Heinrich Töpfer und die Jubelkugel. Detlef Köhne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Detlef Köhne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742757166
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allerseits«, rief Kai Miesmann fröhlich. »Ich habe gehört, ihr habt hier endlich mal wieder eine richtig große Nummer am Laufen. Also, falls ihr noch jemanden für Meinungsmanipulation und Verleumdung braucht, zögert nicht, bei mir anzuklopfen.«

      Zeit ist relativ. Besonders in der Nähe von Verwaltungsbehörden. Während die Amtsträger stets wortreich versichern, sich förmlich zu überschlagen, werden die Antragsteller das Gefühl nicht los, das jede verrinnende Minute per Handschlag verabschiedet wird. Auch in Polosers Büro, den Dezernatsfluren der Naspuhl und in der gesamten Unterwelt war das nicht anders, mit dem Unterschied, dass die Zeit hier tatsächlich höllisch langsam verstrich. Schließlich sollten die hier ankommenden Sünder auch etwas von ihrem Aufenthalt haben. Alfred Poloser war dieser Umstand durchaus bewusst. Ihm war klar, während sie hier scheinbar nur kurz ein paar Zuständigkeiten klärten, konnten in der Oberwelt viele Tage vergehen. Genug Zeit jedenfalls, seinen sorgfältig ausgedachten Plan zu durchkreuzen. Falls die Magier, auf welchem Wege auch immer, von seinem Plan Wind bekommen hatten, waren sie womöglich genau in diesem Augenblick bereits dabei, Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten.

      16

      Hagweed verstaute das Päckchen in einer schmutzig weißen Baumwolltasche. »Hör zu, Heinrich, die Sache mit dem Päckchen ...« Er sah Heinrich eindringlich an. »Es ist besser, wenn niemand davon erfährt, okay? Egal, wer danach fragt, du weißt von nichts.«

      Heinrich nickte mit Nachdruck und fragte sich insgeheim, was in dem kleinen Päckchen wohl Geheimnisvolles drin sein mochte.

      Sie gingen nebenan in einen kleinen Zeitschriftenladen.

      »Den ›Guess What‹, bitte«, verlangte Hagweed von dem südosteuropäisch anmutenden Zeitungsverkäufer, bezahlte (»Dange. Tschuss«, sagte der Typ) und überflog die Schlagzeilen.

      »Was heißt Guess What, Hagweed?«

      »Na, rate mal«, sagte Hagweed und packte die Zeitung zu dem Grünkotz-Päckchen in die Baumwolltasche.

      »Sag mal, Hagweed«, fragte Heinrich weiter, »wie kommt es eigentlich, dass hier so viel ähnlich, aber doch anders ist; dass euer H&M zwar genauso aussieht wie bei uns, aber ›Hexen- und Magiermode‹ heißt; dass es Microsoft gibt, die aber Zauberstäbe bauen anstatt Mäuse und dass die Burgerbraterei zwar die gleichen Instantzwiebeln verarbeitet, aber nicht McDonalds, sondern McWizards heißt?«

      »Oh, das ist sehr simpel, wirklich. Ich erklär 's dir am besten mit einem kleinen Ausflug in die Quantenphysik. Es geht, einfach gesagt, um die relative Gleichheit zweier oder beliebig vieler Realitäten, die jedoch nur aus der Position eines Beobachters heraus als unterschiedliche Realitäten wahrnehmbar, für sich gesehen aber singulär sind. Durch die Fraktionierung der Realitätszweige ...«

      »Geschenkt, Hagweed.«

      »Na gut, dann die Kurzform für Erstsemester: Stell es dir vor, wie zwei parallel existierende Welten, die sich alles in allem unabhängig voneinander entwickeln. Aber es gibt vereinzelt Verbindungen zwischen den beiden Welten. Genauso wie zwei Plätzchen, die auf einem Backblech aneinanderbacken, wenn sie zu dicht beieinanderliegen, verstehst du? Und so sickert ab und zu etwas von einer Seite auf die andere hinüber. Von hier nach dort, von dort nach hier. Durch die stattfindende oder ausbleibende Vermischung entwickelt sich manches gleich, manches unterscheidet sich unwesentlich und manches ist komplett anders. Wie zum Beispiel die Sprachen.«

      »Wieso die Sprachen? Es sprechen doch alle genauso deutsch wie zu Hause, oder?«

      »Irrtum, Heinrich. Kein Mensch spricht hier deutsch. In der magischen Welt spricht jeder, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Für alle anderen hört es sich an, wie deren jeweilige Muttersprache.«

      »Wow, du meinst, so wie der Babelfisch, nur ohne Fisch? Na, das ist endlich mal 'ne sinnvolle Einrichtung. Fremdsprachen können ist cool, aber sie lernen ist ziemlich kacke.«

      »Sprachbarrieren haben wir bereits vor langer Zeit überwunden. Das vereinfacht die internationale Verständigung ungemein. Manche Dialekte bereiten gelegentlich Probleme. Und Eigennamen und Beschriftungen auf Schildern, Werbetafeln und Ähnliches werden nur in das Modulationsprogramm aufgenommen, wenn du bei der Magischen Union in Brüssel eingeschriebenes Mitglied bist und Gebühren abdrückst.«

      »Hagweed?«

      »Ja?«

      »Ich träume das doch alles, oder?«

      »Was immer du meinst, Kleiner«, grinste Hagweed schelmisch.

