Der Schatten in mir. Christian Milkus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Milkus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742770752
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      Der Fremde zog die Augenbrauen zusammen. »Ihr habt von Schwarzer Magie gesprochen.«

      Ich schaute Tarlow an. Dachte er ähnlich wie Jorden, dass es besser wäre, Schwarzbach zu verlassen? Dachten alle Dorfbewohner wie Jorden? Kurz stellte ich mir vor, wie sie sich ängstlich in ihren Häusern verkrochen, und zuckte zusammen. Das durfte ich nicht zulassen. Es gehörte zu meinen Pflichten, die Menschen zu beruhigen, und vor dieser Verantwortung durfte ich mich nicht verstecken. »Keine dunklen Mächte peinigen unser Dorf«, sagte ich so langsam und ruhig ich konnte.

      Tarlow schüttelte den Kopf. »Jorden hat recht«, sagte er zu mir, »du kannst nicht Geist und Augen täuschen.«

      Hatte Jorden wirklich recht? Ich wollte und konnte das nicht glauben.

      »Ich erzähle Euch gerne, was vorgefallen ist«, sagte Tarlow zum Fremden. Er hatte wohl beschlossen, ihn nicht als Bedrohung anzusehen, und das brachte die Plauderlaune in ihm hervor. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte nicht über den Vorfall sprechen, wollte ihn ignorieren, ihn mit dem Wind hinfort wehen lassen, ihn für immer aus unseren Köpfen kriegen. Jedes Wort darüber würde die Erinnerung daran stärken und die Ängste der Dorfbewohner schüren. Wieder deutete ich Tarlow an, den Mund zu halten, doch entweder bemerkte er mich nicht, oder er wollte mich nicht bemerken.

      »Gewiss doch«, sagte der Fremde.

      »Ihr könnt mir glauben, ich rede nicht mit verlogener Zunge«, versicherte Tarlow.

      Der Fremde lachte. »Das werde ich erst danach beurteilen. Und nun erzählt, ich liebe unterhaltsame Geschichten.«

      »Unterhaltsam?«, fragte Tarlow und schnaubte. »Das ist sie mitnichten.«

      Kapitel 2 (Salya)

      Was war das für ein Kreis? Er schwebte über meinem Bett und erleuchtete den Raum, stärker als jede Lampe. Welch prächtiger Anblick! Er strahlte mir ins Gesicht, und in den Wangen verspürte ich ein angenehmes Kribbeln.

      Doch dann kam jemand zur Tür herein, und der Kreis flog langsam durch das Fenster hinfort. Wo wollte er hin? Mit dem Kreis verschwand auch das Licht. Jetzt war es dunkel im Zimmer, und ich erkannte nur die Umrisse der Person, die mein Zimmer betreten hatte. Ein wandelnder Schatten, er kam näher und trat an mein Bett heran.

       Vater? Was machst du hier?

      Der Schatten beugte sich über mich.

       Es ist mitten in der Nacht, Vater!

      Der Geruch von Bier stieg in meine Nase. Ein abscheulicher Geruch! Ich wollte hinaus, wollte dem schönen Kreis folgen und nicht hier im kalten, finsteren Zimmer bleiben, doch ich konnte mich nicht rühren. Der Schatten stand wortlos vor mir, bis er plötzlich seine Hand hob und mir ins Gesicht schlug. Erst mit der Innenseite, dann mit der Außenseite.

       Hör auf damit!

      Ich sah zur Seite. Meine Mutter war plötzlich im Zimmer, sie saß auf ihrem Lieblingsstuhl, wippte vor und zurück und blickte mich mit strengem Gesicht an.

       Warum guckst du so, Mutter?

      Sie antwortete nicht. Der Schatten schlug erneut zu. Es knallte, meine Wange schmerzte, ich versuchte zu schreien, doch meine Stimme erstarb in meiner Kehle. Ich wollte meine Arme heben und das Gesicht schützen, wollte meine Knie anziehen, wollte mich den Schlägen entwinden, aber mein Körper gehorchte mir nicht.

       Mutter, warum hilfst du mir nicht?

      Alles versagte, meine Stimme, meine Arme, meine Beine. So sehr ich es versuchte, ich brachte nicht mehr als ein schwaches Pusten hervor. Der Schatten schlug weiter zu, die Hände schmetterten gegen meine Wangen, und ich sank wehrlos vor ihm in die Tiefe, ohne Hoffnung auf Hilfe oder Erbarmen.

