„Da kommen wir doch gerne, nicht wahr Manuka? Jetzt müssen wir uns aber beeilen, wir müssen noch Monsieur Laffon unsere Aufwartung machen. Ach ja bevor ich es vergesse mein Freund Manuka isst kein Fleisch.“ Kaum hat Pastor Duval sich verabschiedet, ist er mit seinem großen dunklen Freund auch wieder verschwunden.
Nachdem Sophie, Isabell bei der Toilette geholfen und Ordnung in ihren Kleiderschrank gebracht hat, geht sie erst einmal in ihre Stube, um sich ein bisschen auszuruhen, wer weiß, wo Isabell sie am Mittag noch hinschleppt? Kaum hat Sophie die Treppen in die sechste Etage erklommen, geht sie vorsichtig an der Türe vorbei, die ihr gestern an den Kopf geschlagen wurde. Das kann sie heute nicht nochmal gebrauchen, dabei denkt sie an diesen jungen Mann mit seinen Sommersprossen, der an ihren Kopfschmerzen schuld war. Kaum hat Sophie die Tür passiert, schwingt sie wieder auf und verfehlt sie nur knapp. „Sie haben es wohl auf mich abgesehen? Wollen Sie mich umbringen?“ fährt Sophie den jungen Mann an, der gerade eilig aus dem Zimmer kommt. „Oh Verzeihung, das war wirklich nicht meine Absicht, aber ich muss mich immer so beeilen, da mein Herr ein Choleriker ist und immer schnell herumschreit, wenn man nicht gleich zur Stelle ist. Ihr Name ist Sophie, nicht wahr?“ erkundigt sich der junge Mann und beschwichtigt Sophie mit seiner angenehmen ruhigen Stimme.
Eigentlich war Sophie ja wütend auf ihn, weil er sie fast zum zweiten Mal über den Haufen gerannt hätte, aber dann erblickt sie wieder seine zarten Sommersprossen und sein auf ihre Antwort wartendes Lächeln. „Oh ja das stimmt, mein Name ist Sophie. Wie war nochmal ihrer?“ fragt Sophie etwas verlegen nach, wobei sie noch ganz genau weiß, wie dieser junge Mann heißt, aber sie will nicht zu interessiert an ihm erscheinen.
„Ich bin Alexandre, ich hoffe Sie sind mir wegen gestern nicht mehr böse. Wenn es ein Trost für Sie ist, ich bekam ganz schön Ärger, weil ich zu spät zu Mr. Stonebridge kam. Ich konnte Sie doch nicht liegen lassen, nachdem ich sie KO geschlagen hatte.“ „Stellen Sie sich fremden Frauen immer so vor?“ „Nein natürlich nicht, aber so konnten Sie mir wenigstens nicht weglaufen“, lacht er die hübsche Zofe an. Jetzt muss auch Sophie lachen und kann ihm dummerweise nicht mehr böse sein, sie wollte doch eigentlich distanziert sein, und jetzt bringt er sie zum Lachen. „Na also, es sieht so aus, als ob Sie mir nicht mehr böse sind. Darf ich Sie heute Abend zur Entschuldigung einladen? Ich habe gehört, auf der Ausstellung kann man im Palais de la Danse sein Tanzbein schwingen.“ Sophie ist sich nicht ganz sicher, ob Isabell etwas dagegen hat, die will sicherlich mit Albert weggehen, und da muss sie ihr noch beim Ankleiden helfen. Außerdem, wie peinlich wird es werden, wenn dieser Alexandre merkt, dass sie kaum tanzen kann? Aber kann sie überhaupt nein zu diesem süßen Kerl sagen? „Ich würde ja gerne Ihre Einladung annehmen, aber ich muss erst noch abklären, ob ich frei bekomme.“ „Das kann ich verstehen, ich muss meine freien Abende sonst zwei Wochen im Voraus beantragen, aber ich hoffe, dass es bei Ihnen klappt, sonst muss ich noch ohne Sie tanzen gehen.“ So ein Mist, jetzt setzt er sie unter Druck. Sophie will ja auch nicht, dass dieser süße junge Mann alleine zum Tanzen geht, sonst lernt er dort noch eine andere kennen. Obwohl, da wird es sicherlich nicht so viele Türen geben, die er einer anderen an den Kopf schlagen kann. „Wenn Sie Zeit haben, stecken Sie mir einfach bis heute Abend eine Nachricht an die Tür, Sie wissen ja welche es ist?“ „Keine Sorge, die vergesse ich nicht so schnell, die hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.“ „Dann freue ich mich jetzt schon auf heute Abend, ich hole Sie um 20:00 Uhr ab!“ Selbstbewusst verabschiedet sich der junge Mann von Sophie, die schon fast keine andere Wahl hat, als mitzugehen.
