In moralischen Streitigkeiten hat man es nun — so die Analyse — mit Äußerungen (Lokution) zu tun, die „etwas anderes“ zum Ausdruck bringen (Illokution) und dadurch etwas bewirken können und wollen [< 47] (Perlokution). Dieses „Andere“ soll im Folgenden Abschnitt erläutert werden. Der Non-Kognitivist kann mit den Mitteln der Sprachphilosophie zum Ausdruck bringen, dass der Dissens in Sachen der Moral nichts mit der Lokution zu tun hat (Argumente), sondern mit der Illokution und der Perlokution des Sprechhandelns. Indem er seine Thesen vorbringt, gibt er seiner Haltung zur Moral Ausdruck. Mit den beiden Rollen deutet der Non-Kognitivist aus einer metaethischen Perspektive die subjektiven und objektiven Tatsachen der Moral (Expression, Evokation) als die eigentlichen Gegenstände der philosophischen Ethik. Dadurch dass er seine Thesen vorbringt, [[philosophische Perlokution: schlichten]] schlichtet er moralischen Streit, weil er die traditionelle Ethik direkt (Lokution) als irrelevant entlarvt und unser moralisches Streiten indirekt (Illokution, Perlokution) auf Tatsachen reduziert. Der Dissens ist oberflächlich genuin moralisch, der Sache nach aber etwas Anderes genuin Nicht-Moralisches (gemeint ist „a-moralisch“ und nicht „un-moralisch“).
3.2 Die andere Funktion moralischer Äußerungen
Für dieses Andere sind [[Drei klassische Ansätze]] drei Ansätze klassisch geworden: Der von Alfred Jules Ayer (1910-1989), Charles Leslie Stevenson (1908-1979) und Richard Mervyn Hare (1919-2002). Nach Ayer tun wir mit unseren moralischen Aussagen, Urteilen und Überlegungen nur kund, dass wir gegenüber Lügen, Abtreibung, Ehebruch ... eine ablehnende und gegenüber Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Freigebigkeit ... eine billigende Haltung haben. Ihre illokutionäre Rolle ist die der Expression. Nach Stevenson sind moralische Äußerungen komplexer. Die Beeinflussung findet nicht nur durch reines Ausdrücken einer Haltung statt, sondern durch die Erklärung einer Einstellung und die Forderung an ein Gegenüber, ebenfalls diese Einstellung einzunehmen. Moralische Äußerungen sind also deklarativ und imperativisch zugleich, wenn man ihre Illokution präzise erfasst. Nach Hare sind moralische Urteile ebenfalls Befehle, aber universale Imperative, die Ausdruck einer Entscheidung für allgemeine Regeln sind. Die Ansätze müssen ein wenig mehr expliziert werden.
Eine eingehende Analyse der Sprache der Moral und unserer ethischen Diskussionen führt [[1. Ayer: „booh! and hurrah!“]] Ayer zu der Auffassung, dass unsere ethischen Begriffe Pseudobegriffe sind. (Vgl. Wellmann 1968.) Sie fügen unseren Aussagen nichts Bedeutungsvolles hinzu. Wenn man sagt: „Du tatest Unrecht, als Du das Geld stahlst!“, dann bedeutet der Satz nichts mehr als: „Du hast Geld gestohlen“ — der Rest ist bedeutungslos. Mit ihm geben wir vielmehr nur zum Ausdruck, dass wir als Personen „igitt!“ oder „booh!“ zu einer Handlung des Stehlens „sagen,“ weil wir beim Stehlen eine Emotion des Missbilligens empfinden. Umgekehrt geben wir beim [< 48] Loben nur „hurrah!“ und eine Emotion des Billigens zum Ausdruck. Man nennt Ayers Ansatz daher auch „booh-and-hurrah“-Theorie. „Booh“ und „hurrah“ sind jedoch keine Worte mit Bedeutung (das heißt keine Worte mit Anspruch auf Wahrheit oder Falschheit) und daher auch nicht im Rahmen einer Ethik analysierbar und definierbar. Die Ethik analysiert und definiert „gut“ dann zwar beispielsweise durch „gut bedeutet lustvoll,“ ob man aber Lust empfindet, ist keine ethische, sondern eine Faktenfrage beziehungsweise eine der Psychologie. Und „gut“ ist kein Wort mit Bedeutung — es verweist lediglich auf eine Emotion des Billigens. Die „Begriffe“ der Moral sind nach Ayer daher nichts anderes als primitive [[Emotikons]] Emotikons, wie wir sie in einer SMS verwenden. (Ayer 1936, S. 102 ff., Stevenson 1937, Mackie 1981, S. 13.)
Emotionen, die in moralischen Wertungen zum Ausdruck kommen, können zwar wissenschaftlich untersucht werden, aber nicht von der Ethik, sondern von der Psychologie. Möglicherweise könnte man diesen Hinweis auch noch um die Soziologie, die vergleichende Kulturwissenschaft und andere Disziplinen erweitern, wenn man akzeptiert, dass keine der Wissenschaften als normativ verstanden werden darf. Normativ sind die Moral und die Ethik – und da moralische Sätze keine Bedeutung haben, da sie nicht auf ihre Geltung hin überprüft werden können, sind sie keine Wissenschaften, schlussfolgert Ayer.
