Walnussschalen in den Kamin. Das Feuer knisterte und sprühte Funken, die sich über den Boden verteilten. Ich sah ihnen zu, wie sie dort glühten, bis einer nach dem anderen erlosch.

      Plötzlich durchbrach etwas die Stille. Von draußen drangen ungewohnte Geräusche ins Wirtshaus. Ein Pferd scharrte und wieherte. Tarlow und Jorden schauten abrupt auf, Jack hatte gerade seinen Krug gehoben und verhielt die Bewegung vor dem Mund. Ich wollte zur Tür rennen und nachsehen, aber ich widerstand dem Drang und blieb wie erstarrt, als hielte mir jemand ein Messer an die Kehle. Wir tauschten Blicke aus, jeder von uns wusste, was das bedeutete: Jemand war in unser Dorf geritten und stand nun direkt vor meinem Wirtshaus! Fremde verirrten sich nur selten in unser Dorf, erst recht nicht mitten in der Nacht. Ich blickte mich um. Hinter der Theke lag ein massives Holzscheit, doch was würde es mir nützen, zückte ein Schurke sein Schwert und hielte es mir an den Hals?

      Wir hörten ein dumpfes Geräusch, als wenn jemand von seinem Pferd sprang. Draußen wurde nicht gesprochen, anscheinend hielt sich nur eine einzelne Person vor dem Wirtshaus auf. Jedoch hörten wir auch Metall klingen – kein beruhigendes Geräusch für unbewaffnete Bewohner eines kleinen Dorfes. Wir starrten auf die Tür, und ich merkte, wie mein ganzer Körper verkrampfte, vom Kopf bis zu den Fußzehen.

      Eine Weile hörte ich nichts; der Fremde band wohl sein Pferd an, danach öffnete sich endlich die Tür. Im selben Moment fegte ein heftiger Windstoß durchs Dorf und blies einen Schwall kalte Luft herein. Die Umrisse einer Person zeigten sich in der Tür. Ich kniff die Augen zusammen, konnte aber gegen die Dunkelheit nichts erkennen.

      Der Fremde trat mit schwerem Tritt seiner schwarzen Stiefel ein. Er trug einen schwarzen Mantel, eine Kapuze verhüllte das Gesicht. Als die Falten des Umhangs den Blick auf sein Kettenhemd freigaben, blinkte ein Schwert an seiner Seite auf, mit einer Klinge so lang wie mein Arm. Aber mein Blick blieb nicht auf seiner tödlichen Waffe haften, sondern wanderte zu seinem verhüllten Gesicht. Die Augen waren es, die ich sehen wollte, nicht sein Kettenhemd, nicht sein Schwert und nicht das Wappen auf seinem Mantel.

      Als der Fremde einen weiteren Schritt in den Raum trat, fiel die Tür hinter ihm, vom Wind getrieben, mit lautem Knall ins Schloss. Ich wich zurück, auch meine Gäste suchten den Abstand. Der Neuankömmling nahm seine Kapuze ab. Das Gesicht eines jungen Mannes mit blondem Haar und grünen Augen kam zum Vorschein. Ich schaute mir die Augen ganz genau an und konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Ich atmete tief durch. Es mochte töricht sein, die Angst abzulegen, wenn ein Fremder mit Kettenhemd und Schwert eintrat, aber er hatte normale Augen, und nur das schien für mich von Belang zu sein.

      Der Blick des Fremden wanderte zunächst zu mir hinter die Theke, danach zum Tisch, an dem meine Gäste saßen. Jorden schaute weg, Tarlow und Jack erwiderten vorsichtig den Blick.

