Am nächsten Morgen quälte sich Julia mit Kopfschmerzen und einem üblen Geschmack auf der Zunge aus dem Bett und verfluchte Christian samt der hohen Taxikosten. Anschließend trank sie zwei Tassen Kaffee, um die Augen überhaupt offen halten zu können.
Der gestrige Abend gehörte zweifelsohne zu den peinlichsten ihres Lebens. Zuerst, weil sie zugelassen hatte, dass er mit ihr schlafen wollte, und später, weil dieser Versuch so kläglich gescheitert war. Christian war schon ein komischer Kauz und vielleicht sollte sie die Geschichte einfach auf sich beruhen lassen. Weihnachten allein zu verbringen, war das denn wirklich so schlimm? Mit Sicherheit würde sie das Fest auch ohne Partner überleben.
Mit einem tiefen Seufzen schnappte sie sich ihre Tasche und die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg in die Uni.
„Julia, du siehst gar nicht gut aus.“ Mit diesen Worten empfing Emily sie im Hörsaal.
„Nein, alles in Ordnung, es ist gestern nur sehr spät geworden.“
„Wo warst du denn? Und warum weiß ich nichts davon?“
Sollte sie ihrer Freundin reinen Wein einschenken? Apropos Wein, nur der bloße Gedanke daran verursachte Übelkeit.
„Ich habe zufällig jemanden kennengelernt.“
„Du willst mich auf den Arm nehmen?“ Emily musterte sie skeptisch.
„Nein, ganz und gar nicht. Er ist übrigens Koch.“
„Naja, ein bisschen mehr auf den Rippen könnte dir nicht schaden.“
„Vielen Dank Emily, dass ausgerechnet du mich daran erinnerst.“
Und mit diesem Satz war das Thema von gestern Nacht präsenter denn je. Die ausschlaggebenden Attribute einer Femme fatale fehlten ihr anscheinend gänzlich und beleidigt wandte sie sich ab.
„Entschuldige Julia, so war das nicht gemeint, du reagierst doch sonst eher gelassen auf meine Witzeleien. Nun erzähl schon, was ist wieder schief gelaufen?“
Emily hatte echt ein Händchen dafür, durch ein Minenfeld zu laufen. Schon wieder schief gelaufen, so als würde Julia nie etwas auf die Reihe bekommen. Nein, heute würde sie Emilys Neugier nicht stillen. Stattdessen versuchte sie den Worten des Professors zu folgen, aber ihre Gedanken drifteten ständig in eine andere Richtung.
Nachdem sie die letzte Vorlesung verlassen hatte, fuhr sie mit dem Bus in die Innenstadt und erlöste ihren Kleinwagen aus der winzigen Parklücke. Anschließend fuhr sie auf dem schnellsten Weg in ihr Apartment. Mit einer großen Portion Pommes, die sie sich vom Dönerstand gegenüber mitgebracht hatte, verkroch sie sich in ihrem Nest. So übermüdet wie sie war, brauchte sie sich gar nicht erst an den Schreibtisch zu setzen, um die neuen Entwürfe zu überarbeiten. Stattdessen legte sie sich ins Bett. Ihr Kopf hatte noch nicht das Kissen berührt, da meldete sich ihr Smartphone zu Wort.
„Hallo Julia, ist dein Samstag schon verplant?“
„Nein.“ Dieser Mann verwirrte sie total.
„Hättest du Lust, mich im Schlosshotel zu besuchen? Ich habe nur am Vormittag und am späten Abend Dienst. Zwischendurch würde ich mir Zeit für dich nehmen und wir können sogar kostenlos in einem der Zimmer übernachten. Na, was hältst du davon?“
Momentan hielt sie gar nichts davon, er hatte sie völlig überrumpelt.
„Bist du noch dran?“
„Ja. Ich werde es mir überlegen, einverstanden?“
Ihre Antwort schien ihm nicht ins Konzept zu passen.
„Gut, wie du meinst“, erwiderte er und beendete umgehend das Gespräch.
Christians Idee, ihn im Schloss zu besuchen, war im Nachhinein gar nicht so verkehrt. Aber dort eine Nacht mit ihm zu verbringen, nach diesem Fiasko? Niemals!
