Heinrich Töpfer und die Jubelkugel. Detlef Köhne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Köhne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742757166
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wir haben uns durch eine temporale Raumkrümmung begeben, hervorgerufen durch eine gelenkte magische Entladung. Durch ein Dimensionstor eben.«

      »Ach so«, winkte Heinrich betont lässig ab. »Ja, dann ... Hör mal, ich weiß ja nicht, was für ein Zeug du da so rauchst«, er schielte auf Hagweeds merkwürdig aussehende Zigarette, die er sich soeben angezündet hatte, »aber du willst mir gewiss nicht ernsthaft weismachen, wir seien mit Hilfe von Zauberkraft hierhergekommen?«

      »Na, dann bin ich mal gespannt, wie viele andere plausible Erklärungen du mir dafür liefern kannst«, lächelte Hagweed breit. »Zu deiner Information: Wir sind weiter gereist, als du vielleicht annimmst.«

      Heinrich wischte sich die schweißnasse Stirn. Er fühlte sich hochgradig verwirrt und wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Dabei hatte der Tag so gut angefangen. Eine Grillparty bei bestem Wetter hatte in Aussicht gestanden und danach hatte er sich mit seinen Freunden treffen wollen. Doch dann hatten sprechende Notebooks und sich verselbstständigende Drucker das Kommando übernommen. Zauberei? Wenn er ehrlich zu sich war, waren die Alternativen tatsächlich ziemlich begrenzt, aber er weigerte sich, einfach zu akzeptieren, dass magische Kräfte im Spiel waren.

      »Ich weiß auch nicht«, sagte er schließlich unbestimmt. »Vielleicht hast du mich unauffällig chloroformiert und ich war 'ne Weile betäubt oder so was ... Nein«, widersprach er sich selbst, »das erklärte nicht, wie wir in drei Minuten hierher gekommen sind. – Womöglich hatte Dad recht und ich hab beim Grill anzünden zu viel Rauchgas eingeatmet und leide nun unter Halluzinationen. Oder ... ja, jetzt habe ich 's! Ich hätte gestern diese Sardellenpizza nicht essen dürfen. Die schmeckte auch schon so komisch. Bestimmt war die nicht mehr gut und deswegen träume ich jetzt schlecht. In Wirklichkeit bin ich noch gar nicht aufgewacht. Der ganze Heckmeck mit dem Notebook ist nicht passiert, ich sitze nicht im Hinterzimmer einer Kneipe und du bist ebenfalls nicht real. Wenn du echt wärst, würdest du nicht so unlogische Dinge tun, wie mit einer schrottreifen Ente durch die Gegend zu kutschieren, wo du doch mit Hilfe dieser Illusionstore oder Dispersionstore, oder wie du die Dinger genannt hast, umherspringen könntest.«

      »Dimensionstore«, verbesserte Hagweed und setzte sich auf einen lederbezogenen Stuhl neben Heinrichs Couch. »Aber ansonsten gut überlegt, Harry. Nur ist die Sache mit den Dimensionstoren leider nicht so einfach. Man kann sie nicht an jedem beliebigen Punkt öffnen und auch nicht jeden beliebigen Punkt anspringen, und außerdem«, er lächelte hintergründig, »wer sagt dir denn, dass ich auf dem Weg zu euch nicht mitsamt dem Auto durch ein Dimensionstor gesprungen bin?«

      »Heinrich.«

      »Was?«

      »Mein Name ist Heinrich. Nicht Harry, nicht Henry, Henri, Enrique oder Hendrik, sondern Heinrich. Klar soweit?«

      »Okay, okay, wenn dir das lieber ist: Heinrich. Will schließlich keinen Streit mit einem angehenden Zauberer-Azubi riskieren.«

      »Einem was, bitte?«

      »Bist du immer noch nicht dahintergekommen?« Hagweed schaute ihn mit seinen dunklen Augen prüfend an. »Ja, auch du bist ein Zauberer, Heinrich.«

      Einen Moment lang vergaß Heinrich zu antworten und starrte Hagweed nur mit offenem Mund an. »Bin ich nicht.«

      »So sicher? Hast du noch nie seltsame Dinge in deiner Umgebung passieren lassen? Wenn du sauer warst? Oder Angst hattest?«

      »Oh, aber klar doch«, schnaufte Heinrich. »Meine besondere Spezialität sind Verwandlungen. Als ich noch ein Baby war, habe ich es regelmäßig geschafft, meinen Vater mit meinem Geschrei von einem rational denkenden Erwachsenen in einen neurotischen, sabbernden Lappen zu verwandeln. Und erst vorletzte Woche habe ich das Windows auf meinem PC zerfrickelt und in einen nutzlosen Haufen Bits und Bytes verwandelt.