      Sie schlenderten die Winkel-Mall hinunter, und Heinrich war wieder einen Augenblick mit seinen Gedanken allein.

      »Hagweed, das macht mir ja ehrlich gesagt alles einen Riesenspaß mit dir«, setzte er neu an. »Aber – nur für den Fall, dass ich wirklich nicht träume – nutzt es was, wenn ich dir nochmals ganz fest versichere, dass ich hier nichts zu suchen habe und ihr euch den Falschen geangelt habt?«

      »Nein, gar nichts.«

      »Dachte ich mir.«

      Hagweed hielt an und schaute Heinrich fest in die Augen. »Heinrich, wir waren es, die dich vor zehn Jahren auf der Schwelle des Hauses deiner Pflegeeltern abgesetzt haben. Ich war dabei. Vielleicht haben sie es dir nur nie erzählt. Die Narbe mit dem Blitz auf deiner Stirn hast du von einem Unfall, den Professor Schwurbelbart beim Einparken gebaut hat.«

      »Aber das ist es ja gerade: Siehst du hier irgendwo eine Narbe? Oder einen Blitz? Na?« Heinrich wischte sich die Haare aus dem Gesicht und patschte sich auf die Stirn.

      »Ja, allerdings«, sagte Hagweed ungerührt.

      »Was?«, schnappte Heinrich entgeistert. »Ach so, das. Nein, das ist keine Narbe, sondern Farbe. Wir hatten gestern eine Theaterprobe in der Schule, dafür habe ich mir die Birne bemalt und nun kriege ich das Zeug einfach nicht ab. Aber es ist wirklich nur Farbe, klar? Ich bin einfach ein anderer als der, für den ihr mich haltet und zaubern kann ich auch nicht.«

      »Deswegen sollst du ja nach Hochwärts. Da lernst du es nämlich. – Okay, Heinrich, lass uns kurz zu ›McWizards‹ reingehen. Ich glaube, ich muss dir was erklären, weil du dies nämlich garantiert nicht träumst und du sonst ein paar falsche Vorstellungen bekommen könntest.«

      Erst jetzt bemerkte Heinrich, wie hungrig er war. Durch das entfallene häusliche Grillfest hatte er heute außer dem Frühstück noch nichts zu sich genommen und folgte Hagweed neugierig in die Burgerbraterei, an deren Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift ›Hexenwochen bei McWizards‹ hing. Hoffentlich war das Zeug, das die hier zusammenbrieten, für Nichtmagier überhaupt genießbar.

      »In der Juniortüte gibt's diese Woche Figuren von Miraculix, Bibi Blocksberg und Gundel Gaukeley. Willst du?«

      Da Heinrich sich nicht entscheiden konnte, bestellte Hagweed ihnen schließlich das Super-Hexenmenü mit Pommes und großer Coke (»Coke gibt's auch überall, was Hagweed?«) und setzte sich mit Heinrich an einen der kleinen Tische.

      »Also«, begann Hagweed zwischen zwei Bissen seines Witchburgers und Heinrich hörte ihm kauend zu. »Du fragst dich bestimmt, wieso wir alle so scharf darauf sind, dich unbedingt nach Hochwärts zu schleppen. Um das zu verstehen, erzähle ich dir am besten kurz den Werdegang zweier Zauberer, deren Wege sich von Kindesbeinen an beständig kreuzten und die bis heute eine erbitterte Feindschaft verbindet.

      Den einen von ihnen kennst du bereits: Professor Ambos Schwurbelbart. Er ist Abkomme eines uralten Zauberergeschlechts, das viele große Magier hervorgebracht hat. Schwurbelbarts Berufung zu Höherem war bereits früh erkennbar, schon als Achtjähriger hatte er den Bart der Großen Weisen, und nach einer erfolgreichen Zeit als Schüler und Lehrer in Hochwärts ist er heute dessen Direktor. Wobei ... erfolgreich war es nicht immer ... Pannen passieren halt auch den Größten mal und ... naja, es hat jedenfalls immer gereicht, um allen anderen eine Nasenspitze voraus zu sein.

      Doch bereits seit Schwurbelbarts frühester Kindheit gab es noch einen zweiten Zauberer, über den bei uns für gewöhnlich