Ich versuchte, ruhig und tief ein- und auszuatmen, bevor ich an der Reihe war. Das war meine bewährte Methode um mir Normalität vorzugaukeln. Und dann war ich auch schon dran, erzählte irgendetwas Sinnfreies und Schwups war es wieder vorbei.
Die anderen sprachen viel konzentrierter und sachlicher über sich. Beneidenswert ruhig. Andererseits weiß ich natürlich nicht, wie es dabei in ihrem Inneren aussah.
Vielleicht waren sie einfach nur die besseren Schauspieler.
Jaschar erzählte jedenfalls, er mache irgendetwas mit Medien. Er dreht Videos, ist ebenfalls halbwegs journalistisch unterwegs und darüberhinaus noch Musiker in einer Band.
Ute ist festangestellte Frauenmagazin-Redakteurin und will ihre Redaktion aufmischen, beziehungsweise es den jüngeren Jungs und Mädels mal so richtig zeigen.
So viel zum Thema Digital Native!
Man musste das Digitale offensichtlich gar nicht in die Wiege gelegt bekommen, um es zu beherrschen. Man konnte es sich auch sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg aneignen – so zumindest lautete Utes Plan.
Der eine oder andere Teilnehmer hatte bereits rudimentäre Erfahrungen gesammelt in Sachen „Programmieren“, wie sich im Laufe dieser Vorstellungsrunde herausstellte. Das ging sogar bis hin zu der Fähigkeit, Ampeln umzuprogrammieren. Wofür auch immer das gut sein sollte.
(In diesem Moment muss mir wohl The Italian Job entfallen sein, sowohl die erste Version von 1969 mit Michael Caine, als auch das Remake mit Mark Wahlberg. Sonst wäre mir sehr wohl eingefallen, wofür das Umprogrammieren von Ampeln so alles gut sein kann.)
Ich war aber in jedem Fall sehr beeindruckt und schlug vor, in der Mittagspause davon zu profitieren.
Das Mädel, das solcherlei Fähigkeiten besaß, quittierte meine Idee mit einem überlegenen Lächeln, kam dann aber leider nicht auf meinen Vorschlag zurück. Allein deshalb wurde nichts daraus.
Glücklicherweise, wie mir dann im Nachhinein bewusst wurde, als mir The Italian Job wieder einfiel.
Stattdessen klärten wir in der Runde dann wie bei jeder Fremdsprache erst mal das Vokabular. Von Algorithmus über Bug bis Zero Days. Der Fehler im System heißt Bug, also Käfer, weil es bei den ersten Computern, die ja noch große Maschinen mit vielen Röhren waren, vorkam, dass tatsächlich ein Käfer in diese Röhren plumpste oder flog und so das ganze System zum Erliegen brachte, erzählte uns David.
Außerdem erklärte er uns, dass Python beispielsweise in Smartphones und beim Online-Banking zum Einsatz kommt.
Meine Sitznachbarin Ute wollte dann wissen, wie man beim Shopping im Internet die ganzen Kekskrümel wieder loswird, die man hinter sich ausstreut ,wie Hänsel und Gretel, allerdings unbeabsichtigt. Wie man also die Cookies umgeht, die auf jeder Seite lauern, um unsere Daten abzugreifen. Ute wollte nämlich nicht ständig den Flug angeboten bekommen, den sie gerade schon gebucht hat. Sehr verständlich.
David empfahl uns daraufhin uBlock Origin, das Werbung filtern kann.
Ich persönlich glaube ja sogar, dass mein Laptop und mein Smartphone meine Gespräche mithören. Es ist jedenfalls schon vorgekommen, dass ich mit meinem Mann über die Anschaffung eines neuen Staubsaugers gesprochen habe, jedoch weder im Internet noch bei einem Telefongespräch Produktinformationen recherchiert habe und trotzdem plötzlich und ständig über alle möglichen digitalen Kanäle Staubsauger angeboten bekam. Die Werbung poppte zum Beispiel bei Facebook oder Amazon auf oder wurde mir auf der Randleiste offeriert.
Die anderen Seminarteilnehmer kannten ähnliche Fälle. Und wir empörten uns ein wenig, weil wir es so gruselig fanden, gleichzeitig aber auch hochspannend, was alles so geht mit Keksen und Datenabsahnen.
