Abschied mit schwarzer Rose. Benno Wunder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benno Wunder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752904758
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losen Kontakt. Walter studierte Maschinenbau in Aachen und mein Vater Chemie in Stuttgart. Viele Jahre später, als Walter einen Investor brauchte, um sein Unternehmen Rototech zu gründen, wandte er sich an meinen Vater. Der war bereit sich mit fünfundzwanzig Prozent an Rototech zu beteiligen. Nach dem Tod meines Vaters erbte ich diesen Anteil.

      Trotz des Altersunterschieds bauten Walter und ich über die Jahre eine tiefe Freundschaft auf, vertrauten uns und steuerten die Firma Rototech erfolgreich durch manche Woge. Nun musste ich ihm erzählen, dass ich vor mehr als zwanzig Jahren den Tod einer jungen Frau verursacht hatte. Ich würde ihn maßlos enttäuschen …

      Die Bedienung unterbrach meine Grübelei. Sie brachte mir eine Flasche Pils und ein kelchförmiges Glas, in das sie einen Teil des schäumenden Getränks goss. „Zum Wohl“ wünschte sie, dann ging sie zu den Gästen am Nachbartisch, die bezahlen wollten.

      Ich vergaß ihr zu danken. Die Suche nach einem Weg, wie ich Walter Zeller meine Untat schonend beibringen könnte, schien keine anderen Gedanken zuzulassen. Weil das Bier kalt war, trank ich es in kleinen Schlucken, goss nach und trank, bis die Flasche leer war. Als das Servierfräulein mit dem Schinkenbrot kam, bestellte ich eine zweite Flasche. Noch vor ein paar Tagen hätte ich das mit Butter bestrichene und mit reichlich gekochtem Schinken belegte Brot zusammen mit den am Rand liegenden Cocktailtomaten und Salatblättern genießerisch gegessen, heute jedoch fraß ich es in mich hinein.

      Obwohl ich todmüde war, schlief ich in dieser Nacht wenig. Nackt wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Es lag nicht an dem fehlenden Schlafanzug; den vermisste ich nicht. In den ersten Jahren schliefen Heidi und ich Nacht für Nacht nackt zusammen. Wir brauchten den direkten Hautkontakt.

      Nicht der Pyjama sondern meine ungewisse Zukunft raubte mir den Schlaf. Wohin sollte ich gehen, und was könnte ich dort arbeiten? Wenn ich im Süden bleiben wollte und möglichst weit weg vom Bodensee gehen sollte, bot sich der Osten von Bayern an. Passau kam mir in den Sinn. Dort hatte ich vor einiger Zeit geschäftlich zu tun. Ja, in dieser schönen Stadt mit den drei Flüssen könnte ich leben. Arbeiten müsste ich als selbständiger Ingenieur.

      In jener Nacht entstand der Plan, innovative Unternehmen zu beraten, wenn sie ein neues Produkt entwickeln wollten und dafür Fördermittel vom Staat benötigten. Im Dschungel der finanziellen Zuschüsse kannte ich mich einigermaßen aus, seit ich bei Rototech erfolgreich Forschungsgelder für eine neuartige Siebzentrifuge akquiriert hatte. Sogleich fiel mir ein Slogan für meine neue Tätigkeit ein: Herbert Tahler, die Adresse für das Geld vom Staat. Ich musste lachen, nur kurz, dann drängelte sich der Kummer wieder vor.

      Am Morgen wechselten meine Gedanken zwischen Frühstück, Walter Zeller und Betonpfeiler. Auch jetzt könnte ich noch tun, was mir gestern Abend verwehrt wurde. Warum ich mich für das Frühstück entschied, kann ich nicht sagen. Ein üppiges Buffet erwartete mich im Frühstücksraum mit Brötchen, Croissants, Butter, Marmelade, Rührei, Schinken, Tomaten, Pfirsichen, Orangensaft, Kaffee und Tee. Ich begann mit einer Tasse Kaffee und einem Croissant. Danach nahm ich ein Vollkornbrötchen und aß dazu Rührei, Schinken und Tomaten.

      Aus dem Radio tönte ein Song der Kölschrockband BAP: „Alles em Lot, alles weed joot…“

      Was für ein Unsinn, dachte ich; bei mir ist nichts im Lot, und nichts wird gut. Ich blieb lange sitzen und ließ bei einer weiteren Tasse Kaffee Zeit verstreichen. Heidi und Julia in unserem Haus zu begegnen, hätte ich nicht ertragen. Bevor ich losfuhr, buchte ich an der Rezeption das Zimmer für eine weitere Nacht.

      Langsam näherte ich mich unserem Carport. Die Frage, ob Heidi schon in ihr Designbüro gefahren ist, beantwortete mein Auge sogleich: Ja, ihr Volvo stand nicht im Carport. Von schmerzenden Gedanken aufgewühlt fuhr ich auf meinen Stellplatz. Tränen schossen mir in die Augen. Was für ein unglückliches Ende einer großen Liebe. Hoffentlich sieht mich niemand, dachte ich, als ich ausstieg und weinend in unser Haus schlich. Plötzlich erkannte ich, wie absurd mein Handeln war: Ich schlich in mein eigenes Haus. „Du bist vollkommen am Arsch“, sagte ich zu mir. Passend zu meiner Stimmung empfing mich in der Diele eine schwarze Rose. Ohne Worte gab Heidi mir zu verstehen, dass ich für sie gestorben war.

