„Das geht aber alles nur nach eingehender Prüfung durch die Personalabteilung. Und in der Zwischenzeit ist mein Vertrag ausgelaufen.“
„Das sind aber auch Schlafmützen. Und was machst du jetzt?“
„Mich arbeitslos melden“, Catherine lachte. „Ich freue mich schon auf den Bewerbungskurs – da lerne ich bestimmt eine Menge. Mein großzügiger Financier aus der Schweiz hat nebenbei eine schnelle und unbürokratische Lösung entwickelt, damit wir sein Geld ausgeben können. Er meinte, dann würde er mir eben den Differenzbetrag zwischen dem Arbeitslosengeld und meinem Gehalt auszahlen. Alles hochgradig illegal natürlich, aber wenn das System uns so im Stich lässt, müssen wir lernen, es auszutricksen.“
Julia lächelte ihre Freundin an. Sie bewunderte Catherines Unbekümmertheit und ihren Optimismus. Manchmal hoffte sie, dass etwas von dieser Energie auf sie ausstrahlen würde. Julia hatte die Ungewissheit in ihrem Beruf immer verrückt gemacht. Jedenfalls solange sie noch die Kraft gehabt hatte, sich um etwas anderes zu sorgen als um ihre Kinderlosigkeit.
„Arbeitest du dann weiter in Pauls Labor?“
„Nein, Philippe hat mir großzügig Asyl angeboten. Ich liebe ihn!“ Catherine lachte. „Und er stellt keine Fragen, wie ich mich finanziere.“
„Umso besser, es war sowieso mal an der Zeit, dass du von diesem Amerikaner wegkommst. Mit dem kommt deine Karriere nie voran. Gehen wir noch einen Kaffee trinken?“
Die beiden standen auf und gingen durch den sonnendurchfluteten Hof zu dem kleinen Kaffeestand.
Aufklärung
Der grauhaarige Mann war klein und gedrungen, seine lederne Haut war sonnengebräunt. Er saß Julia und Sebastian gegenüber, sicher abgeschirmt hinter einem wuchtigen, massivhölzernen Schreibtisch. Durch seine großen, quadratischen Brillengläser sah er ausschließlich Julia an, während er ihren Erklärungen zuhörte und dabei ihre Hormonwerte studierte.
Er ist mit den Pieds Noirs, nach Frankreich gekommen, dachte Sebastian. Ein nordafrikanischer Gaullist.
„Écoutez“, setzte der Gaullist schließlich mit einer weiten Handbewegung an, „hören Sie, ich werde es Ihnen erklären.“
„Sie sind eine intelligente, gebildete Frau. Sie werden mich schnell verstehen“, fügte er gönnerhaft hinzu, begann dabei auf einem Blatt Papier zu malen. Er hielt einen Vortrag darüber, mit wie vielen Follikeln ein Mädchen geboren wird und wie sie im Laufe des Lebens, insbesondere später, im Zuge monatlicher Eisprünge, verbraucht werden und degenerieren, bis praktisch nichts mehr übrig ist. Dann setzen die Wechseljahre ein. Dabei strich er nach und nach beinahe alle Follikel durch, die er vorher mit so viel Liebe in stilisierte Eierstöcke gemalt hatte. Er sprach von 25jährigen, fortpflanzungswilligen Frauen, die manchmal trotz gut getimten Beischlafs bis zu vier Monate auf eine Schwangerschaft warten müssen, weil nicht immer ein qualitativ hochwertiges Ei springt.
Julia dachte einen Moment darüber nach einzuwenden, dass manchmal auch das Sperma von Monsieur von geringer Qualität sein kann, doch sie hatte kein Interesse daran, den Arzt unnötig zu reizen. Sie beschränkte sich stattdessen darauf, gelegentlich ein schwaches „ich weiß, ich weiß“ einzuwerfen, in der Hoffnung, damit den Redefluss des Mannes zu stoppen. Der schloss schließlich seine Erklärungen mit der Schlussfolgerung, dass die Eizellreserve auch durchaus mit 38 schon erschöpft sein könne. Mit einer triumphalen Geste strich er dabei in beiden Eierstöcken noch eine letzte Eizelle durch.
„Ein ganz natürlicher Alterungsprozess“, fügte er hinzu und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, offensichtlich sehr zufrieden mit seinen Ausführungen. Julia fragte sich, ob er von ihr erwartete, dass sie nun getröstet nachhause ginge. Sie sah verstohlen zu Sebastian hinüber, der während der gesamten Rede angestrengt auf den Boden gestarrt hatte.
