„Natürlich, dass wir Fritz nicht verkaufen.“
„Guter Mann“, sage ich.
„Aber der Scheich hat nicht lockergelassen. Er hat angefangen zu bieten.“
„Nein“, sage ich und bin fassungslos.
„Doch! Irgendwann war er bei zwanzigtausend Euro angelangt. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich angefangen, mir auszumalen, was ich mit zwanzigtausend Euro alles machen könnte.“
„April!“, ich bin jetzt noch fassungsloser.
„Ich weiß. Aber nein, wir würden ihn natürlich niemals hergeben. Und außerdem wäre es ihm bei den Saudis eh viel zu heiß. Und wahrscheinlich würden sie ihn nur im Palast halten. Da würde er nie wieder draußen sein können und rumschnuppern können.“ Sie schüttelt den Kopf.
Der Scheich hat es dann wohl auch irgendwann eingesehen. Er hat gelächelt und ihnen den Kaffee ausgegeben. Dafür durften seine Kinder noch ein bisschen mit Fritz spielen.
Solche Sachen erlebt nur April. Aber ich habe ja auch keinen Fritz.
Sechstes Kapitel
Und Gottseidank gibt es Sam.
Sam ist so was wie ein philosophischer Buddhist oder ein buddhistischer Philosoph und er hat diesen coolen Kaffeewagen direkt am Dom. Den nennt er das kleine Café Glück. Und tatsächlich macht er seine Kunden durch die Bank glücklich. Glaube ich zumindest. Denn er strahlt so viel Lebensfreude und Gelassenheit aus, dass dieser Gemütszustand unmittelbar auf alle Café-Glück-Besucher abfärbt, wie eine frisch gestrichene Bank.
Ich gehe immer noch ein bisschen beschwingter zur Arbeit, wenn ich vorher bei Sam vorbeigeschaut habe.
Sein Sojacappuccino hat auf mich die gleiche Wirkung, wie der Milchreis mit Zimt und Zucker, den meine Mutter früher oft mittags zum Nachtisch gemacht hat. Oder der Grießbrei, den meine Oma immer gekocht hat und in den sie jede Menge Amarettini hineinbröselte.
Danach konnte mir einfach nichts geschehen.
Mit Milchreis oder Amarettini-Grießbrei im Bauch war ich immun gegen Hausaufgabenfrust, Liebeskummer und Provokationen aller Art.
Mein heutiges Ich, bewaffnet mit dem Sojacappuccino, sieht nur noch das Schöne: den Dom, den Himmel, den Rhein und die netten Kollegen.
Alles andere, wie beispielsweise die Touristen-Massen, die sich über die Domplatte ergießen, mit ihren Selfie Sticks und um die man nur im Slalom herumkommt, wenn man ihre Fotos nicht versauen will, blende ich dann erfolgreich aus.
Sam ist nicht nur Barista und Philosophie-Buddhist, er kann auch die Zukunft aus der Crema lesen, also aus dem goldbraunen hauchzarten Kaffeeschaum. Vielleicht sogar gerade weil er Buddhisten-Philosoph ist.
Mir hat er heute ein Herz in die Sojaschaumhaube meines Cappuccinos gezaubert und mir ein langes, gesundes und sehr, sehr glückliches Leben vorausgesagt. Das finde ich sehr nett von ihm. Das ist genau das, was ich mir wünsche. Da unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht von allen anderen Menschen.
Mein Mann, der an allem zwischen Himmel und Erde, dass sich weder bauen, noch anfassen lässt, naturwissenschaftlich zweifelt, sagt, als ich ihm abends davon berichte:
„Genau deswegen erzählt er dir so etwas ja auch. Weil er weiß, dass du es hören willst. Weil er weiß, dass du, wie jeder andere Mensch auch, dir so etwas wünschst.
Wenn ich dir aus der Hand lesen täte, aus dem Tee- oder Kaffeesatz, würde ich dir genau dasselbe sagen.“
Damit ist mein Mann bei mir natürlich an der völlig falschen Adresse. Ich reagiere auf seinen Pragmatismus allergisch. Wie auch sonst?