      Meine Verschwindezauber sind auch nicht von schlechten Eltern: Ich kann innerhalb weniger Tage das Taschengeld für einen ganzen Monat verschwinden lassen. Und ich kann mit Schlangen reden. Als ich als Vierjähriger mal im Zoo war, wollte ich eine Anakonda dazu überreden, einen Salto rückwärts zu drehen und Breakdance zu tanzen. Ich habe so lange nörgelnd auf sie eingeredet und an die Scheibe getrommelt, bis sie einen Hörsturz bekam, die Augen nach hinten drehte und behandelt werden musste.«

      »Siehst du.«

      »Schwache Beweiskette.«

      »Professor Schwurbelbart meint ...«

      »Wer ist denn dieser Professor Schwurbelbart, von dem du dauernd erzählst?«

      »Schwurbelbart? Du musst doch Professor Schwurbelbart kennen. Er hat dich schließlich damals ... Und außerdem ist er ... Also, er glaubt zumindest ... Naja, das soll er dir gelegentlich besser selbst erzählen. Zunächst mal ist er der Direx von Hochwärts.«

      »Von was, bitte?«

      »Hochwärts. Sag bloß, Hochwärts kennst du auch nicht.«

      »Klingt ein bisschen wie Niederdeutsch für bergauf oder aufwärts. Aber so wie die letzte halbe Stunde verlaufen ist, nehme ich an, dass etwas anderes gemeint ist, oder?«

      »Du sagst es. Hochwärts ist unsere Akademie für angehende Hexen und Zauberer. Du musst doch in deinem Brief darüber ...«

      »Stimmt, in dieser merkwürdigen E-Mail war davon die Rede. Eine Schule, in der zaubern gelehrt wird.« Heinrich fasste sich an die Stirn und lachte. »Eins muss ich ja zugeben: Ich habe schon langweiliger geträumt.«

      »Du kennst weder Schwurbelbart noch Hochwärts, du weißt nicht, dass du ein Zauberer bist ... Die Nupsis haben dich ja ganz schön im Dunkeln gelassen, was?«

      »Nupsis. Da ist schon wieder eins von diesen seltsamen Wörtern, die du dauernd benutzt. Was sind Nupsis?«

      »Ach, die kennst du auch nicht? Nupsis nennen wir Leute, die nicht zaubern können. Kommt in den besten Familien vor. Na, das wirst du alles bald noch lernen. Aber jetzt lass uns mal los.« Hagweed stand auf. »Weitere Fragen klären wir später, jetzt müssen wir uns erst mal ein bisschen ranhalten. Es gibt noch viel zu erledigen. Kommst du?« Er drückte in einem gläsernen Aschenbecher auf einem Beistelltischchen seine Zigarette aus und ging hinaus.

      »He, Moment«, rief Heinrich. »Nicht so schnell.« Er stellte sein Wasserglas neben den Aschenbecher und schnappte sich ein herumliegendes Streicholzbriefchen mit einem Werbeaufdruck. Vielleicht gab ihm das einen Hinweis darauf, wo er war. Dann folgte er geschwind Hagweed. Am Absatz einer abwärtsführenden Treppe holte er ihn ein. »Was meinst du mit: Das werde ich bald lernen? Du wirst mich jetzt nicht an eine Schule für Kartentricks und Kaninchen-aus-dem-Hut-zaubern verschleppen, oder? Bis jetzt war das alles noch ganz lustig, aber das läuft auf eine Art Kindesentführung hinaus, meinst du nicht? – Wohin gehen wir überhaupt?«

      »Zum Klo«, sagte Hagweed und bog am Fuß der Treppe in einen langen Gang ab, der mit gerahmten Bildern behängt und mit einem flauschig klingenden Teppich ausgelegt war.

      Heinrich dachte nach. Auch wenn dies bloß ein Traum war, sollte er nicht trotzdem einfach umdrehen und versuchen abzuhauen? Irgendwie würde er es schon schaffen, sich nach Hause durchzuschlagen. Andererseits hatte er weder Geld noch Handy bei sich. Beides steckte in der Jacke, die zu Hause an der Garderobe hing. Wenn er nur wüsste, wo er hier überhaupt war. Er zog das Streichholzbriefchen aus der Tasche. ›Damit auch Nichtmagiern ein Licht aufgeht‹ stand darauf. ›Zum Leckenden Nachttopf‹. Kein Name des Inhabers, keine Adresse. Ebenso wie das Hinterzimmer, in dem er aufgewacht war, passten auch das Ambiente des holzgetäfelten Treppenhauses und dieses Flures eher zu einem Hotel der gehobenen Kategorie als zu einer Gastwirtschaft. Der ›Leckende Nachttopf‹ musste ein recht gut gehender Club sein.

      »›Zum Leckenden Nachttopf‹, komischer Name für ein Lokal«, murmelte Heinrich und steckte das Streichholzbriefchen wieder ein.

      »Jepp. Kann schon mal zu Missverständnissen führen«, sagte Hagweed. »Kalli hat mir mal von der Beschwerde eines weiblichen Übernachtungsgastes erzählt, der ihm mit einer Klage wegen irreführender Werbung gedroht hat. Sie hatte die halbe Nacht auf dem verdammten Nachttopf gesessen und nichts war passiert.« Er kicherte.