„Vor meinem Haus, ich bin mit dem Bus gekommen.“
„Tja, dann habe ich wohl gar keine andere Wahl.“ Julia ärgerte sich, weil sie einen Umweg fahren musste.
„Danke, du bist immer so liebenswürdig.“ Beatrice bedachte sie mit einem undefinierbaren Blick.
„Christian, man sieht sich.“
Julia klopfte zum Abschied kurz auf die Tischplatte und eilte zum Ausgang, während Beatrice ihm förmlich die Hand reichte. Nein, sie konnten unmöglich Schwestern sein. Nachdem sie beide in den Wagen gestiegen waren, startete Julia den Motor und scherte aus der Parklücke.
„Ist dieser ältere Herr deine neue Eroberung?“ Beatrice wollte es anscheinend genauer wissen.
„Warum? Wetzt du jetzt schon die Krallen, um ihn dir zu schnappen?“, konterte Julia.
Beatrice schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich frage aus reiner Neugier.“
„Eben.“ Julia setzte den Blinker. „Christian ist eine reine Zufallsbekanntschaft und wie du vielleicht schon bemerkt hast, ist mein Interesse gleich null.“
„Aha. Und warum bist du dann so schlecht gelaunt?“
„Weil ich dich jetzt nach Hause fahren darf.“
Beleidigt sah Beatrice aus dem Seitenfenster und sagte keinen Mucks mehr. Vor ihrem Wohnhaus stieg sie aus und stürmte grußlos davon. Was für ein theatralischer Abgang, dachte Julia. Sie sehnte sich zurück ins Apartment und trat aufs Gaspedal.
Kapitel 2
Eine Woche war seit dem Treffen mit Christian vergangen und er hatte sich rar gemacht - soll heißen, es herrschte absolute Funkstille. Zuerst schien Julia darüber hocherfreut, aber letztendlich war ihr Ego angekratzt. Wenn nicht einmal ein Mann dieser Altersklasse etwas von ihr wissen wollte, wer dann?
Den ersten Advent hatte sie gemeinsam mit ihrer Schwester bei den Eltern verbracht. Beatrice schmollte noch immer, was Julia erneut Minuspunkte bei ihrer Mutter einbrachte. Der Vater stand wie immer auf dem Schlauch und schien nichts zu bemerken. Freudlos hatte Julia die trockenen Lebkuchen hinuntergewürgt und selbst das warme Licht der Kerzen konnte sie nicht in eine weihnachtliche Stimmung versetzen.
Inzwischen saß sie wieder vor dem Laptop und ärgerte sich über das aktive Leben ihrer Kommilitonen. Küsschen hier und Küsschen da, strahlende Gesichter und Glühweintassen, die mit roten Wangen in die Kamera gehalten wurden, um die Ausflüge auf die Weihnachtsmärkte zu dokumentieren.
Natürlich wollte auch ihre Clique zum Kölner Weihnachtsmarkt und keiner ahnte, wie sehr Julia davor graute. Sie wäre nämlich der einzige Single an Bord und verspürte keine Lust, den händchenhaltenden Pärchen hinterherzutraben. Schon jetzt bastelte sie an einer Ausrede, obwohl sie als Initiatorin die Reise angezettelt hatte. Zumindest damals, als ihre Welt mit Florian noch in Ordnung gewesen war.
Der Laptop gab ein leises Geräusch von sich. Jemand hatte ihr eine Nachricht zukommen lassen und voller Neugier drückte sie auf den Button.
Christian.
In gewohnt unterkühltem Ton lud er sie spontan zu einem Dinner ein, um sie zu bekochen. Es schmeichelte ihr, nicht im Abseits gelandet zu sein, und nur sein distanzierter Umgangston ließ sie zögern. Sollte sie oder sollte sie nicht? Sie musste sich sehr einsam fühlen, wenn sie tatsächlich darüber nachdachte.
Letzten Endes siegte ihre Neugier, denn sie wollte unbedingt wissen, wie und wo er wohnte. Ob es in seinen eigenen vier Wänden stylish ebenso unterkühlt einherging? Die Vorstellung passte einfach nicht zu ihm, dass er farbige Wände und eine heimelige Atmosphäre bevorzugte. Obwohl, bei ihr sah es auch nicht besser aus. Einen bunt zusammengewürfelten Mix von Billigmöbeln hatte sie in das enge Apartment gequetscht und jeder Raumausstatter würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Aber als Studentin war sie immer knapp bei Kasse, auch wenn sie nebenher Grafiken designte und sich damit ihren Lebensunterhalt verdiente.