Julia hatte einen Stapel Fachartikel vor sich auf den Schreibtisch gelegt. Ihr Problem war ihr bestens bekannt, seitdem ihr ein anderer Gynäkologe vor einigen Wochen die Tür und den Weg nach Spanien zu einer Eizellspende gewiesen hatte, anstatt wie erwartet die Behandlungen fortzusetzen. Julia hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass es eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern gab, die bei Fällen wie ihrem noch erfolgversprechende Behandlungsmethoden sahen. Und sie hatte dank ihres Studiums der Fachliteratur die paar wenigen Pariser Ärzte ausfindig gemacht, die an diese Methoden glaubten und sie praktizierten. Das Problem war, rasch genug einen Termin zu bekommen. Deswegen saßen Sebastian und sie jetzt in einem reichen Westpariser Vorort diesem Mann gegenüber, dem nordafrikanischen Gaullisten, wie Sebastian auf dem Weg zur Metro später beharren sollte. Was Julia anbelangte, so hatte ein Eierstock malender Pädagoge, der ermüdende Vorträge über Zusammenhänge hielt, die sie aus der Schulzeit zu kennen meinte, unabhängig von Herkunft und politischer Orientierung keinen Platz in dem kurzen, reproduktivem Leben, das ihr noch blieb.
„Machen Sie denn In-Vitro-Fertilisation mit milder Stimulierung in ihrer Klinik?“, fragte Julia ihn erleichtert, als sie endlich zu Wort kam.
„Nein. Wir brechen jeden Zyklus ab, bei dem wir nicht mindestens vier Eizellen gewinnen.“
Julia wusste sehr genau, was ihre Werte anzeigten. Auch bei starker Stimulierung mit Hormonen würde man bei ihr keine, und wenn, dann nur sehr wenige Eizellen gewinnen können, während bei jungen, gesunden Frauen manchmal mehr als zwanzig Eizellen reiften. „Poor responder“ – schlecht antwortende, oder besser schlecht ansprechende Frauen, nannte man das in Fachliteratur. Julia hatte eine lange Karriere als gute Schülerin, Studentin, Doktorandin und Wissenschaftlerin hinter sich und bislang waren alle, die für sie wichtig waren, immer hochzufrieden mit ihren Antworten gewesen. Die Empörung darüber, als „poor responder“ eingestuft zu werden, reichte nahe an Julias Trauer über die ungewollte Kinderlosigkeit heran. Doch diesmal half alles nichts: Es war klar, dass sie den Standards in der Klinik des Gaullisten nicht gewachsen war.
„Auch in Issy haben sie damit aufgehört“, behauptete der kleine Gaullist jetzt.
„Warum schreiben die dann Fachartikel über diese Methode und halten Vorträge auf Konferenzen?“, fragte Julia mit kaum unterdrücktem Ärger.
„Inzwischen sind sie auch enttäuscht über die Ergebnisse“, behauptete der Gaullist frech.
Julia sah davon ab einen Streit anzufangen. Vorerst war dieser Mann ihre einzige Hoffnung auf eine rasche Behandlung. Inzwischen hatte er begonnen, mehrere Anekdoten von Patientinnen mit schlechten Hormonwerten aneinander zu reihen, die er wider besseres Wissen behandelt hatte – wegen ihrer bitterlichen Tränen. Selbstverständlich waren alle Versuche fehlgeschlagen. Die abschließende Anekdote handelte von einer 32jährigen, die es nach mehreren gescheiterten Versuchen mit eigenen Eizellen endlich eingesehen hatte, nach Spanien gefahren und mit einem Kind nachhause gekommen war, nur um zwei Jahre später noch ein eigenes Kind zu bekommen.
„Aber die war viel jünger als ich“, murmelte Julia.
„Richtig“, rief der Gaullist und strahlte. Einen Moment lang befürchtete Julia, dass sie jetzt einen Marienkäferstempel bekommen und der Gaullist „fein, Julia“ in ihre Patientenakte schreiben würde, wie damals, wenn sie in der Grundschule fehlerfreie Diktate geschrieben hatte. Sie hatte genug gehört.
„Also wie sieht es aus?“, fragte sie. „Haben Sie Lust uns zu behandeln?“
Der Gaullist atmete tief durch. Mit einem solchen Frontalangriff hatte er offenbar nicht gerechnet. Er zog abrupt sein Kinn hoch.
„Warum nicht?“, sagte er schließlich. „Wir könnten es mit einer Insemination bei ganz leichter Stimulierung versuchen. Damit habe ich schon Schwangerschaften bei Frauen wie Ihnen erzielt. Verstehen Sie, ich interveniere praktisch nicht, sondern ich lasse die Natur das richtige Ei aussuchen.“
Er hatte eine Art Stift von einer bekannten Pharmafirma heraus gesucht und zeigte Julia jetzt, wie sie sich selbst Hormonspritzen in ihr Bauchfett