„Du bist berühmt, oder?“, frage ich abschätzend.
Er nickt. „Naja, es geht so. Du kennst mich ja anscheinend nicht.“
„Nein, ich bin seit zwei Jahren hier und seitdem nicht mehr auf dem Laufenden, was die Prominenz in Europa betrifft.“
„Wir sind seit ein paar Jahren eine Band. Wir heißen Varied und sind drei Jungs. Jack, Frankie und ich. Wir sind alle aus England und wohnen mittlerweile zusammen in London. Ich spiele Schlagzeug, die anderen beiden Gitarre. Frankie ist der kreative Kopf der Band. Er schreibt die meisten Lieder. Wir geben in verschiedenen Ländern Konzerte und sind auf dem besten Weg richtig groß rauszukommen.“ Ich nicke beeindruckt. Louis lächelt mich an: „So jetzt hast du in ein paar Sätzen alles von mir erfahren. Willst du mir jetzt auch etwas von dir erzählen?“ Nein! Eigentlich will ich das nicht.
„Was willst du wissen? Ich heiße Mia, bin 25 Jahre alt, komme aus Deutschland, bin Krankenschwester …“
„Und hast Angst vor Kameras?“, ergänzt Louis.
„Naja, Angst würde ich nicht sagen… eher ….Respekt?“, entgegne ich nachdenklich.
Louis schaut mich verwirrt an. Erklärend füge ich hinzu: „Ich mag es einfach nicht, wenn durch die Kameras, die ganze Welt an meinem Leben teilnimmt. Und ich mag es nicht in der Öffentlichkeit zu stehen. Wohl ganz im Gegensatz zu dir?“
„Ohne die Öffentlichkeit kann eine Band nicht überleben. Die Fans machen uns zu dem was wir sind. Ja, das gehört leider dazu.“
Wir sitzen noch eine ganze Weile zusammen, unterhalten uns und genießen zusammen den Sonnenuntergang.
Kapitel 5
DREI JAHRE ZUVOR
Den ganzen Vormittag ist Isabel beschäftigt, die kleinen Patienten zu versorgen, zu trösten und für Untersuchungen vorzubereiten. Dabei schweifen ihre Gedanken immer wieder zu dem kleinen Luca ab. So schnell, wie dieser blonde Junge, ist ihr noch nie ein Kind ans Herz gewachsen. Endlich gegen Mittag schafft sie es, ihn erneut in seinem Zimmer aufzusuchen.
Sie klopft kurz an und tritt ein. Kinderlachen schlägt ihr entgegen. Am Fußende des Bettes steht ein großer, gut gekleideter Herr mittleren Alters, neben ihm eine zierliche, hübsche Frau. Auf der Bettkante neben Luca sitzt ein kleines Mädchen, welches die gleichen blonden Haare und blauen Augen besitzt wie mein Patient.
Lächelnd geht Isabel auf die Eltern zu und reicht ihnen die Hand. „Hallo, ich bin Schwester Isabel“. Herr Frapatelli stellt sich und seine Frau vor. Isabel beugt sich zu dem Mädchen und reicht auch ihr die Hand: „Und wer bist du? Du musst Lucas Schwester sein.“
Das Mädchen lächelt sie freundlich an und antwortet: „Ja, ich bin Elena.“
Nachdem Isabel sich bei Luca über seinen Gesundheitszustand erkundigt hat wendet sie sich an den Vater. „Hat Herr Dr. Betz bereits mit Ihnen gesprochen?“
„Ja, er hat gesagt, wir können Luca heute wieder mitnehmen.“
Er kommt auf Isabel zu und fragt leise: „Kann ich Sie vielleicht kurz unter vier Augen sprechen?“ Überrascht schaut sie auf und nickt. Sie öffnet die Tür und beide treten auf den Flur hinaus.
„Wenn es um Luca geht, er….“, fängt Isabel an, wird aber sofort von ihrem Gegenüber unterbrochen:
„Nein! Doch eigentlich schon …Wie sage ich das jetzt am besten?“ Er kratzt sich unsicher am Kopf und schaut ihr in die Augen.
Isabel kann seine Reaktion nicht einordnen und antwortet freundlich: „Einfach raus damit, fragen Sie einfach.“
Er platzt heraus: „Wollen Sie mit nach Italien kommen und für uns als Kindermädchen arbeiten?“
Isabel klappt die Kinnlade herunter. Mit offenem Mund starrt sie ihn an. „Wie bitte?“, bringt sie schließlich hervor.