Nach einigem Zögern sagte sie zu. Erneut stand sie vor dem Schrank und überlegte, mit welch nichtssagendem Outfit sie ihn von sich überzeugen konnte. Alles in allem war sie eher der praktisch veranlagte Typ – Jeans, Shirt, Turnschuhe und fertig. Und genauso bekleidet machte sie sich kurze Zeit später auf den Weg.
Julia quälte sich durch den zäh fließenden Verkehr der Vorweihnachtszeit und hatte nach einigem Suchen auch die Adresse gefunden. Er wohnte direkt in der Innenstadt, in einem Haus mit nur sechs Mietparteien. Leider gestaltete sich die Parkplatzsuche sehr schwierig und sie würde garantiert zu spät kommen. Als sie endlich eine winzige Lücke gefunden hatte, brauchte sie mindestens zehn Anläufe, um ihren Kleinwagen hinein zu manövrieren.
Im Eiltempo jagte sie die Stufen hinauf und drückte auf die Klingel. Bereits im Treppenhaus hatte sie ein appetitlicher Duft empfangen und ihr Magen begann zu rumoren. Voller Vorfreude wartete sie darauf, dass Christian die Tür öffnete, doch er ließ sich nicht blicken. Hatte sie sich vielleicht doch in der Hausnummer geirrt? Sie wollte gerade wieder gehen, als die Tür schwungvoll aufgerissen wurde.
„Guten Abend Julia, hast du einmal auf die Uhr geschaut? Du bist eine halbe Stunde zu spät! Das Soufflé ist inzwischen hinüber.“
Erschrocken zuckte sie zusammen, sein barscher Ton verunsicherte sie.
„Du hättest doch sagen können, dass ich erst einen Parkplatz suchen muss. Außerdem bin ich sofort losgefahren“, versuchte sie sich zu verteidigen.
„Was soll’s, komm rein.“
Schulterzuckend folgte sie ihm ins Innere. Sie hatte alles erwartet, nur nicht das. Es lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft, dass er auf Retro stand und prompt bemerkte er ihren verwunderten Blick.
„Ich habe die Wohnung von meiner verstorbenen Mutter übernommen. Meist miete ich mir ein Zimmer in der Nähe meines Arbeitsplatzes.“
„Du arbeitest gar nicht hier in der Stadt?“
„Nein, in einem Schlosshotel etwas außerhalb.“
„Oh, wie nobel.“
„Ja, das Haus hat vier Sterne.“
… die deiner Bude fehlen, vollendete sie in Gedanken diesen Satz. Warum warf er die altbackenen Möbel aus den Achtzigern nicht einfach raus? Was war Christian überhaupt für ein Typ? Hatte er schon immer bei Mutti gewohnt?
„Entschuldige bitte meine Neugier, aber ist deine Mutter hier verstorben?“
„Nein, in einem Pflegeheim. Warum?“
Konnte er sich das nicht denken?
„Das ist doch recht ungewöhnlich. Außerdem, all die Erinnerungen, tut das nicht manchmal weh?“
„Können wir vielleicht das Thema wechseln?“ Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn.
„Selbstverständlich, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Gut, dann setz dich bitte an den Tisch.“
Wie ein braves Lamm nahm sie folgsam Platz. Die dunklen schweren Möbel wirkten bedrückend, von der hässlichen Blümchentapete ganz zu schweigen. Nur Christian, der war total in seinem Element und was er auf den Teller zauberte, sah einfach köstlich aus. Als Koch war er ein unangefochtener Meister. Das Fleisch war zart und auf den Punkt gegart, die Klöße fluffig, das Gemüse knackig und der angeblich misslungene Nachtisch zerschmolz auf ihrer Zunge.
„Das war wirklich lecker“, lobte sie ihn, als sie das Besteck zur Seite legte und sich die Mundwinkel mit einer Serviette abtupfte. Doch von ihm kam keine Reaktion. Was hatte sie denn nun schon wieder falsch gemacht?
„Jetzt weiß ich natürlich, warum du Chefkoch geworden bist. Ich habe selten so gut gegessen“, versuchte sie nachzulegen und tatsächlich ließ er sich zu einem schmallippigen Lächeln hinreißen.