Der schottische Prediger. Frank Phil Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Phil Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750226104
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war, bereits nach einem Jahr in London schrieb er an seinem ersten schriftliches Werk, es nannte sich: „Für die Orakel Gottes: Vier Reden für das Kommen des Gerichts. Ein Nachweis in neun Teilen“. So wie er in einem Brief berichtete, sollte es ein überzeugender Appell werden, an die außerhalb der Kirche Stehenden und nach innen gegen das bisherige Kirchentum und seine verbrauchte Weise, das Evangelium zu verkünden. Und was neu war, es richtete sich nicht nur an einfache Leute, wie Bergarbeiter, Bootfahrer oder gar Zigeuner, sondern in erster Linie an Erfinder, Politiker, Juristen und Männer der Wissenschaft, Entscheidungsträger, Verantwortliche und Mächtige, eben solche, die die Welt in ihren Händen halten. Das Lesen in der Kutsche machte mir durch anhaltendes Rumpeln mehr Mühe, als ich dachte und ich beschloss, zunächst nur einige markante Stellen herauszusuchen, die fett gedruckt waren, als mein erster Blick auf die Titelseiten der letzten drei Tage fiel: „Manchester: Komitee fordert Einsatz von Luftinspektoren zur Überwachung von Industrieanlagen. Kriminalität in den Städten steigt rasant, Ordnungshüter überfordert. Der zunehmende Einsatz von offiziellen Polizisten wird gefordert. Erste Lokomotiven Fabrik kurz vor der Gründung. Elektromotoren oder Dampfmaschine, eine Gegenüberstellung“. Es waren hochbedeutende Themen, die auch den meisten Raum in den Tagesgesprächen einnahmen. Ich ließ die Zeitungen sinken und blickte in die Landschaft und sinnierte nach, Gedanken schwebten von Kriminalgeschichten über Elend und Armut weiter bis hin zur ersten Eisenbahn, wie würde sie wohl aussehen, wie schnell würde sie fahren …? Und die Verschmutzung durch Chemikalien, welche durch die fortschreitende Technisierung immer mehr zum Thema wurde ... ?

      Wir hatten die Reiseroute so geplant, dass wir am Gründonnerstag, den vierten April, in London sein wollten, um mit Onkel Edward das Osterfest zu feiern und so wie es aussah, konnten wir den Zeitplan einhalten. Von der ruppigen Kutschfahrt wieder einmal durchgeschüttelt, ich hatte die durcheinandergewirbelten Zeitungen sorgfältig sortiert, machte ich mich über die Texte von verschiedenen Autoren der christlichen Teile her. Meine Neugier war entfacht, als ich die Kommentare las und ich staunte nicht schlecht, wie verschiedenartig die Auslassungen waren:

       Edward Irving, eine Neue Stimme der Zumutung

       von W. Scott

       Trotz des anhaltenden Zustroms von Gläubigen zu dem presbyterianischen Geistlichen Edward Irving in seiner Londoner Gemeinde erscheinen die Reden des inzwischen zum Modeprediger Hochstilisierten zunehmend unerträglich. Seine Auslegungen zu den alttestamentarischen Schriften der Propheten, zu brennenden Fragen des öffentlichen Lebens und deren Geißelung, wie die Frivolität der guten Gesellschaft, die Hohlheit ihrer Geselligkeit, ihren Mammonsdienst sowie der guten Sitten in Haus und Familie sind als eigenartig zu bewerten. Seine von Pathos gefüllte Redensweise, unterstützt von übermütig ausgeführten Gesten, scheint auf die Gläubigen trotz unhaltbarer Anklagen einen gewissen Reiz auszuüben. Auf mich selbst wirkten sie eher abschreckend. Der moralische Anspruch, den seine Reden beinhalten, wird durch seine selbstgefällige Art, die eine gewisse Keuschheit und Standhaftigkeit im Charakter vermissen lassen, konterkariert. Die Frage wird sein, ob die ekstatisch und hochfliegend vorgetragenen Ansprüche des Herrn Irving, der selbst viel Wert auf einen eleganten Ausdruck legt, der Wahrhaftigkeit, die er selbst vermissen lässt, in der Zukunft gerecht werden. Viele fühlen sich beschämt und fangen an, am eigenen Urteil irre zu werden, wenn wir bemerken, einen Gedanken mit diesem seichten und schwülstigen Deklamator gemeinsam zu haben. Sicher, sicher, es kann nicht lange dauern, bis diese Wasserblase einmal platzt.