Aber ob ich jetzt glaube, dass Sam Hellseher ist oder nicht, es tut mir gut, was er da sagt. Und dadurch steigt sofort auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich kriege, was er mir prophezeit hat: ein langes, gesundes und sehr, sehr glückliches Leben nämlich.
Siebtes Kapitel
Beim Codieren geht es nicht um Glauben oder Intuition um aus dem Bauch heraus schon mal gar nicht und auch nicht einfach ums Auswendiglernen. Es dreht sich eher alles um mathematisches Knobeln und ganz viel Logik.
Das war ja zu erwarten.
Ist aber beides nicht so meine Stärke.
Mein Kopf und mein Inneres sind eher geisteswissenschaftlich als naturwissenschaftlich programmiert. Biologie finde ich zwar ganz schön, aber in der Theorie ist sie auch nichts für mich. Das mühsam im Biologieunterricht verinnerlichte Facettenauge der Fliege brauche ich in meinem Alltag nicht zu kennen. Außer vielleicht für die Einsicht, dass ich niemals ein so hochentwickeltes Lebewesen erschlagen könnte.
Ich habe die Naturwissenschaften jedenfalls möglichst früh aus meinem Leben verbannt. Und das, obwohl ich durchaus die große Ästhetik logischen Denkens erkenne.
Theoretisch zumindest.
Wenn ich beispielsweise den logischen Gedankengängen eines Menschen folge.
Mir selber ist das alles allerdings nicht von Natur aus gegeben. Ich muss es mir hart erarbeiten.
Weil wir im Seminar nebeneinandersitzen sind Jaschar und ich beim Programmieren dauerhaft in eine Zweiergruppe eingeteilt worden.
Zweiergruppen finde ich gerade noch okay. Das ist eine Gruppengröße, die grundsätzlich nicht verkehrt ist, weil ich sie überschaue und sie durchaus konstruktiv und produktiv sein kann. Ein einzelnes Gegenüber ist gut und wird mir nicht zu viel.
Jaschar trägt an diesem recht grauen Tag Schwarz – einen engen, schwarzen Rolli, und enge, schwarze Jeans.
Ich trage ein mehrfarbiges Wollkleid mit einer hellblauen Bluse darunter um dem Grau etwas entgegen zu setzen.
Auch Python arbeitet übrigens mit ganz viel Farbe. Python treibt es sogar recht bunt, möchte ich fast sagen.
Mein Blick fällt auf Jaschars Hände, die über die Tastatur des Laptops gleiten, wie über die Tastatur eines Synthesizers. Es sind schöne Hände – lang, schmal, aber auch kräftig irgendwie. Sie sehen aus, als könnten sie zupacken. Seine Haut hat einen Olivton, wie ich ihn auch gerne hätte, aber niemals haben werde.
„Jaschar ist ein schöner Name“, sage ich leise zu ihm, weil ich niemanden stören will, aber auch niemand mitkriegen muss, dass wir uns nicht übers Coden unterhalten und auch nicht dass ich Jaschar einen schönen Namen finde.
Jaschar jedenfalls lächelt. „Danke“, sagt er.
Jaschar hat eine angenehm warme Stimme und sehr besondere, karamellbraune Augen, mit denen er mich offen und freundlich ansieht.
Und als würde er eine Frage beantworten, die an dieser Stelle immer folgt, auch wenn ich sie jetzt gar nicht gestellt habe – nicht einmal im Stillen – setzt er nach einer kleinen Pause hinzu: „Meine Eltern kommen aus der Türkei.“
Ich nicke andächtig und schweige. Was könnte ich dazu jetzt auch Tiefschürfendes beitragen? Was weiß ich schon über die Türkei?
Ich war mal in Istanbul vor langer Zeit. Ich habe das eine oder andere Buch gelesen, das entweder dort spielte oder von einem türkischen Schriftsteller oder einer türkischen Schriftstellerin geschrieben worden ist und ich habe einen sehr schönen türkischen Film gesehen – Der Traum des Schmetterlings von Yılmaz Erdoğan. Er ist zwei jungen türkischen Dichtern gewidmet, die nach dem Zweiten Weltkrieg an Tuberkulose dahinsiechten, ohne sich jemals an dem ihnen zustehenden Erfolg erfreuen zu können.
„Meine Freunde nennen mich Joschi“, sagt Jaschar in meine Gedanken hinein.