Unser Vermieter, der hier ebenfalls seine Wohnung hat, eilte auf den Hof an meine Seite und betrachtete erschüttert den halbierten Baum.
Viele Jahre lang hatten wir unter seinen weiten Ästen ein Kirschblütenfest gefeiert. Wie sich das für eine japanisch geprägte Stadt wie Düsseldorf gehört.
Seine Spaltung verursachte Wehmut und erinnerte schmerzhaft an die Vergänglichkeit alles Schönen.
Und alles was mir einfiel, als mein Vermieter sich zu mir gesellte, war: „Ich war’s nicht.“
Natürlich bestätigte mir mein Vermieter lächelnd meine Unschuld.
Und wie ich erst Tage später erfahren sollte, war der Baum in Wahrheit schon eine ganze Weile krank gewesen. Man hatte es ihm nicht angesehen, aber ein Pilz hatte sein Innerstes ausgehöhlt, diagnostizierte der Baumdoktor und machte dem Vermieter wenig Hoffnung. Der lange harte Winter hatte den schönen Baum geschwächt, die plötzliche Wärme sein Holz arbeiten lassen. Nun war es geschehen.
Alle Nachbarn waren betrübt, als der Vermieter uns diese traurige Botschaft überbrachte. Der breite Ast wurde abgesägt und der gespaltene Stamm mit einem Gurt zusammengezurrt. Aber all das geschah erst in den nächsten Tagen.
Jetzt stand ich erst einmal betroffen neben dem geteilten Baum und schaute erschrocken auf den breiten Ast, der mich ohne weiteres hätte spalten können, zumindest meinen Schädel.
Kein so gutes Vorzeichen also für meinen Start ins Programmieren.
Außerdem kam ich zu spät. Das lag nicht an dem alten Kirschbaum. Ich hätte nämlich trotz Schock meinen Zug noch erwischt. Mein Vermieter half mir über den üppigen Ast, während er sich nochmals besorgt erkundigte, ob mit mir alles in Ordnung sei.
Natürlich war alles in Ordnung. Der Ast hatte mich ja glücklicherweise verfehlt. Mehr in Ordnung konnte man ja gar nicht sein, als einem Beinahe-Unfall zu entgangen zu sein.
Und so eilte ich also erleichtert davon.
Das eigentliche Problem war die Deutsche Bahn. Sie machte auch dieses Mal keine Ausnahme. Ich weiß, die Häme über das Unternehmen ist reichlich überstrapaziert. Dennoch wundere ich mich immer wieder aufs Neue wie konsequent jeder Zug wirklich jeder in den ich einsteige verspätet ist oder es spätestens dann ist, wenn ich wieder aussteige.
Wieso schaffen die Schweizer und Niederländer es eigentlich mit halbwegs pünktlichen Züge zu operieren und wir nicht?
Auch über die Klimatisierung bei der DB kann ich mich immer nur wundern. Es scheint keinen Mittelweg zu geben zwischen Nordpol und Death Valley. Jahreszeitenübergreifend.
Es ist nicht etwa so, dass im kalten Winter ausschließlich Death Valley eingeschaltet ist. Das wäre ja fast noch nachvollziehbar. Aber auch im kalten Winter entscheidet sich die Zugtechnik – ob mit oder ohne Anleitung, sei jetzt mal dahingestellt – gerne für Nordpol. Und im Sommer auch schon mal für Death Valley.
Ich möchte mir dann am liebsten die Kleider, die ich mir angezogen habe, um der Klimaanlage wahlweise in der Redaktion oder im Zug zu trotzen, vom Leib reißen, weil sich stattdessen die Sommerhitze staut (Zug) oder sogar die defekte Heizung auf Hochtouren läuft (Redaktion).
Nicht einmal das Fenster lässt sich in den modernen ICEs mit den anfälligen Klimaanlagen aufreißen.
Aber hey, was rege ich mich eigentlich so künstlich auf über unsere Bahn?
In Indien sind die Züge manchmal vierundzwanzig Stunden zu spät. Und es sterben im Durchschnitt vierzig Menschen am Tag beim Bahnfahren. Was allerdings auch daran liegen könnte, dass sie gerne auf dem Dach mitfahren oder sich mit ihren ganzen Körpern aus den Türen hängen. (Was mir bei der Luft und den Temperaturen in deutschen Zügen manchmal auch vorschwebt.)
