„Na dann“, sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, „na dann ist doch alles super.“ Zum ersten Mal seit vielen vielen Stunden fühle ich einen warmen Strom von Entspannung durch meinen Körper fließen.
„Dann ist doch alles Bestens. Warum sitze ich hier überhaupt noch?“
Matthias runzelt die Stirn.
„Ja, das ist so eine Sache. Bislang hat sie noch keine Aussage gemacht. Und es ist auch völlig offen, wann sie wieder vernehmungsfähig ist. Und solange bleibt der Mordverdacht gegen dich bestehen, leider.“
„Was soll das heißen?“
Matthias antwortet nicht. Mir wird ganz heiß. Voll die Achterbahn, das kann nicht gesund sein für den Organismus so auf Dauer. Tunnelblick. Frösteln. Schweißhände. Schwindel. Das ganze Programm.
„Das kann die doch nicht machen!“, schreie ich.
„Ruhe“, schreit Space Admiral Rodcocker zurück, „sonst ist die Besuchszeit schneller rum, als du Tschüssi sagen kannst!“
„Das kann sie doch nicht machen“, wiederhole ich noch einmal flüsternd, weil mir nichts anderes einfällt.
„Ist doch alles nicht meine Schuld. Ich muss unbedingt mit ihr reden. Ich muss!“
Matthias zuckt die Schultern. Dann schaut er mich lange an, so als wollte er telepathisch in mein Gehirn eindringen.
„Hast du schon mal Probleme mit Körperverletzung oder so gemacht?“
Ich bin perplex.
„Wie kommst du auf die Idee? Du sagst doch selber immer, das ich eine Memme bin. Und auf eine Art hast du damit sogar Recht.“
Ich glaub es gar nicht, dass ich das vor ihm zugebe, aber es kommt einfach so aus mir raus.
„Ehrlich Matthias, ich hab mich noch nie in meinem Leben geprügelt. Dresche gekriegt schon, aber nie angefangen. Und leider auch nie wirklich zurückgehauen.“
Der schnieke Lover meiner Mutter denkt sehr lange nach, dann macht er ein undefinierbares Gesicht.
„Wie gesagt, es leider im Moment nicht möglich mit der Dame zu sprechen.“ Dann beugt er sich vor und schaut mich mit verschwörerischem Blick an.
„Die Lage ist folgendermaßen. Frau Grube wurde in Reutlingen in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht, und bis sie vernehmungsfähig bist, wirst du leider warten müssen. Deine Kaution ist immerhin auf 10 000 Euro festgesetzt, das ist kein Pappenstiel. Aber vielleicht lässt sich ja was machen.“
Ich versteh überhaupt nicht, warum er mir jetzt so zuzwinkert, und wahrscheinlich glotze ich ziemlich blöd, denn er kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann klopft er mir auf die Schulter, steht auf und geht.
„Nen Gruß an meine Mutter!“, rufe ich ihm hinterher und er nickt, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich schaue ihm nach, bis mich der Space Admiral an der Schulter packt und zurück in meine Zelle bringt.
Hier hat man viel Zeit zum Nachdenken. Hilft bloß nichts, weil nichts dabei rauskommt. Ich weiß nicht, ob mich jetzt alle für einen psychopathischen Mörder halten. Ich weiß nicht, ob ich künstlerisch begabt bin. Rudolf, der Prof an der Aka, sagte immer, ich hätte Potential, und irgendwas an meiner Mappe muss ja wohl auch was getaugt haben, dass die durchging. Aber hey, wer weiß, vielleicht hatten die Profs einfach nur einen guten Tag. Oder einen blinden Tag. Oder haben gewürfelt.
Wahrscheinlich bin ich also künstlerisch begabt. Vielleicht bin ich in Anais verliebt. Aber wenn ich hier drin festsitze, ist das schwer zu sagen. Sobald ich rauskomme, fahre ich runter nach Freiburg und finde raus, wie es ist mit ihr und mir.
Ich könnte auch mal meinen Dad anrufen, wenn ich schon da unten in der Gegend bin. Hab ihn nicht mehr gesehen, seit dem einen Mal in der Bierakademie, als wir uns eigentlich nur auf ein schnelles Weizen verabredet haben. Kann sein, dass ich da überempfindlich reagiert habe. Aber mal ehrlich, wenn er sagt, er hätte Mom nie heiraten sollen, das ist schon der Hammer. Was mich angeht, heißt das nämlich: Ich hätte dich nie zeugen sollen. Du hättest nie auf die Welt kommen sollen. Ich bereue, dass es dich gibt.