Verlegen lächelt er sie an und erklärt: „Das war jetzt wohl doch zu direkt, oder? Ich möchte es Ihnen erklären. Wir leben in Italien in der Nähe von Neapel, am Fuße des Vesuv. Das Dorf heißt Ercolano. Unser jetziges Kindermädchen geht in einem Monat zurück in ihr Heimatland. Wir suchen seit längerem einen Ersatz, haben aber bisher kein Mädchen gefunden, das meiner Frau und mir sowie den Kindern zusagt. Bis heute.“
Isabels Gedanken überschlagen sich. Nach Italien ziehen? Als Kindermädchen? Ich? Laut spricht sie aus: „Warum ich?“
Herr Frapatelli lächelt freundlich: „Luca ist ganz fasziniert von Ihnen. Er sagt, Sie seien eine gute Fee und hätten für ihn gezaubert.“ Ein Lächeln huscht über Isabels Lippen. Herr Frapatelli deutet das als gutes Zeichen und erklärt weiter: „Ich weiß nicht, was Sie für ihn gezaubert haben, aber ich habe ihn in einer fremden Umgebung noch nie so glücklich und aufgeschlossen gesehen.“
„Herr Frapatelli, ich …“
„Nein, bitte sagen Sie nicht gleich ab. Überlegen Sie es sich in Ruhe. Ich würde ihnen das doppelte Gehalt bezahlen, was Sie hier verdienen und …“
Jetzt ist es Isabel, die ihn unterbricht: „Stop! Herr Frapatelli, das ist …“
„Bitte nennen Sie mich Salvatore.“
„Also gut, Salvatore, das ist ein wirklich großzügiges Angebot, aber ich kann hier nicht einfach alles abbrechen und nach Italien auswandern. Ich liebe meinen Beruf, meine Familie, meine Freunde.“ Isabel schaut ihn mitleidig an.
„Isabel, wie alt sind Sie?“ fragt Salvatore ruhig.
„Ich bin 22, warum?“
„Sie sind noch so jung, Ihr ganzes Leben liegt noch vor Ihnen. Warum sollen sie nicht die Chance ergreifen, wenn sie sich Ihnen bietet? Etwas von der Welt zu sehen und etwas Neues zu erleben? Trauen Sie sich! Vorerst nur für ein Jahr, danach können Sie selbst entscheiden, ob Sie bleiben oder zurückgehen wollen.“
Isabel kommen Zweifel. So eine Chance bekommt man vermutlich wirklich nur einmal im Leben und es reizt sie wirklich, in ein anderes Land zu gehen. Ihre Vernunft versucht mit einem letzten Argument sie davon abzubringen: „Aber ich spreche überhaupt kein italienisch. Wie soll ich mich da verständigen?“
Ein breites Grinsen breitet sich auf Salvatores Gesicht aus. „Wenn das Ihre einzige Sorge ist … in unserem Dorf sprechen die meisten Leute deutsch.“ Somit ist Isabels letztes Argument auch widerlegt.
„Darf ich es mir trotzdem noch ein paar Tage in Ruhe überlegen?“, bittet sie ihn.
Salvatore legt den Arm um ihre Schultern und zieht sie in Richtung des Krankenzimmers seines Sohnes. „Natürlich, aber spannen Sie uns nicht zu lange auf die Folter.“ Sie betreten zusammen das Zimmer und Luca schaut ihnen erwartungsvoll entgegen. Er ist noch zu jung, um von den Gesichtern der Erwachsenen die Stimmung abzulesen, daher platzt er heraus: „Kommt Isabel mit? Ich will kein anderes Kindermädchen! Ich will nur Isabel!“
Isabel muss die aufsteigenden Tränen unterdrücken. Sie braucht keine Zeit mehr, um sich zu entscheiden. Die Entscheidung ist längst gefallen. Sie hat ihr Herz bereits an diesen kleinen Jungen verloren und sie spürt ein Kribbeln der Aufregung im Bauch, wenn sie an die bevorstehende Zeit in Italien denkt.
Kapitel 6
HEUTE
Am nächsten Tag herrscht bereits früh morgens ein reges Stimmengewirr auf dem Platz in der Mitte des Dorfes. Ich schaue aus meiner Hütte und sehe die drei Bandmitglieder mit einigen Jungs des Dorfes Fußball spielen. Der Kameramann und die Fotografin sind immer dicht bei ihnen, um keine spannende Situation zu verpassen. Ich