Und für mich stand unsere Beziehung von Anfang an, an erster Stelle. Auch wenn manche Mutter das jetzt vielleicht nicht verstehen kann.
Mein Mann baut Raketen. Keine Feuerwerksraketen oder solche, mit denen Kriege geführt werden, sondern solche, die ins All fliegen. Das ist schon etwas komplexer. Ich finde das jedenfalls ziemlich beeindruckend. So eine Rakete baut sich schließlich nicht in einem Tag. Es sind viele Menschen beteiligt an so einem Raketenbau. Sie arbeiten Hand in Hand. Ein großes Team hat mein Mann. Er ist Ingenieur und hat echt was auf dem Kasten.
Leider sehen wir uns nicht so oft, wie schön wäre, denn es macht ihm großen Spaß, Raketen zu bauen. Mehr darf ich darüber aber auch nicht erzählen. Denn das ist natürlich alles Top Secret. Und nicht einmal ich quäle ihn mit Fragen, obwohl ich das von Berufs wegen gerne und ständig tue. Aber privat versuche ich, es mir zu verkneifen, auch wenn das nicht immer so klappt, weil ich generell eher ein neugieriger Mensch bin. Neugierig auf Menschen.
Mein Mann und ich wir genügen uns.
Und daher gibt es darüber ansonsten auch nicht wirklich etwas zu sagen.
Da halte ich es mit Tolstoi und seiner tragischen Anna Karenina:
Glückliche Paare ähneln einander. Unglückliche sind jedes auf seine Weise unglücklich.
Der gute alte Tolstoi hat das Prinzip zwar auf Familien angewendet, aber für Paare gilt das meiner Meinung nach ebenso.
Da mein Mann Peter und ich glücklich sind, gibt es über uns also nichts weiter zu erzählen. Es sind schließlich die Dramen, die unterhalten und das menschliche Mitgefühl kitzeln. Wer will schon hören, dass jemand glücklich ist? Dass Zwei sich gefunden haben und gut miteinander zurechtkommen?
Zu allem Überfluss ist auch meine Kindheit glücklich verlaufen. Ich war ein einzelnes Wunschkind. Meine Eltern haben sich neun Monate lang auf mich gefreut, mich mit Liebe ummantelt und trotzdem war noch genug Liebe übrig füreinander. Für mich waren die ersten Jahre meines Lebens die perfekte Mischung aus Geborgenheit und Freiheit.
Und so gibt es auch über meine Familie nichts weiter zu erzählen. Also ist auch diese Geschichte hier zu Ende.
Meine Geschichte beginnt an jener Stelle, an der romantische Filme enden, mit „Und-sie-lebten-glücklich-bis-an-ihr-Lebensende “.
Das Meet Cute – die erste Begegnung zwischen Boy und Girl, liegt in der fernen Vergangenheit. Sie haben sich bekommen. Na und?
Ich, Carla, bekomme Beklemmungen, wenn in der Schlange vor der Supermarkt-Kasse jemand nicht den Mindestabstand zu mir einhält – etwa drei Meter.
Wenn ich beim An- oder Ausziehen in der Dunkelheit eines Kleides oder Pullovers hängen bleibe. Ich eine Tür nicht finde, die mich hinausführt. In engen, fensterlosen Räumen, in der überfüllten U-Bahn/Tube/Metro, im dunklen Keller oder bei IKEA.
Das ließe sich endlos fortführen. Aber ich will hier selbstverständlich niemanden langweilen.
Außerdem sind mir einige Menschen zu laut und daher zu viel.
Ganz grundsätzlich habe ich das Problem, dass meine Grenzen nicht respektiert werden. Meine Körpergrenzen. Ich bin nicht gerade klein geraten und doch werde ich ständig übersehen.
Diese ganze Dünnhäutigkeit macht den Umstand, dass ich Journalistin bin, auch nicht gerade einfacher. Jemandem wie mir ist es in der Redaktion eindeutig zu eng, zu laut, zu unhöflich, zu ungehobelt.
Fünftes Kapitel
Gottseidank gibt es April.
Da fühle ich mich bei der Arbeit nicht immer wie ein Alien. Denn April und ich, wir sind uns einig.
