„Sag ihnen, meine Frau hätte mich zum Teufel gejagt, weil ich einer anderen ein Kind gemacht habe.“
„Du bist verrückt“, platzte Walter heraus. Er schüttelte den Kopf, stand auf und holte eine Flasche Mineralwasser und zwei Gläser. Mit zittriger Hand goss er Wasser in ein Glas. Nach einem langen Schluck fragte er: „Was soll aus deinem Anteil an Rototech werden?“
„Ich muss verkaufen. Es ist bestimmt im Interesse der Firma, wenn ich abtauche und Rototech mit meiner Tat nicht belaste. Natürlich brauche ich auch Geld.“
Schäbig war Walter Zeller nicht. Er zahlte mir einen fairen Preis. Ein anderer hätte vielleicht meine Situation ausgenutzt und den Preis gedrückt, nicht jedoch Walter.
„Die Summe, mit der dein Vater bei Rototech eingestiegen ist, kann ich dir innerhalb von ein paar Tagen zurückzahlen. Das ist versteuertes Geld, dafür musst du nicht noch einmal Steuern entrichten“, sagte er. „In den vergangenen zwanzig Jahren ist die Firma wertvoller geworden; heute ist sie viermal so viel wert wie damals. Deinen Anteil am Wertzuwachs werde ich dir in monatlichen Raten über die nächsten fünf Jahre auszahlen. Dieses Geld musst du allerdings versteuern.“
„Du bist ein wahrer Freund“, sagte ich, „verzeih‘ mir bitte.“ Nach diesen Worten verlor ich die Fassung, ließ meinen Tränen freien Lauf. Walter reichte mir eine Schachtel mit weichen Papiertüchern.
Sobald die Rückzahlung von Rototech auf meinem Konto erschien, überwies ich die Hälfte davon an Heidi. Mit der Bemerkung, „ich brauche dein Geld nicht“, schickte sie postwendend den Betrag zurück. „Das ist Geld von meinem Vater“, schrieb ich in die Zeile für den Verwendungszweck und überwies den Betrag erneut. Diesmal behielt sie ihn.
An einem Vormittag holte ich meine Siebensachen aus unserem Haus: Drei Plastiksäcke mit Schuhen, Wäsche und Kleidung, meine Geige, ein paar CDs, meine Lieblingsbücher und zwei Ölgemälde, die meine Schwester mir geschenkt hatte; dazu ein Kopfkissen, eine Wolldecke und mein Fahrrad.
„Bitte keine Tränen“, sagte ich vor mich hin, musste aber feststellen, dass ich dieser Bitte nicht folgen konnte. „Was für ein unglückliches Ende.“ Weinend schloss ich die Haustür ab und warf meinen Schlüsselbund in den Briefkasten. Mit meinem voll bepackten BMW fuhr ich nach Osten.
Kapitel 2: Neustart in Passau
In Passau wohnte ich elf Wochen lang in einer Pension, bis ich in der Nähe einer Geschäftsstraße im zweiten Stock eines renovierten und umgebauten Altbaus ein Apartment fand, das wegen seines schlauchförmigen Zuschnitts für Familien ungeeignet, für mich jedoch ideal war. Unten an die Hauswand und oben an den Eingang schraubte ich mein Geschäftsschild:
Herbert Tahler - Unternehmensberatung
Die Wohnungstür aus massivem Eichenholz öffnete sich in einen ungefähr achtzehn Quadratmeter großen Raum, den ich als Büro einrichtete mit preiswerten Möbeln aus dem Nachlass eines Steuerberaters. Das braun gebeizte Kirschholz wirkte auf mich altmodisch, war aber vorteilhaft fürs Geschäft, denn es vermittelte den Eindruck, dass ich schon Jahrzehnte lang erfolgreich arbeitete.
Auf der linken Seite fiel durch zwei Fenster Licht in den Raum. An das erste Fenster stellte ich einen quadratischen Besuchertisch mit vier gepolsterten Stühlen und an das zweite meinen Schreibtisch und einen bequemen Chefsessel mit Rollen. Schreibtisch und Sessel rückte ich so zurecht, dass ich im Sitzen zur Eingangstür blickte. An die fensterlose Wand rechts vom Eingang platzierte ich einen Garderobeständer, einen Aktenschrank und zwei lange schmale Tische, auf denen ein Laserdrucker, eine kleine Kopiermaschine und ein Telefaxgerät meine Arbeit unterstützten.
Die weiß gestrichenen Wände, der graue Teppichboden und zwei Neonleuchten an der Decke betonten den geschäftlichen Charakter dieses Raums. Allein der Farbtupfer an der Wand hinter meinem Schreibtisch - ein vielfarbiges, abstraktes Bild von ineinander verschachtelten Würfeln - milderte den Geruch nach Business.