In Japan gibt es bekanntlich Menschen, die eigens dafür eingestellt wurden, um überzählige Passagiere, die wirklich überhaupt nicht mehr in die Metro hineinpassen, Kraft ihres Amtes doch noch mit all ihrer antrainierten Muskelkraft hineinzupressen.
Das wäre vielleicht was für mich! Von wegen ausreichend Abstand und Luft zum Atmen. Aber ich komme vom Thema ab.
In diesem Fall kam ich also mitten im sehr lauen End-April ultrahocherhitzt und reichlich verspätet in Köln an.
Ich arbeite dort und pendele daher zwischen den beiden rivalisierenden Rheinmetropolen.
Ich würde aber niemals aus dem gemütlichen Düsseldorf wegziehen, das nicht umsonst „Dorf“ im Namen trägt. Auch der Rhein ist hier einfach schöner.
Mit seinen Uferwiesen, den weißen Sandstränden, den stattlichen Pappelalleen und windschiefen Kopfweiden.
Die Kölner haben dafür den Dom. Damit sind sie uns haushoch überlegen. Aber der Dom hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Köln trumpft eben leider nicht grade mit sauberer Luft auf. Und dann noch die Myriaden von Tauben. Aber all das ertragen die Kölner, mit der für sie typischen Nonchalance, die viel weniger aufgesetzt ist, als die Lässigkeit der Düsseldorfer.
Heißt es zumindest.
Idioten gibt es aber natürlich in beiden Städten. So wie überall auf der Welt.
Dass ich zu spät kam, am allerersten Seminartag das war nicht so geplant und mir extrem unangenehm. Ich hasse es zu spät zu kommen, weil jeder, der zu spät kommt, alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, wie ein Magnet Eisenspäne. Und nichts liegt mir ferner. Aber ehrlich gesagt, komme ich eigentlich immer zu spät. Ich kann nicht anders. Selbst wenn ich mich rechtzeitig auf den Weg irgendwohin mache, hat dann eben die Bahn Verspätung. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hängt der Fluch des weißen Kaninchens aus Alice im Wunderland über mir.
David, der Dozent des Programmier-Seminars, ein sympathischer junger Typ (jünger als ich zumindest. Um die Vierzig mochte er sein), wies mir den letzten Platz zu. Als ich dorthin geschlichen war, verlegen, mit geneigtem Haupt und auf Zehenspitzen, (das natürlich nur symbolisch), um die anderen nicht zu stören, meine Tasche unter dem Tisch verstaut hatte und wieder aufsah, stellte ich fest, dass wir eine fifty-fifty-Mischung aus Männern und Frauen waren. Ich war zwischen einem sehr jungen Mann und einer Frau in meinem Alter gelandet und mitten in die Vorstellungsrunde geplatzt.
Der sehr junge Mann hatte eine markante Nase, schwarzes, leicht gewelltes Haar – eine dunkle Strähne hing ihm immer wieder etwas vorwitzig ins Gesicht und er hieß Jaschar.
Die Frau in meinem Alter hieß Ute, hatte kastanienbraune Haare und viele, wirklich viele Sommersprossen.
Menschen wie sie haben den unschlagbaren Vorteil, dass sie niemals blass aussehen. Nicht einmal beim allerersten morgendlichen Blick in den Spiegel. Das finde ich beneidenswert.
Ich bin schon anämisch auf die Welt gekommen, bleich wie Buttermilch. Ganz egal, wie sehr ich mich sonne, ich habe nie einen nennenswerten Teint. Ich werde knallrot von Sonne und Wind und am nächsten Morgen bin ich dann wieder bleich wie Buttermilch. Das ist Pech. Aber ich habe mittlerweile fast die Fünfzig erreicht und wenig Hoffnung, dass sich an meiner Blässe noch irgendetwas ändern könnte.
Ich spreche nicht gerne vor mehr als zwei Personen, daher sind Vorstellungsrunden so ziemlich das Letzte. was ich gebrauchen kann.
In diesem Seminar sollten wir aber nicht nur erzählen, wer wir sind, sondern sollten auch noch den Grund referieren, warum wir hier waren. Dabei hatte ich doch eigentlich