Uns ist bewusst, dass der Mensch nur ein Staubkorn auf dieser Erde ist. Dass wir uns alle nichts einbilden sollten auf unsere ach so hochentwickelte Spezies und unsere vermeintlichen Errungenschaften, die vor allem eins bewirkt haben: Unseren Planeten zu plündern und den Menschen zu entmenschlichen. Wenn er nicht auf der Flucht vor Krieg und Dürre ist, dann ist er es vor sich selbst.
Aber wir beide, April und ich, wir haben privat die Welt im Döschen.
Wir sind vom Markt und müssen nicht mehr mit hungrigen Augen durch die Welt stromern und uns mit diesem ganzen Dating-Theater beschäftigen.
Glücklicherweise ist das vorbei.
Ich wüsste tatsächlich auch gar nicht mehr, wie das geht, mit dem Kennenlernen. Das läuft ja heute völlig anders ab und kaum noch analog. Nicht mehr in der Kneipe, im Club oder Café lernen sich die Füreinander-Bestimmten kennen, sondern eher auf Tinder, okcupid und derlei Apps.
Aber uns kann das ja egal sein.
April und ich wird sind angekommen.
Wir sind beide glücklich verheiratet, müssen nicht mehr nach links und rechts schauen und brauchen uns weder bei Tinder noch bei Twitter anzumelden. Müssen niemanden mehr auswählen und niemandem folgen.
Wir haben uns gefunden, uns und einander und unsere Männer.
Noch dazu hat April zwei sehr wohlgeratenen Söhnen das Leben geschenkt, die ihr ganzer Stolz sind.
Ach ja, und sie haben natürlich, wie es sich für eine vollständige Familie in heutigen Zeiten gehört, einen Hund. Fritz heißt der, ist ein Grand Basset Griffon Vendéen und so unfassbar süß, dass er mich eigentlich auch schon fast dazu gebracht hat, mir einen Hund anzuschaffen.
Er überrollt einen, trotz seiner recht kurzen Beine, mit seinem Temperament und freut sich wie ein Schneekönig über jeden Menschen.
Einfach jeden.
Na ja, ich bilde mir schon ein, dass er sich über mich ein bisschen mehr freut, als über den durchschnittlichen April-Besucher.
Wenn Fritz spielen will, dann ist er außer Rand und Band. Und das trotz seiner acht Jahre. Er ist wuschelig und kompakt und hat die schönsten Augen, die ein Lebewesen haben kann. Ich bin ihm jedenfalls seit unserer ersten Begegnung verfallen.
Aber erstens will mein Mann keinen Hund. Und zweitens kann ich mich nicht um einen Hund kümmern, weil ich meistens arbeite.
Fritz ist jedenfalls eine Augenweide.
April erzählt mir beim Lunch, den wir wie gewohnt bei unserem Lieblingsmittagsitaliener in Köln in Domnähe zu uns nehmen, die neuste Anekdote.
Sie waren am Wochenende zum Shoppen in Düsseldorf. Auch Kölner haben manchmal das Bedürfnis die nette kleine Nachbarstadt zu besuchen. Und nirgendwo sind vermutlich die notorischen Ketten und Läden so wunderbar zentral angeordnet wie in Düsseldorf.
Jedenfalls gehen sie so ihres Wegs nahe der Kö als sich plötzlich zwei kleine, arabisch aussehende Kinder – ein Mädchen und ein Junge – auf Fritz stürzen. April und ihre Familie bleiben stehen und lassen den Kindern ihren Spaß. Dann will Fritz aber auch irgendwann weiter. Gehen Sie also weiter. Sie setzen sich in ein Café und am Nachbartisch sitzt ein Scheich.
Ein echter.
Das ist in Düsseldorf nicht so ungewöhnlich. Im Breidenbacher Hof soll es eine ganze Krankenhausetage geben, die eigens für Gäste aus dem Ausland, vor allem aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und die an ihnen durchgeführten medizinischen und kosmetischen Eingriffe eingerichtet wurde.
Da sitzt also dieser Scheich und fragt Aprils Mann Tim, (Frauen nehmen Scheichs ja generell eher nicht als Gesprächspartner wahr), „Wie viel kostet der?“
Es war wohl eindeutig, dass Fritz gemeint war und dass es sich bei dem Mädchen und dem Jungen um die Scheich-Kinder handelte.
Ich kann es nicht fassen und schlage entgeistert die Hand vor den Mund: „Die glauben