Ob er eine gute Fahrt gehabt habe, fragte ich.
Ja, er sei früh in Nürnberg los gefahren und ganz gut durchgekommen.
Eine Thermokanne mit Kaffee und zwei Fläschchen Mineralwasser lockten uns an den Besuchertisch. Ich hatte gelernt, dass ich die kühle Distanz, die zwischen zwei fremden Menschen bestand, mit der Frage, ob ich ihm (oder ihr) einen Kaffee oder ein Mineralwasser anbieten dürfe, überwinden konnte.
Bei Kaffee müsse er passen, antwortete er, aber ein Mineralwasser nehme er gerne.
Als weitere vertrauensbildende Maßnahme tauschten wir unsere Visitenkarten aus.
In diesem Raum sei es recht warm, stellte Herr Winterkraut fest und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er seine Jacke auszöge.
Nein, natürlich nicht, antwortete ich.
Nun saß er vor mir in einem weißen Hemd mit einer grünen Krawatte und erzählte mir von seiner Arbeit. Ich erfuhr, dass Herr Winterkraut ein erfahrener Gartenbauingenieur war, der sich mit seiner Firma Greenway auf die Begrünung von Großraumbüros und Empfangshallen spezialisiert hatte. Er überreichte mir einen Prospekt mit schönen Bildern, die offenbarten, wozu Greenway fähig war.
Auf meine Frage, wie viele Mitarbeiter er habe, antwortete er, neun, mit ihm seien sie zehn. Sie lieferten Pflanzen in Büroräume, weil Menschen sich wohler fühlten und effizienter arbeiteten, wenn grüne Pflanzen sie umgaben; das hätten mehrere Studien gezeigt. Selbst in Krankenhäusern würden Patienten schneller genesen, wenn sie durch ein Fenster auf grüne Bäume blickten. Unsere Liebe zu Grün hänge mit unserer Evolution zusammen, die ja in der freien Natur stattgefunden habe.
Ah ja, sagte ich. Die heilende Rolle von Grün war mir neu. Ich freute mich, dass ich etwas dazu lernte.
In vielen Büros, fuhr Herr Winterkraut fort, er meine Büros, die Greenway begrüne, rieche die Luft nicht frisch, sondern nach Schweiß und Atem und chemischen Stoffen, die von Teppichböden, Möbeln und Bürogeräten ausgasten. Zwar werde die Raumluft ständig mit frischer Luft von außen vermischt, aber um Kosten zu sparen, beschränken Betriebe die Luftzufuhr am Tag auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum und stellen sie in der Nacht ganz ab.
Ich nickte, dieses Problem kannte ich.
Herr Winterkraut redete weiter: Die schlechte Luft in Büroräumen habe ihn zu einem Luftreinigungsgerät mit Pflanzen inspiriert. Er öffnete seinen Karton und nahm sein neuartiges Gerät heraus. Salopp gesagt, handele es sich um einen ‚Pflanzentopf mit Ventilator‘. Selbstzufrieden über seine Formulierung lächelnd blickte er zu mir.
Ich lächelte ebenfalls.
Aber etwas komplizierter sei es schon, sagte er: Ein kräftiger Ventilator drücke die Raumluft durch einen Schacht unten in den Pflanzentopf, in dem eine oder mehrere Pflanzen in einem Gemisch aus Bimssteintuff und Aktivkohle wurzelten. Die Luft breite sich unten im Pflanzentopf aus und ströme nach oben. Weil muffelnde Substanzen an der Aktivkohle hängen blieben, rieche die aus dem Topf kommende Luft frisch. Seine Erfindung sei an keine Geometrie gebunden; die Luft könne in runden Töpfen gereinigt werden und in großen länglichen, dann mit mehr als einem Ventilator.
Das sei interessant, sagte ich, und drückte mit dem in Bayern gerne verwendeten Wort Respekt meine Anerkennung aus. Wie lange sein Geruchsfilter funktioniere, fragte ich; irgendwann müsse die Aktivkohle mit stinkenden Stoffen gesättigt sein.
Diese Frage hätten sie sich auch gestellt, erwiderte Herr Winterkraut. Offenbar gebe es im Wurzelbereich der Pflanzen Mikroben, harmlose Bodenbakterien, die sich von den übel riechenden Substanzen ernährten. Die Mikroben fräßen die Stinkstoffe ständig von der Aktivkohle herunter und verhinderten so, dass die Aktivkohle voll beladen wird.
Sehr gut, sagte ich. Nach einem Schluck Kaffee fragte ich, ob er eine Werkstatt besitze und geeignetes Personal, um aus dem Modell ein marktreifes Produkt zu entwickeln.