„Einen schönen guten Tag Monsieur Struck“, wünscht das Zimmermädchen, als der Herr des Hauses zur Arbeit gehen will. „Darf ich erfahren, wohin Sie gehen und wann Sie wieder kommen? Falls jemand fragt.“
„Ich gehe nur zur Börse, heute Nachmittag werde ich wieder da sein, ich muss mich dann noch umziehen, für die Geburtstagsfeier des Kronprinzen im Deutschen Haus. Lass mir schon mal die Sachen rauslegen!“ „Sehr wohl Monsieur Struck“, antwortet das Mädchen und öffnet dem Herrn des Hauses die Haustür. Herr Struck verlässt das enorme Anwesen, eine riesige Stadtvilla mitten in Paris mit großen Jugendstilornamenten, bunten Scheiben und verspielten Frauenfiguren an der Fassade. Er ist der Direktor der Pariser Außenstelle der preußischen Kreditgesellschaft, er hatte Glück, die Außenstelle in dieser schönen Stadt leiten zu dürfen. Erst hatte er Bedenken wegen seiner deutschen Herkunft, hier in Paris auf Feindseligkeiten zu stoßen, aber er wurde freundlich empfangen. Gerne wäre er auch in eine der Außenstellen in den Kolonien gegangen, da hätte er seinem Hobby – dem Jagen – nachgehen können, aber hier in der Zivilisation lässt es sich besser leben. So muss er eben zum Jagen verreisen.
Vor dem Haus steht schon eine Droschke bereit, die für diese Uhrzeit bestellt wurde. Der ungepflegte, zottelig, bärtige Kutscher hält ihm die Türe auf und macht seinen Diener mit einer tiefen Verbeugung. Nachdem Monsieur Struck eingestiegen ist, schließt der Kutscher die Tür und begibt sich gemächlich auf seinen Bock um loszufahren. Währenddessen hat der Fahrgast schon seine Tageszeitung aufgeschlagen, um die Börsenkurse zu studieren. Plötzlich schlägt er sich an den Hals. „Verdammt! Diese verflixten Pferdebremsen!“ flucht er. Da ist durchs offene Fenster so ein Drecksvieh in die Kutsche gekommen. Herr Struck merkt, wie sich auf einmal Schweißperlen auf seiner Stirn bilden, sein Atem wird schwächer, er spürt seine Glieder nicht mehr, er versucht noch, den Kutscher um Hilfe zu rufen, aber der hört nichts, da auch kein Ton aus seiner Kehle kommt. Er hört nur noch das Knallen der Peitsche und das Hufschlagen der Pferde, als die Droschke losfährt. Er ist noch bei Bewusstsein, sofern man das so nennen kann. Es kommt ihm vor, als ob ein Schleier seine Augen trübt und die Geräusche, die er vernimmt sind gedämpft. Helle und dunkle Schatten ziehen am Fenster der Kutsche vorüber. Alles fühlt sich so schwer und unwirklich an. Plötzlich bleibt es dunkel, der Wagen hat anscheinend gehalten, denn er hört dumpfe stampfende Schritte auf sich zukommen und die Türe wird aufgerissen. Wie von Geisterhand bewegt er sich aus der Kutsche, wahrscheinlich hat man ihn gepackt und zieht ihn, aber er hat keinerlei Gefühl in seinem Körper. Auch wenn ihn seine Sinne im Stich lassen, eines versagt seinen Dienst nicht - seine Nase. Ein ihm bekannter Geruch steigt ihm in die Nase. Wie oft ist ihm dieser Duft in der Vergangenheit schon begegnet, damals als er mit seinen Freunden auf Großwildjagd war und sie ihren Fang präpariert hatten. Er muss an sein Wohnzimmer denken, mit den vielen ausgestopften Tieren. Wie schön wäre es, wenn er jetzt dort wäre. Diese Hilfslosigkeit ist beängstigend. Hatte er einen Schlaganfall? Bringt man ihn in ein Hospital? Der Geruch würde auch in ein Hospital passen.
„Margot, ich wollte dich gestern nicht beunruhigen, aber ich habe zufällig Isabell Schubert, diese blöde Kuh, getroffen. Du wirst es nicht glauben, aber die hat mir einen Ring unter die Nase gehalten - einen Verlobungsring.“ Als Konstanze das erzählt, bleibt der Schluck Tee, den sich Margot gerade genehmigen wollte, im Hals stecken und sie verschluckt sich mächtig. Nachdem ihr Hustenanfall vorüber ist, findet Margot ihre Stimme wieder. „Einen Verlobungsring? Willst du mir damit sagen, dass Albert sich mit dieser dummen Gans verlobt hat?“ „Ja! Das hat sie mir mit einem hämischen Grinsen erzählt, ich war am Boden zerstört.“
„Ich dachte, ich hätte zumindest so lange Zeit, bis Albert den Ring meiner Mutter, den ich mitbringen sollte, wiederfindet. Im Nachhinein war es eigentlich ein Glücksfall, dass der Ring auf der Fahrt hier her gestohlen wurde. Ich hoffte, dass die Verlobung dadurch noch auf sich warten lässt. Wahrscheinlich hat er ihr einen anderen gekauft, also wieder Geld zum Fenster hinausgeschmissen. Ach wie sehne ich die Zeit zurück, als Albert noch mein kleiner Junge war. Du hättest sehen sollen wie besorgt er war, als er erfuhr, dass ich ausgeraubt wurde, er ging gleich mit mir auf die Polizeiwache, um eine Anzeige aufzunehmen. Jetzt hab ich schon so lange nichts mehr von ihm gehört und muss von dir auch noch erfahren, dass er verlobt ist! Er hätte zu mir kommen und es mir erzählen müssen, aber jetzt erfahre ich es von dir!“
„Oh du Arme, vielleicht hätte ich dir doch nichts davon erzählen sollen, aber mir tat mein Herz so weh, als diese dumme Isabell damit herumprahlte. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, ich musste einfach mit jemandem reden.“ „Ich danke dir, dass du mir das erzählt hast, nicht dass ich erst davon erfahre, wenn er schon verheiratet ist. Es ist schon