      In meinem Zimmer setzte ich mich ein paar Minuten lang auf einen Stuhl, atmete tief durch und trocknete meine Wangen. Danach füllte ich einen Koffer und eine Reisetasche mit Unterwäsche und Kleidung. Im Badezimmer sammelte ich meine Zahnbürste, eine Tube Zahnpasta, ein Stück Seife, einen Waschlappen, einen Kamm und meinen Elektrorasierer ein und verstaute sie in meinem Kulturbeutel. Den Beutel steckte ich in die Reisetasche. Ein Blick in den Spiegel erschreckte mich. Alt und mutlos sah ich mir entgegen, mit Bartstoppeln im Gesicht wie ein Penner. Schnell packte ich meinen Rasierapparat aus und holte nach, was ich im Gasthof nicht hatte tun können.

      Vergiss deinen Laptop nicht, ermahnte ich mich. Nein, den musste ich mitnehmen. Ich legte ihn in den Koffer und polsterte ihn mit Kleidungsstücken ab.

      Auf dem Wohnzimmertisch hinterließ ich einen Zettel mit ein paar Zeilen für Heidi und Julia: Meine Lieben, ich nahm heute mein Waschzeug und Teile meiner Unterwäsche und Kleidung mit. Den Rest werde ich in ein paar Tagen holen und anschließend meine Schlüssel in den Briefkasten werfen. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute. Herbert

      Walter Zeller bekam feuchte Augen, als ich ihm meine Geschichte erzählte. „Es tut mir leid, dich enttäuscht zu haben“, gab ich mit gebrochener Stimme von mir. Nach einer Pause, in der ich mich fasste, redete ich weiter: „Ich muss Rototech in den nächsten Tagen verlassen; Heidi will, dass ich aus ihrem und Julias Leben verschwinde. Gestern zog ich in ein Hotel.“

      „Mensch Herbert“, entfuhr es Walter. „Das ist entsetzlich.“ Nach ein paar sprachlosen Sekunden fuhr er fort: „Entsetzlich für dich und schlecht für mich. Ich plante, die Leitung der Firma im nächsten Jahr dir zu übertragen und mich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Diesen Plan kann ich jetzt in den Reißwolf schieben.“ Einen Atemzug später fragte er: „Meinst du nicht, dass ihr eure Krise überwinden könnt? Ihr seid für viele ein Traumpaar. Soll ich einmal mit Heidi reden? Oder soll Sophie, meine Frau?“

      „Nein, das würde nichts bringen. Heidi sagte, sie könne mich nicht mehr achten. Es ist hoffnungslos. Ich kann nicht mit einer Frau zusammenleben, die mich nicht achtet. Das könntest du doch auch nicht.“

      Walter gab ein nachdenkliches „Mhm“ von sich. Dann fragte er: „Wer soll hier deine Arbeit machen?“

      „Mein Assistent, Horst Bader, kennt sich mit dem Geschäft aus. Er ist ein pfiffiger junger Mann, und fleißig dazu.“

      „Mann-o-Mann. Wohin willst du denn gehen?“, fragte Walter.

      „Das weiß ich noch nicht; nur fort, möglichst weit weg.“ Dass ich mich bereits für Passau entschieden hatte, verschwieg ich.

      „Und was willst du dann dort machen?“

      „Als technischer Berater für kleine Unternehmen arbeiten.“

      „Hast du dir das gut überlegt?“, fragte er.

      „Ich wüsste nicht, was ich sonst machen könnte“, erwiderte ich.

      „Lass‘ uns eine Nacht darüber schlafen“, schlug er vor, „vielleicht finden wir doch noch einen Ausweg.“

      „Okay, wenn du meinst.“ Ich stand auf und ging in mein Büro. Dort begann ich die Dokumente zu ordnen. Damit Walter sich zurecht fand, schrieb ich eine Liste über den Inhalt von Mappen, Schubladen und Schränken. Private Gegenstände - den Bilderrahmen mit Fotos von Heidi und Julia und ein Stück versteinertes Holz, das ich als Briefbeschwerer verwendete - packte ich in meine Tasche.

      Am nächsten Morgen rief Walter mich in sein Büro. Nach dem Abendessen hatte er meinen Fall mit seiner Frau besprochen. Weil Sophie nicht glauben konnte, was er ihr mitteilte, verzog sie sich in ihr Zimmer und telefonierte mit Heidi. Nach einem langen Gespräch kam sie mit feuchten Augen zu ihm ins Wohnzimmer. Da sei nichts mehr zu retten, meinte sie; Heidis Vertrauen in ihren Mann sei vollkommen zerstört. Sie wolle Herbert nicht mehr sehen.

      „Herbert, du tust mir leid“, sagte