Mit Zimmerpflanzen hatte ich kein Glück: Ein Drachenbaum, der für ein natürlich anmutendes Ambiente sorgen sollte, welkte nach wenigen Wochen dahin. Übrig blieb ein lindgrüner Keramiktopf, den ich eine Weile als Papierkorb benutzte, bis ich ihn schließlich hinunter in meinen Kellerverschlag trug und zwischen die Kiste mit Mineralwasser und das mit einigen Flaschen Spätburgunder bestückte Weinregal stellte.
Eine Tür in der Wand neben meinem Schreibtisch führte in einen Flur mit drei Türen, zwei auf der linken Seite und eine an der Stirnseite. Die erste Tür öffnete sich in eine schmale Kammer mit WC und Handwaschbecken, die zweite in ein geräumiges Badezimmer, in dem neben der Duschkabine und dem Waschbecken eine Waschmaschine Platz hatte.
Hinter der Tür am Ende des Flurs lag der Wohnbereich, eine offene Wohnküche mit zwei Fenstern und einer Glastür auf der linken, nach Südwesten gewandten Seite. Diesen Raum einzurichten fiel mir nicht leicht. Fest installiert waren eine Spüle an der Wand zum Badezimmer und ein Herd mit Dunstabzug fast in der Mitte des Raums. Über die Position des Herds rümpfte ich im ersten Moment die Nase, änderte jedoch meine Meinung schnell. Es gefiel mir, beim Kochen in den Wohnraum zu blicken und nicht gegen eine Wand. Die Anrichte in Buchenholzdekor, die unter dem ersten Fenster begann und nach eineinhalb Meter rechtwinklig zum Herd abbog, ließ ich von Meister Ertl, einem Schreiner in der Nachbarschaft, passgenau fertigen. Ich schätzte die große Arbeitsfläche und die geräumigen Unterschränke und Schubladen, in denen ich alles unterbrachte, was ich zum Kochen brauchte: Töpfe, Pfannen, Schüsseln, Geschirr, Kochlöffel, Messer, Besteck und, durch eine Zwischenwand getrennt, Spaghetti, Mehl, Salz, Zucker, Kaffee, Gewürze, Olivenöl und Essig. Verderbliche Nahrungsmittel - Gemüse, Obst, Butter, Käse, Wurst - und Tiefkühlkost lagerte ich in einem Kühlschrank mit Tiefkühlfach, den ich links neben der Spüle anschloss.
Ich kochte gern, ging selten aus zum Essen, denn die Gerichte, die ich selbst zubereitete, schmeckten mir besser als die, die ich in gut bürgerlichen Restaurants serviert bekam. Meine Lust zu kochen, entwickelte sich langsam über Jahre. In meiner Studienzeit an der Fachhochschule Reutlingen konnte ich außer Wasser nichts kochen, und das ging nicht nur mir so, auch keiner der anderen fünf Mitbewohner in unserem Studentenhaus konnte ein schmackhaftes Essen zubereiten. Mein Interesse fürs Kochen weckte Babette, eine liebe Kollegin während meiner Diplomarbeit. Zu meinem Geburtstag schenkte sie mir ein Kochbuch für Anfänger und sagte augenzwinkernd, durch nichts könne ein Mann eine Frau mehr beeindrucken als durch ein gutes Essen.
Meine Favoriten waren Gerichte, die nicht viel Arbeit machten aber trotzdem meinen Gaumen kitzelten. Jetzt im Frühsommer kamen mindestens einmal in der Woche Pfannkuchen mit Spargel, gekochtem Schinken und Sauce Hollandaise auf meinen Tisch - einen runden Esstisch aus hellem Buchenholz, den ich zusammen mit vier dazu passenden Polsterstühlen in die Nähe des zweiten Fensters gestellt hatte.
Über den Tisch und die Anrichte hängte ich Deckenlampen mit Schirmen aus Rauchglas, schöne alte Glasarbeiten, die mir bei einem Flohmarkt in Passau ins Auge gesprungen waren. Auf der rechten Seite des Raums, wo ein großes Bücherregal und eine gemütliche Ecke mit Sofa, Sessel und Couchtisch die Einrichtung ergänzten, spendete eine moderne Stehlampe mit Leseleuchte und Deckenfluter warmes Licht. Neben Büchern, Zeitschriften und einer Schublade mit CDs gab es im Regal Platz für zwei Lautsprecher und eine kompakte Musikanlage. Schräg am Regal lehnte ein Geigenkasten mit meiner Geige, die mich seit dreiunddreißig Jahren begleitete.
Der Fußboden sei ein flacher Kachelofen, hatte Frau Rohrmoser, meine Vermieterin, schmunzelnd gesagt, während sie mich durch die Wohnung führte. Fußbodenheizung sei angenehm, man habe keine störenden Heizkörper im Raum und im Winter immer warme Füße. Ja, das war mir bekannt.
Nach meiner Erfahrung mit dem welkenden Drachenbaum verzichtete ich in der Wohnküche auf Zimmerpflanzen. Stattdessen hängte ich zwei farbige Stiche von Orchideen auf; das Bild einer Bienen-Ragwurz