Der schottische Prediger. Frank Phil Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Phil Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750226104
Скачать книгу
Das Haus selbst machte auf mich einen vornehmen, sehr gepflegten Eindruck, ohne überladen oder pompös zu wirken. Harris sprang mit ungewohnt sportlichem Schwung vom Kutschbock, klappte die Behelfsstufe aus und öffnete die Tür der Kutsche. Meine Mutter, sichtlich mitgenommen von der Reise, kletterte etwas unbeholfen aus der Droschke, drapierte notdürftig die Frisur und während sie noch an ihrem leicht verrutschten Hut nestelte, wurde sie sogleich von Mr. Troughton, einem stattlichen Herrn in den mittleren Jahren und vornehmer Gestalt, galant begrüßt. Durch seinen hohen Haaransatz wirkte er zusammen mit seinem Zwicker sehr intelligent und belesen. Sein geschwungener und gepflegter Schnauzbart floss an den Rändern in einen Kinnbart über, überdies konnte ich ein leichtes Lächeln erkennen, was ihm besonders gut zu Gesicht stand. Er trug eine helle Hose mit dunkler Weste, aus welcher die Kette einer Taschenuhr heraushing, eine gleichfarbige Jacke mit hellem Hemd, das oben zu einem Stehkragen aufgestellt war. Mr. Troughton wirkte ein wenig nervös, als er uns freundlich empfing:

      „Herzlich willkommen in Preston, Madame Irving, ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise, wir freuen uns, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Wir erlauben uns, in einer Stunde das Abendessen zu servieren „Sie müssen mir unbedingt von Ihrem Bruder erzählen, ich brenne darauf, alle Neuigkeiten von Ihnen zu erfahren, was da alles in der Times über ihn berichtet wird …“

      „Sehr gerne, Mr. Troughton“, erwiderte meine Mutter.

      „Darf ich Ihnen meinen Sohn James vorstellen?“

      „Oh, unser junger Advokat in spe, ganz nach dem Bilde seines Vaters, groß gewachsen, schwarzes Haar mit blauen Augen, die lebensfroh und voller Erwartung in die Welt blicken, ein wenig schmal vielleicht, ich vermute, Sie brennen darauf, das Leben in London endlich kennen zu lernen?“, fabulierte Mr. Troughton.

      Wie recht er damit hatte. Nach der offiziellen Begrüßung wurden wir auf unser Zimmer begleitet, es bestand aus zwei getrennten Schlafräumen mit einer Badestube, in welcher außer einer Toilette, fließendes kaltes und warmes Wasser zur Verfügung stand. Dieses konnte wahlweise in ein Waschbehälter oder in einen fest installierten Zuber eingelassen werden, so etwas hatte ich bisher noch nicht gesehen, es war ein hoher Komfort, der mich begeisterte. Nach dem Abendessen konnte ich nur noch an eines denken und so bat ich um die Erlaubnis, mich auf mein Zimmer zurückziehen zu dürfen, um mit dem ersten Eintrag in mein Tagebuch zu beginnen, immerhin hatte die Reise schon recht dramatisch begonnen. Ich hatte es noch nie geöffnet und nahm es daher mit einer gewissen Würde aus meinem Reisebehälter, legte es auf den Sekretär, öffnete bedächtig die Nietenbänder, schlug die erste Seite auf und war bass erstaunt, denn dort sprang mir eine Eintragung meines Vaters entgegen:

      „Mein lieber James, tue Gutes und übe Recht gegen jedermann!“ In Liebe, Dein Vater William, 1. Thess.5, 1-28

      Ein Vermächtnis meines Vaters, an mich? Ich holte die Hausbibel hervor, schlug die Textstelle auf und las gespannt die Zeilen. Was hier beschrieben wurde, las sich wie eine Art Anleitung zu einem gottesfürchtigen Leben, verbunden mit Hinweisen zu einem sittlichen Verhalten. Aber der Hinweis: „tue recht gegen jedermann“… mein Vater konnte damals unmöglich wissen, dass ich einmal ein Rechtsgelehrter werden würde. Ich vermisste meinen Vater, ach könnte ich ihn doch jetzt in meinen Armen halten.

      Es war spät geworden gestern Abend und ich schleppte mich, müde von der Reise und vom Schreiben, in das warme und frisch riechende Bett, aus dem mich meine sichtlich beschwingte Mutter am Morgen aus meinen Träumen weckte.