Ja, sie hätten eine Werkhalle, in der ein Ingenieur, der Maschinenbau und Umwelttechnik studiert habe, und ein Schlosser arbeiteten. Seine Firma würde nicht nur Büros begrünen, sondern auch Geräte herstellen, um die Pflanzen zu bewässern, vollautomatisch. Diese Geräte seien absolut notwendig, denn in Büros würde sich selten jemand finden, der sich um die Pflanzen kümmere. Alle wollten Pflanzen, aber keiner wolle sie gießen.
Einen Moment lang dachte ich an meinen allzu früh verwelkten Drachenbaum, kam aber schnell zurück auf Herrn Winterkrauts Vorhaben und sagte: Gut, was ich hörte, klang originell. Ich stand auf und holte aus einer Schublade meines Schreibtischs die Richtlinie für das Innovationsprogramm des Freistaats Bayern. Da seine Firma ihren Sitz in Bayern habe, sollte er in dem bayerischen Förderprogramm den Antrag stellen, empfahl ich. Zusammen gingen wir die einzelnen Abschnitte durch. Am Ende fragte Herr Winterkraut, ob er das richtig gelesen habe; der Zuschuss betrage dreißig Prozent.
Ja, dreißig Prozent der Gesamtkosten, sagte ich. Nach meiner Erfahrung koste die Entwicklung eines relativ einfachen Produkts, wie das des Luftreinigers mit Pflanzen, einhunderttausend bis zweihunderttausend Euro.
Herr Winterkraut riss die Augen auf und fragte: So viel?
Ja, antwortete ich mit Nachdruck. Die Kosten für die Entwicklung eines marktreifen Produkts dürfe er nicht unterschätzen. Es lohne sich im ersten Schritt mehrere Varianten zu konstruieren, die Vor- und Nachteile durchzuspielen und dann ein leistungsfähiges und einfach zu produzierendes Modell auszuwählen. Danach müssten sie einen funktionierenden Prototyp bauen, mit dem sie Versuche durchführen könnten, Versuche in einem kleinen, abgegrenzten Raum. Wenn in seinem Firmengebäude kein kleiner Raum vorhanden sei, solle er einen Container mieten; einen Bürocontainer, wie er auf Baustellen verwendet werde. In den Versuchen müssten sie eine geruchsaktive Substanz, zum Beispiel eine kleine Menge Parfüm, mit der Luft im Versuchsraum vermischen und dann prüfen, wie schnell der Luftreiniger den Geruch eliminiere. Die Prüfung erfolge natürlich nicht nur subjektiv mit der eigenen Nase sondern exakt durch chemische Analyse von Proben, die sie der Luft entnähmen.
Er dürfe nicht glauben, dass der Prototyp auf Anhieb bestens funktioniere. Er werde ihn verbessern müssen, optimieren, dann mehrere Exemplare herstellen und deren Wirkung in Büros untersuchen; eine Langzeitstudie über einen Zeitraum von drei Monaten.
Er verstehe, sagte Herr Winterkraut.
Bei Gesamtkosten von zweihunderttausend Euro betrage der Zuschuss sechzigtausend, sagte ich. Die fehlenden hundertvierzigtausend Euro müsse Greenway selbst stemmen. Ob seine Firma dazu in der Lage sei.
Er dachte kurz nach, sagte dann, verteilt auf zwei Jahre sei das kein Problem. Ein paar Sekunden später fragte er mich, wie hoch mein Honorar sei.
Zehn Prozent des Zuschusses, antwortete ich.
Damit war er einverstanden. Er benötige ein schriftliches Angebot.
Das Angebot werde ich ihm noch heute oder spätestens morgen per Telefax schicken.
Kapitel 4: Von Tag zu Tag
An Werktagen stand ich zwischen sechs und sieben Uhr auf, rasierte mich, sprang unter die Dusche, zog bequeme Businesskleidung an und frühstückte ein kräftiges Morgenessen mit Vollkornbrot, Butter, Camembert und Salami, an manchen Tagen ein weichgekochtes Ei. Dazu trank ich frisch gebrühten Kaffee und milden Orangensaft. Eine Flasche Mineralwasser nahm ich mit ins Büro zu meinem Laptop.
„Was den Leuten alles einfällt“, murmelte ich vor mich hin. In diesem Monat beantragte ich Fördermittel für die Firma Kohler Shave GmbH, die ein ‚Reinigungsgerät für Nassrasierer‘ erfunden hatte. Das werde ein Massenprodukt sagte Herr Kohler und fügte hinzu, ohne eine Finanzspritze könnten sie das nicht zur Marktreife bringen.
Dass die modernen mehrteiligen Rasierklingen nicht leicht zu reinigen sind, wusste jeder, der sich damit rasierte und sie nach der Rasur zu säubern versuchte. Nach meiner Erfahrung gelang dies am besten unter einem starken Wasserstrahl mit einer kleinen Bürste. Wieviel