Sie stand auf, angelte das Smartphone vom Schreibtisch und schickte ihm eine Textnachricht. Dann schaltete sie das Gerät ab, damit er nicht nochmals auf den Gedanken kam, sich bei ihr zu melden.
Kapitel 3
Am späten Vormittag schlug Julia die Augen auf und drehte sich wohlig grummelnd auf die andere Seite. Es hatte gutgetan, mal wieder so richtig auszuschlafen. Energiegeladen schwang sie ihre Beine aus dem Bett und streckte sich genüsslich. Mit Rührei, Toast und einem starken Kaffee zelebrierte sie das Frühstück an diesem Samstagmorgen. Sie musste sich tatsächlich eingestehen, dass Christian sie auf andere Gedanken brachte, wenn auch auf eine sonderbare Art und Weise. Immerhin lief sie seitdem weniger trübsinnig durchs Leben und der Liebeskummer wegen Florian war fast vergessen.
Sie schaltete das Smartphone wieder ein, um nebenbei die Nachrichten zu lesen. Christian hatte ihr sage und schreibe fünf davon geschickt. Die erste war noch in höflicher Form verfasst.
Schön, dass du kommen kannst, ich freue mich auf dich. Ich erwarte dich um zehn am Schloss, die Adresse hast du ja.
Bin verunsichert, weil du mir nicht antwortest.
Wirst du jetzt kommen? Und warum meldest du dich nicht?
Es ist gleich zehn und noch immer keine Zusage. Ich habe dich bereits bei meinen Arbeitskollegen angekündigt und jetzt stehe ich da wie der letzte Depp.
Was soll das? Findest du es in Ordnung, mich warten zu lassen?
Er schien ziemlich verärgert zu sein, aber sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass er sie schon so zeitig erwartete. Mit einem ordentlichen Schuss Harmonie war sie in den Tag gestartet, und nun? Am liebsten würde sie das Smartphone wieder abschalten und sich verkriechen. Wiederum, das ganze Wochenende hier zu versauern und nur über den Büchern zu hocken, nein, das kam auch nicht infrage. Also schrieb sie ihm kurzerhand zurück und bat um etwas Geduld.
Mit einem flauen Gefühl im Magen öffnete sie den Kleiderschrank. Warum musste Christian ihren Besuch so aufbauschen? Sie mochte es überhaupt nicht leiden, wenn man sie unter Druck setzte. Jeans, Shirt, Schuhe - die immer gleiche Kombination, egal wie sie es auch drehte. Das einzig schicke Etwas in ihrem Schrank war das Kleid vom Abi-Abschlussball.
Aber wenn sie Christian nicht noch mehr verärgern wollte, musste sie sich beeilen. Hastig schlüpfte sie in ihre Sachen und schnappte sich die Tasche. Gequält röhrte der kalte Motor auf, als sie auf das Gaspedal trat und sich in den Verkehr einfädelte. Hin und wieder kämpfte sich die Sonne durch die dichte Wolkendecke und verdrängte das dominante Grau.
Nach einigen Kilometern bog Julia von der Schnellstraße ab und fuhr über die Dörfer. So ein Schloss musste wahnsinnig gut in diese ländliche Idylle passen und sie war schon sehr gespannt darauf. Beinahe hätte sie die Abfahrt verpasst und zog erst in letzter Sekunde das Lenkrad nach rechts. An den dicken Steinmauern erkannte sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatte.
Julia stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und schritt durch das schmiedeeiserne Tor, welches von zwei steinernen Löwen bewacht wurde. Tja, das war es also, das Schloss. Eigentlich hatte sie sich etwas Eindrucksvolleres darunter vorgestellt, mit vielen Zinnen und verträumten Türmchen. Doch vor ihr baute sich nur dieser unförmige Kasten auf. Quadratisch, praktisch, gut. Die Bauweise erinnerte sie an ihr Elternhaus, ein klobiger Siebzigerjahre Bau, ohne persönliche Note.
Sie hatte gehofft, dass Christian sie an der Tür in Empfang nehmen würde, doch das tat er nicht. Verhalten schritt sie auf das Gebäude zu und trat ein. So schlicht und farblos sich das Schlosshotel auch von außen präsentierte,