Dann wurde es aber wieder halbernst und wir mussten uns spielerisch mit den ersten Formeln beschäftigen.
Jaschar, neben mir, schien das Ganze ziemlich leicht zu fallen. Er lächelte zumindest bei den ersten Aufgaben noch vor sich hin. Das wirkte sympathisch. Aber er war auch nur etwa halb so alt wie ich. Ein echter Digital Native. Ich hätte ihn sicher bei allem um Rat fragen können. Aber ich mache mich gerne so unsichtbar wie möglich. Ich falle Anderen nur ungern auf den Wecker mit Fragen und Bedürfnissen.
Ich konzentrierte mich also ganz auf meinen Bildschirm.
Hin und wieder schreckte ich allerdings aus meinen Knobeleien hoch, weil Ute laut „Ich hab’s“ oder „Oh Mann, ich krieg’s nicht raus“ vor sich hin brabbelte.
Es gibt ja Menschen, deren Hirnstamm unmittelbar mit ihrer Zunge verbunden ist. Die also eins zu eins akustisch auswerfen, was gerade so durch ihr limbisches System wabert. Ute schien ein solcher Mensch zu sein.
Mich wiederum kostet es durch meine Dünnhäutigkeit beinahe übermenschliche Kräfte, Geräusche, vor allem laute, schrille, plötzlich einsetzende, auszublenden.
Bereits ein tropfender Wasserhahn in der Nachbarwohnung kann mir den Schlaf und die Konzentration rauben.
Und jetzt also Ute.
Ich gab naturgemäß kaum etwas von mir Preis. Jammerte nicht, verkündete jedoch auch nicht begeistert, wenn mal etwas lief. Reagierte aber immer unmittelbar auf Utes Auswürfe, weil sie mich ja ohnehin aus meiner Tüftelei rissen.
„Hast du’s auch schon raus?“, fragte sie mich und ich dachte nur, wenn du so weitermachst, heute nicht mehr. Ich schüttelte aber einfach nur den Kopf und hoffte, das würde besonders abweisend wirken und ihr signalisieren, dass ich nicht zum Reden hier war.
Irgendwie gelang es mir trotzdem, irgendwann in Teamarbeit mit Jaschar auf einem Din-A3-Blatt ein Spiel zu konzipieren, das David später mit uns in Python programmieren wollte.
Außerdem schrieben wir gemeinsam einen Code um den Body-Mass-Index BMI zu berechnen. Das aber schon in Python selbst und nicht mehr auf dem Papier.
Und dann war der erste Mittwoch auch schon rum.
Am Ende war ich froh, dass die Kollegin meine Anregung, in der Mittagspause Ampeln umzuprogrammieren, nicht aufgegriffen hatte. Mir dröhnte auch so nach meinen ersten Python-Lektionen der Schädel.
Schon allein die vielen Plattformen, auf denen wir uns zunächst einmal anmelden mussten!
Das war schon mal ganz schön viel Datenklumpatsch auf einmal. Eigentlich zu viel für meinen Geschmack. Aber für das Erlernen einer Programmiersprache mit einem solch klangvollen Namen, mache ich schon mal eine Ausnahme.
Ich war am Ende unseres ersten Seminartages jedenfalls trotz aller Anstrengungen noch immer hochmotiviert.
Es war als wäre ich Teil einer geheimen Gruppe, die eine Verschwörung plante. Als würden wir uns daran machen, die Weltordnung neu zu definieren.
Na ja. Zumindest fühlte es sich so an.
Drittes Kapitel
Mein Arbeitsleben ist dagegen viel banaler.
Da beschäftige ich mich jetzt gerade beispielsweise damit, dass der Koch, der in unserer Sendung kocht und dessen Rezepte ich internettauglich mache, einen Tag nachdem wir die Seite gebaut haben, doch tatsächlich auf die Idee gekommen ist, sein Rezept am Vorabend einmal selbst nach zu kochen und daraufhin alles noch einmal total verändert hat. Er hat nämlich festgestellt, dass er zu viele Eier, zu wenig Mehl und zu wenig Knoblauch hineingetan hat. Ich muss das jetzt in unserem CMS also im Content Management System ändern.
Das