      »Willkommen in Schwarzbach!«, sagte ich. »Ich bin Kolen, der Wirt. Was kann ich für Euch tun?«

      Der Mann zögerte kurz, ging dann in meine Richtung und setzte sich auf einen freien Stuhl in der Nähe der Theke. Bei jedem Schritt klapperte das Schwert an seiner Seite. Er schaute mir in die Augen. »Ein Bier und ein Zimmer für die Nacht!«, sagte er mit fester Stimme. Er zeigte mit seinem Kopf auf den Kessel. »Und etwas von dieser Suppe! Aber nur, wenn sie noch heiß ist.«

      Ich erwärmte den Rest Zwiebelbrühe, dazu reichte ich Brot und Bier. Der Fremde aß hastig, schlürfte und rülpste. Während er aß, schaute er sich mehrmals um. Ich hatte das nicht erwartet, aber er spürte wohl, dass etwas nicht stimmte. Ihm war die Stimmung im ›Gerupften Huhn‹ nicht geheuer. Tarlow, Jack und Jorden hatten kein Wort gesprochen, seitdem er eingetreten war. Krüge, Schüsseln und ein ungeöffnetes Kartenspiel standen oder lagen unberührt vor ihnen auf dem Tisch.

      »Was verschlägt Euch in unser Dorf, Reisender?«, fragte ich den Fremden.

      »Bin auf der Durchreise. Will irgendwo anheuern, in Lloyandasburg oder wo auch immer meine Reise mich hinführt. Hauptsache, die Belohnung glänzt und klimpert.«

      »Seid Ihr ein Söldner?«

      Er nickte, schaute aber nicht hoch und aß weiter.

      »Woher stammt Ihr?«

      »Aus dem Norden, aus der Nähe von Cantermire.«

      Ich merkte auf. »Gibt es Neuigkeiten aus dem Norden? Wie ergeht es Lord Deegan?«

      »Sein Sohn wurde im Bett mit seinem Knappen erwischt.« Er schaute hoch und grinste. In seinen Zähnen klaffte eine große Lücke. »Das Erbe Cantermires kann der Junge jetzt vergessen.«

      Mehr erzählte der Fremde nicht, er aß seine Suppe bis zum letzten Tropfen auf. Danach wischte er sich mit der Hand den Mund ab und schaute sich erneut um. Was dachte er? Würde er zum Schwert greifen, jetzt, wo er einen vollen Magen hatte?

      »Wo bin ich?«, fragte er. »Dieser Ort ist auf der Karte nicht eingezeichnet.«

      »Ihr befindet Euch in Schwarzbach«, sagte ich. »Wir zählen nur zweiundsechzig Einwohner, die wenigsten kennen uns.«

      »Wie kann ein solch kleines Dorf überleben?«, fragte er ungläubig.

      »Nun, der Boden ist fruchtbar, und der Wald ist reich an Wild und nahrhaften Früchten. Außerdem hilft hier jeder jedem. Hat der Bauer zu viel Arbeit, nimmt der Schneider einen Pflug in die Hand. Ist die Handwerkerin überfordert, greift der Wirt sich einen Hammer.«

      »Und wenn Ihr angegriffen werdet?«

      Ich schaute kurz zu den anderen herüber, keiner schaute zurück. »Im Ort leben einige ehemalige Ritter«, sagte ich. Eine Lüge. Bei uns lebte nur ein einziger ehemaliger Ritter. Zwar konnte dieser es mit drei Soldaten gleichzeitig aufnehmen, aber ein bewaffneter Fremder musste nicht alles über unser Dorf wissen.

      »Vor Schwarzer Magie kann uns auch kein Ritter schützen«, sagte Tarlow. Es waren seine ersten Worte, seit der Fremde angekommen war.

      Der Krieger hob seine Augenbrauen und schaute Tarlow an. »Schwarze Magie?«

      Ich versuchte, Tarlows Blick zu fangen, wollte ihm andeuten, nichts zu sagen, doch Tarlow bemerkte mich nicht.

      »Sprecht, ist Euch etwas Ungewöhnliches aufgefallen, als Ihr in unser Dorf gekommen seid?«, fragte er den Fremden.

      Der nickte. »Nun, ein wildes Pack Wölfe hat mich angegriffen. Das ist ungewöhnlich, Wölfe scheuen vor Menschen. Musste sie mit dem Schwert vertreiben.«

      »Das Rudel kennen wir«, sagte Jack. »Sie schleichen nachts durch den Wald, inzwischen sogar auch in unser Dorf hinein. Sie wollen sich unsere Vorräte krallen.«

      »Zurzeit laufen weniger Beutetiere