      Ich erwachte mit einem lauten Schrei. Verwirrt schaute ich mich um. Ich war in meinem Bett, niemand sonst war in meinem Zimmer. Stirn und Rücken waren nass vor Schweiß, und mein Herz donnerte, als tobte ein Sturm in mir. Es war der übliche Traum.

      Draußen war es bereits hell. Ich stand auf, zog mich an und ging aus dem Haus. Mein Blick schweifte über das Dorf. Keine aufgebrachten Menschen, keine hektischen Bewegungen. Erlebten wir heute endlich wieder einen normalen Tag? Ich wagte kaum, in Richtung des Waldes zu gehen. Sie könnte immer noch dort sein, könnte gar auf mich lauern. Wer wusste schon, wozu sie imstande war? Langsam und tief atmete ich ein und wieder aus, dann ermahnte ich mich, kein feiges Kind zu sein, und ging los. Vor dem Waldrand hielt ich an und blickte mich abermals in alle Richtungen um. Nichts Verdächtiges zu sehen. Ich zwang mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und ging in den Wald. Kaum den ersten Baum passiert, beschleunigte ich meinen Schritt, bis ich beinahe rannte.

      Am Schwarzbach fand ich meine Mutter. Zusammen mit anderen Frauen wusch sie Gewänder. Ich versteckte mich hinter einem Baum, denn ich wollte ganz sicher nicht zu ihr. Sie würde mich anmeckern und mich vor den anderen demütigen – wie immer eben. Lieber würde ich durch den Wald spazieren, Lieder summen und Tiere beobachten. Aber ich konnte mich nicht schon wieder drücken. Wie eine Maus kroch ich hinter dem Baum hervor und ging langsam auf meine Mutter zu. »Guten Morgen, Mutter!«, sagte ich.

      Sie schaute nur kurz auf, danach konzentrierte sie sich wieder auf ihre Arbeit. »Morgen nennst du das?«

      »Wie kann ich helfen?«

      »Gar nicht, wir sind fast fertig«, sagte sie, ihre Stimme so bissig wie ein Hund.

      Ich verschränkte die Arme. »Du hättest mich wecken können!«

      »Richte dich nach der Sonne, dann verschläfst du nicht jeden Tag.«

      »Ich kann nichts dafür, dass ich so lange schlafe!«

      Eadlyn, eine der anderen Frauen, schüttelte ihren Kopf und seufzte. Diese dumme Gans dachte wohl, ich sehe das nicht!

      »In deiner Welt sind immer andere schuld«, sagte meine Mutter. Wenigstens schaute sie jetzt zu mir auf.

      Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie gerne hätte ich ihr meine Meinung ins Gesicht geschrien, aber ich behielt sie lieber für mich. Ich wollte nicht schon wieder streiten. »Sag mir einfach, was ich tun soll!«

      Sie rollte mit den Augen. »Kannst du nicht für dich selbst denken?«

      »Aber ich …«

      »Soll ich dir auch deinen Brei in den Mund stopfen wie einem Kleinkind?«

      »Dann hättest wenigstens du deinen Spaß!«

      Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Du freche Göre! Dein Vater hätte dich viel öfter schlagen sollen, dann hättest du vielleicht ein wenig Respekt gelernt!«

      Ich spürte Tränen in den Augen, doch ich hielt sie zurück. Diesen Gefallen würde ich meiner Mutter nicht tun. »Sag mir doch einfach, was ich tun soll!«

      »Geh zu Greta und ernte Kartoffeln!«, sagte sie und zeigte mit der Hand in Richtung von Gretas Haus. »Und bereite das Abendessen zu! Hauptsache, ich muss dich hier nicht mehr sehen.«

      Innerlich dankte ich ihr. Beim Gedanken daran, mit meiner Mutter und den anderen Frauen zu arbeiten, schmerzte jeder Teil meines Kopfes. Lieber putzte ich Nachttöpfe! Während der Kartoffelernte jedoch würde ich allein sein – keine Befehle, kein Meckern, keine Beleidigungen.

      Greta kniete auf dem Boden in ihrem Duftgarten und jätete Unkraut. Selten sah ich sie an einem anderen Ort; ihr Duftgarten war ihr Leben. Tagein, tagaus war sie über ihre geliebten Pflanzen gebeugt, mit einem Buckel, der jeden Tag krummer zu werden schien.

      »Meine Mutter schickt mich«, sagte ich zu ihr. »Ich soll Kartoffeln ernten.«

      Wie immer blieb Gretas