       London den 12.März 1822

      Gespannt las ich einen zweiten Artikel:

       Vielbeachtete Worte von der Kanzel

       von G. Jones

       Seine mit Kraft und Wucht vorgetragenen Predigten zeugen unleugbar von einer mächtigen Begabung, welche mit der häufig vermissten Autorität und zufriedener Überlegenheit gleichgültiger Prediger nichts gemeinsam zu haben scheinen. Seine kühnen Worte und bildhaften Gleichnisse reißen den Zuhörer sogleich in seinen Bann, wenn er von einem abgebrochenen Kreislauf der Pflicht referiert, bei dem es versäumt wurde, die Welt unter die Autorität Christi zu bringen. Man muss diesem Manne recht geben, dass solche Anstrengung eine erhabene Höhe und heilige Gesinnung bedarf, all diese beklagenswerten Hindernisse, welche den Lauf der Kirche hemmen, zu überwinden. Mit all seinen Ausführungen, bei denen er sich selbst in die Pflicht nimmt, vermittelt Irving in wuchtig heroischem Stile und dennoch, wie es scheint, in ehrlicher Absicht eine Hoffnung, etliche Unwahrheiten in der Religion zu benennen. Auffallend ist hierbei auch, dass Irving nicht nur das Fortschreiten der göttlichen Wahrheit dem bisherigen Kirchenvolk nahezubringen ersucht, sondern und vor allem richten sich seine Belehrungen auch an die Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Adel. Der seit einem Jahr in London wirkende Geistliche sorgt mit seiner unkonventionellen Art zu predigen für Aufsehen und spricht mit seinen Bemerkungen zur Einhaltung von Sitte und Anstand unbequeme Wahrheiten an. Endlich eine Stimme, die auch in der Lage ist, festgefahrene Strukturen innerhalb der Gelehrten zu befördern und einen längst überfälligen Diskurs anzustoßen.

       London den 23. Februar 1822

      Schon aus diesen zwei Darlegungen, die sich im Grunde in ähnlicher Form wiederholten, konnte ich herauslesen, wie gegensätzlich mittlerweile die öffentlichen Meinungen über die Tätigkeit meines Onkels innerhalb kürzester Zeit vorangeschritten waren. Er polarisierte, stellte unbequeme Fragen, ja, er brachte etwas in Bewegung und trat dabei offensichtlich einigen auf die Füße. Aber eines war mir auch klar, menschliche Ziele lassen sich mit menschlichen Mitteln erreichen, aber göttliche Ziele lassen sich wohl nur mit göttlichen Mitteln erreichen. Und Onkel Edward, da war ich fest überzeugt, muss göttlich inspiriert sein. Aber was war mit der Kirche los? Hatte sie ihre göttliche Kraft verloren oder war sie wirklich zu einer reinen Institution verkommen, nur noch auf die Machtbedürfnisse der Geistlichkeit bedacht, ist der göttliche Funke, der die Gläubigen erreichen, belehren und befruchten soll, bereits erloschen? Unwahrheiten – Wahrheiten, diese Unterscheidung wird mir sicher auch in meinem Beruf immer wieder begegnen, dabei vermute ich eine weit weniger schwierige Auslegung denn, Gesetze sind vom Menschen gemacht, aber die Heilige Schrift ist eben göttlicher Herkunft. Muss daher nicht umso mehr über die vollkommene Auslegung, Interpretation und Bewertung gefochten, gestritten und gerungen werden?

      Am Abend zuvor, es war schon spät, hatte meine Mutter über den Hotelportier eine Zusammenkunft mit einem sogenannten Ordnungshüter organisiert. Dieser nahm den Schaden des Überfalls und eine genaue Beschreibung der Täter auf. Ein großer Teil jedoch dieser im Grunde bedauernswerten Personen, wurde nie gefasst. Häufig wurden Diebstähle und andere Verbrechen sogar aus weit niedrigeren Beweggründen begangen, oft nur um das eigene Überleben zu retten. Harris wählte die Route von Birmingham nach Coventry über Northampton und Milton Keynes nach London. Er meinte, die wäre sicherer, da sie stärker befahren war. Mutter sah etwas blass aus an diesem Morgen, so als würden sich besondere Ereignisse erst am nächsten Tag spürbar auswirken, wo alles längst “vergessen und abgehakt“ erscheint. Vielleicht ist ja der Kopf bei so etwas immer schneller fertig als der Rest unseres Körpers? Mutter blickte mich an und es kam mir vor, als würden ihre stahlblauen Augen bis auf den Grund meiner Seele schauen.

      „James“, fragte sie, „hast du in der Times etwas über Onkel Edward gefunden?“

      Ich bejahte und las ihr die beiden ausgesuchten Artikel vor. Sie schwieg und machte einen tiefen Seufzer.

      „Weißt du“, fuhr sie fort, „sicher glaubst du, dass ich deinetwegen nach London mitgekommen bin, das stimmt natürlich, aber es nur die halbe Wahrheit. Hauptsächlich geht es um Onkel Edward.“ Sie seufzte zum zweiten Mal.

      „Er ist nach meinem Dafürhalten im Begriff, eine große Dummheit zu begehen. Schau, er ist schon seit Kindertagen in eine gewisse Jane Welsh verliebt und sie in ihn, aber“…, sie zögerte, „es ist, es ist nicht so einfach … und die Umstände, … es kann nicht gutgehen, Sie schüttelte den Kopf … „es ist“…

      „Mutter“, erwiderte ich entschlossen, „sag, wie es ist!“

      Dabei