      „James, du kannst nun das Waschzimmer benutzen, es ist jetzt viertel vor sieben, Mr. Troughton erwartet uns um halb acht im Frühstücksraum und Harris steht um acht Uhr zur Abfahrt bereit, bitte sei pünktlich.“

      Ich schlüpfte aus meinem Schlafgemach, dem noch immer ein wohliger Geruch aus Frühlingswind und einem Hauch Rosenduft anhaftete! Das Wetter hatte umgeschlagen, der Himmel war bedeckt und ich bemerkte wie ein paar verirrte Schneeflocken durch die Parkanlage tanzten, die Gärtner hatten bereits wieder mit Pflanzarbeiten begonnen. Nachdem ich meine Morgentoilette verrichtet und meine Utensilien verstaut hatte, schlenderte ich leichtfüßig die geschwungene Treppe hinunter, die im Foyer endete, und weiter in einen Glaspavillon, der mit seinen ringsherum angeordneten Fenstern einen freien Blick auf die Parkanlage gestattete. Ich platzte pünktlich in die bereits angeregte Unterhaltung zwischen Mr. Troughton und meiner Mutter. Beide wirkten sehr vertraut miteinander, bahnte sich hier etwas an?

      „Guten Morgen, Sir, Mutter.“

      „Guten Morgen, junger Mann, bitte setzen Sie sich, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, greifen Sie tüchtig zu, Reisen macht hungrig und obendrein können Sie es gebrauchen“, attestierte mir Mr. Troughton und spielte dabei erneut auf meine schlanke Figur an.

      „Ja danke, das habe ich, sehr freundlich, Sir“, erwiderte ich noch etwas holprig und zerstreut. Es war reichlich gedeckt, Toast, Butter, gebratener Speck … ich hatte einen Bärenhunger, musste mich aber im Tempo beim Essen zurückhalten, um nicht zu gierig zu wirken.

      „Wo waren wir?“, fragte Mr. Troughton und wandte sich wieder meiner Mutter zu, „ach richtig, was glaubst du, Sophie, was war der Grund Ihres Bruders nach London zu wechseln, immerhin ist Dr. Chalmers einer der bedeutendsten Prediger unserer Tage?“

      „Weißt du, John …“

      John? Mir blieb das Toast mit dem Ei fast im Halse stecken, Sophie und John, waren sie jetzt schon bei solch einer intimen Anrede angelangt? Ich verschluckte mich, bekam einen hochroten Kopf und versuchte, ein Hustenanfall zu unterdrücken.

      „Alles in Ordnung?“, wandte sich meine Mutter zu mir und ich stotterte:

      „Ja, … es geht schon!“

      Und spülte den restlichen Bissen mit einem großen Schluck Tee herunter.

      „Sehen Sie, James, ich darf doch James sagen?“

      Mr. Troughton legte fürsorglich seine Hand auf die meine.

      „Sehen Sie, Ihre Mutter und ich sind uns schon ein wenig näher gekommen, es darf Sie bitte nicht erschrecken, ich hege die allerbesten Absichten für Ihre Frau Mutter.“

      In diesem Augenblick drehte er sich unvermittelt um und schnippte zweimal mit den Fingern, woraufhin unverzüglich eine Bedienstete zu unserem Tisch herangelaufen kam. Mr. Troughton flüsterte der jungen Dame etwas ins Ohr und kurz darauf erschien sie mit einem kleinen Stapel Zeitungen.

      „Hier, schauen Sie“, sagte Mr. Troughton stolz, „das sind die letzten Ausgaben der Times, ich habe alle gesammelt, in denen etwas über Ihren Onkel berichtet wird, machen Sie sich ein Bild und lesen Sie es, je genauer Sie vorbereitet sind, desto besser. Aber glauben Sie nicht alles, was dort geschrieben steht, es soll nur Ihrer Information dienen, in London haben Sie nicht nur Freunde. Und James, was ich jetzt sage, meine ich sehr ernst, wenn Sie einmal Hilfe brauchen, dann melden Sie sich und scheuen sich nicht, mich zu benachrichtigen, ich werde unverzüglich kommen.“

      Etwas überrascht von dieser Offerte entgegnete ich:

      „Danke, Sir.“

      „Versprechen Sie es mir, James!“

      Ich konnte nicht anders, als zu versichern, dass ich das Angebot gerne annahm, obwohl mir in diesem Moment kein Grund einfiel weshalb dieser Fall eintreten sollte? Mr. Troughton überreichte uns einen Korb mit Vikturalien für die Fahrt und verabschiedete sich mit ausgesuchter Höflichkeit:

      „… Sophie, versuchen Sie ihn davon abzubringen … wir sehen uns in zwölf Tagen, passt auf Euch auf, es heißt, in dieser Gegend seien Wegelagerer unterwegs und Grüße Deinen Bruder unbekannter Weise von mir, Gott und alle Engel mit Euch, bis bald!“ Versuchen Sie, ihn davon abzubringen? Da ich nur diesen Halbsatz aufgeschnappt hatte, war mir nicht klar, was Mr. Troughton damit meinte?

       Vierte Szene - Verwunderung

      Zur verabredeten Zeit stand Harris zum Abfahren bereit und ich machte mich, diesmal freiwillig, im Inneren der Kutsche über die Times her, welche mir Mr. Troughton freundlicherweise überlassen hatte.