Aber wer weiß, vielleicht hat er ja recht. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre den Fels runtergesprungen und diese Mutti wäre da oben sitzen geblieben auf unserer Bank. Ich hätte es jedenfalls richtig gemacht, nicht so panisch und unprofessionell. An einer guten Stelle, an der man nicht im Gestrüpp hängen bleibt und dann das ganze Elend mit Notarzt und Hubschrauber hat. Die Lady weiß wahrscheinlich nicht mal, ob sie noch laufen kann. Ob sie jemals wieder da hochlatschen und runterspringen könnte, wenn sie wollte. Aber wie soll man das rauskriegen.
Ich lasse das Gespräch mit Matthias noch einmal durch den Kopf gehen. Warum hat er nur so komisch geschaut vorhin? Oh Mann, ich bin so eine Dumpfbacke. Er hat mir was gesagt, was er eigentlich nicht sagen sollte. Ihren Namen. Und sogar so mehr oder weniger, wo man sie finden kann. Diese Infos hat er bestimmt aus irgendwelchen Akten gezogen. Keine Ahnung, ob ein Anwalt den Namen des angeblichen Opfers einsehen darf. Aber dass er mir das überhaupt gesteckt hat, war sicher nicht ganz so legal. Echt nett von ihm. Auch wenn es mir hier drinnen nichts bringt.
Ida
Ich sehe nur weiß. Das kommt wahrscheinlich davon, dass ich tot bin. Wenn man tot ist, dann hat man den Eindruck, dass man durch eine Röhre oder einen Kanal saust und dann in eine unendliche Helligkeit eintritt. Das sagen zumindest die Sterbeforscher. Beziehungsweise die Leute, die von ihnen interviewt wurden, weil sie wieder zurück kamen. Alle diese Kurzzeittoten fanden es großartig da draußen. Und trotzdem waren sie anscheinend richtig wild darauf, noch mal eine Runde auf diesem Planeten zu drehen. Deshalb haben sie sich die Mühe gemacht wieder in ihre Körper zurück zu kriechen. Um in diesen Körpern unter unerfüllten Träumen zu leiden, Zipperlein zu kriegen und bei lebendigem Leibe zu verwesen. Und wozu? Nur, um am Ende dann doch wieder tot zu sein. Kann ich nicht verstehen.
Halt mal. Wenn ich tot bin, dann habe ich das alles hinter mir gelassen. Dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich über Frau Kübler-Ross nachdenke und über verrottende Biomasse. Dann ist da doch nur noch der Moment und unendliche Freiheit und das ganze kitschige Jubelszenario drumherum.
Es gibt also zwei Möglichkeiten. Erstens. Die Sterbeforscher-Mafia lügt wie gedruckt, und tot sein ist auch nicht vergnüglicher als das Leben. Zweitens: Ich bin gar nicht tot.
Aber was ist dieses Weiß vor meinen Augen? Blendend, gleißend, künstlich wie ein Zahnpasta-Lächeln nach dem Bleeching.
Mir kommen die ganzen Himmel-Hölle-Witze in den Sinn. Wenn es im Himmel so langweilig ist, sage ich ab und nehme die Alternative. Vielleicht liegt es daran, dass ich auf dem Rücken liege und an eine weiße Decke starre. Titanoxid-Weiß mit Neonröhren-Beleuchtung.
„Frau Grube, sind Sie wach?“
Wer will das wissen.
„Frau Grube, hören Sie mich?“
Nein, ich höre ihn nicht. Ich drehe auch den Kopf nicht. Ich will nicht sehen, wer da neben mir steht.
„Frau Grube, ich sehe, dass Sie wach sind. Sie haben unglaubliches Glück gehabt. Bis auf die Gehirnerschütterung, ein paar Schürfwunden und zwei angebrochene Rippen sind Sie völlig in Ordnung.“
Glück ist Definitionssache. Wenn das kein Geistwesen mit schlechtem Humor ist, das da zu mir spricht, bin ich nach wie vor lebendig. Also starre ich tatsächlich schon die ganze Zeit an die Decke eines Krankenhauszimmers. Ich schließe die Augen. Dunkel.
„Frau Grube, wie fühlen Sie sich?“
Ich will mich zur Wand drehen. Aber es tut weh. Körper, eindeutig. Überall schmerzender Körper. Pulsierendes Stechen im Kopf. Ich bin selbst für einen sauberen Abgang zu mittelmäßig.
„Augenscheinlich hat sie noch