Der Ansatz Ayers ist aber noch nicht ausreichend klar skizziert, da das Moment der [[Wie beeinflussen Emotikons?]] Beeinflussung anderer durch moralische Aussagen noch nicht erfasst ist. Wir argumentieren für oder gegen das Stehlen, weil wir andere dazu bewegen wollen, zu stehlen oder es zu unterlassen. Ayer integriert diesen Punkt in seinen Ansatz, indem er anerkennt, dass „booh!“ und „hurrah!“ nicht nur ein Billigen und Missbilligen zum Ausdruck bringen, sondern auch beim Adressaten die gleichen Empfindungen erzeugen sollen. Die Sprache der Moral ist also non-kognitiv, weil sie keine wahren oder falschen Aussagen hervorbringt, sie dient [[Ayer: Emotionen erzeugen Emotionen (Infektion)]] aber dazu Emotionen zu übertragen. Ihre perlokutionäre Rolle ist die Infektion anderer mit Emotionen. So revisionär der Ansatz erscheinen mag, dieser Punkt ist gar nicht so unplausibel: Wenn jemand traurig ist, oder sich freut, dann übertragen sich die Emotionen unter geeigneten Bedingungen durchaus auch auf andere.
Und wenn man Freunde in moralischen Fragen um Rat fragt, dann gibt es ähnliche Phänomene: So kann ein junges Paar gelernt haben, dass Verhütung gegen den Willen Gottes ist und dadurch in Gewissenskonflikte kommen. Freunde mit anderen Eltern oder anderen Erfahrungen werden möglicherweise um Rat gefragt und bringen eine Billigung des Verhütens zum Ausdruck, die sie mit Argumenten untermauern, die für das Paar unverständlich sind, weil sie von ihren Eltern gelernt haben, [< 49] anders zu denken. Nun ist zum einen der Rat von guten Freunden für uns oft etwas, was uns in unserem Handeln beeinflusst, ohne dass wir genau verstehen, was sie mit ihrem Rat meinen, oder mit ihrem Beispiel, das sie uns geben, darstellen. So [[Moral als wechselseitige Ansteckung]] könnten die Freunde des Pärchens dieses mit ihren in argumentativer Form artikulierten Emotionen „anstecken“ und zur Nutzung von Verhütungsmitteln motivieren.
Eine konstruktive Deutung des Non-Kognitivismus verweist uns auf einen Mangel in fast allen modernen Ethikansätzen: Die [[Autorität]] Autorität von Personen und Freundschaft zu Personen sind neben Vernunftgründen wichtige Momente der moralischen Beeinflussung und sollten somit in der Ethik Berücksichtigung finden. Die Ethik hat diesen Aspekt der moralischen Erfahrung zu artikulieren und seine begründungstheoretische Bedeutung zu philosophisch zu deuten. Dass ein guter Freund uns etwas empfiehlt, ist ein Argument für uns. In der Antike waren die Moralpsychologie und die Rhetorik Teil der philosophischen Ethik. An dem obigen Beispiel zeigt sich, dass die Gewissensbisse des verliebten Paares möglicherweise von nichts anderem abhängen, als davon, bestimmte Eltern zu haben, oder in einer bestimmten Kultur zu leben. Betrachtet man alle Kulturen, findet man für jede Billigung und jede Missbilligung Beispiele. Gewissensbisse sollte man also besser wissenschaftlich erklären (Psychologie, Soziologie, Ethnologie ...) als mit auf Wahrheit oder Falschheit nicht überprüfbaren Pseudogründen zu rechtfertigen oder zu kritisieren.
In diesem Sinne haben [[Stevenson und Hare: Moral als Befehlen]] Stevenson und Hare Ayers Ansatz modifiziert. Stevenson ersetzt in seiner Theorie die Emotionen des Billigens und Missbilligens durch Einstellungen von Personen. Hare ersetzt Emotionen durch Entscheidungen (decision) von Personen für allgemeine Regeln (universale Normen). (Vgl. Hare 1997, Teil 1.) [[Einstellungen oder Entscheidungen]] Einstellungen und Entscheidungen haben gegenüber Emotionen durchaus Vorteile. Emotionen hat man, oder man hat sie nicht. Darüber kann man kaum intersubjektiv streiten. Einstellungen (zum Beispiel Vorurteile über Frauen, Menschen anderer Herkunft und so weiter) sind komplex und können auf ihre Bedeutung hin befragt und diskutiert werden. Entscheidungen sind zwar willkürlich (deshalb charakterisiert man Hares Ansatz als Dezisionismus), aber sie können einander beispielsweise widersprechen und ebenfalls auf empirischer und logischer Basis diskutiert werden. Hare und Stevenson können