Abstürzen für Anfänger. Franziska Hochwald. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Hochwald
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752902181
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egal, was er dafür bezahlt hat, denn wir werden nicht hingehen. Wir würden im Übrigen auch nicht gehen, wenn ich mich anders entschieden hätte, wenn ich jetzt nicht ernst machen würde. Wir würden auf keinen Fall gehen, denn ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mit ihm in einem Hotel das Wochenende zu verbringen.

      Wir würden irgendwo rumsitzen, im Wellnessbereich oder so.

      Ich würde sagen:

      Ich hab da kürzlich was Interessantes gelesen.

      Er würde sagen:

      Aha. Ich habe letzte Woche sechs zu zwei gegen Helmut gewonnen.

      Ich würde sagen:

      Aha.

      Dann würden wir ein Fünf Gänge Menü abdrücken, das sich auf der Zunge anfühlt wie Plastik mit Geschmacksverstärker. Und dann würden wir in dem extra-breiten Hotel-Doppelbett liegen. Eine tolle Gelegenheit für ihn, sich meiner zu bedienen. Daheim geht das nicht, da schlafe ich schon seit Längerem im Gästezimmer. Und ich würde mir sagen, dass es ja auch egal ist, aber es wäre besser gewesen mehr zu trinken. Und noch besser wäre es gewesen, wenn ich mir mal wieder eine größere Dosis Codein-Tabletten besorgt hätte. In meiner Jugend haben die gut geholfen. Gegen alles.

      Er würde an mir rumschrauben, nach all den Jahren hat er immer noch keine Ahnung von der weiblichen Anatomie, und es ist ihm auch nicht wichtig. Er würde das so lange machen, wie er es für angemessen hält und ich ihn lasse. Und dann würde er sich auf mich wälzen und mit geschlossenen Augen abrackern. Masturbation am weiblichen Objekt nenne ich das. Wenn er die Augen aufmachen würde beim Beischlaf, würde er mich sehen. Wenn ich die Augen zumachen würde, würde ich fühlen, was er so in mir treibt. Also sehe ich ihm dabei zu, wie er mir nicht dabei zusieht und denke an guten Sex, auch wenn das nichts hilft.

      Irgendwann wäre er fertig, wahrscheinlich ziemlich schnell, weil er ja wenig Gelegenheit hat. Soweit ich weiß zumindest. Er würde ich liebe dich sagen und sich wegdrehen. Und ich würde warten, bis er eingeschlafen ist. Und dann den zweiten Teil des Abends begehen, Masturbation ohne männliches Objekt.

      Er ist glaube ich körperlich sowieso anderweitig ausgelastet. Er scheint es nicht wirklich zu brauchen. Montags fitten gehen und donnerstags in die Sauna, nach dem Tennisspielen mit Helmut und den anderen Kollegen. Die nehmen ihre Frauen manchmal mit. Ich bleibe immer weg. Ich bin eine Vollniete im Tennis. Und öffentliche Sauna geht für mich gar nicht. Zu heiß. Zu viele korrodierende Leiber. Ist schon okay für die, die da hingehen, aber ich muss mir das nicht ansehen. Die wenigen Männer, die in der Sauna gute Körper zur Schau stellen, sind in der Regel schwul oder so schwer narzisstisch gestört, dass es meinen Stolz verletzt sie auch nur anzuschauen.

      Und mal ehrlich, mein Körper ist für eine Fünfzigjährige schon noch ganz okay, aber mehr auch nicht. Zwei Geburten hinterlassen nun mal ihre Spuren, und das mit dem Stillen auch. War mir egal. Wenn man tot sein will, legt man nicht so großen Wert aufs Schönsein.

      Wenn man tot ist, hat man keinen Körper mehr und das ganze Hin und Her und Hoffen und Enttäuschtwerden kann man vergessen. Ich freu mich drauf.

      Ich bin eine typische Popsong-Mutter, eine Ansammlung verpasster Gelegenheiten. Das Schlechte an verpassten Gelegenheiten ist, dass man sich vorstellt, wie großartig es gewesen wäre, auch wenn es sich vielleicht als der letzte Dreck herausgestellt hätte, wenn man es versucht hätte. Das Gute daran ist: In meiner Fantasie habe ich perfekte Erlebnisse abgespeichert, denn als Was-wäre-wenns waren sie perfekt. Auch wenn ich sie nie erlebt habe.

      There is no way to happiness, sagte mir einmal ein indischer Guru. There is no way to happiness, happiness is the way. Das ist doch mal eine klare Ansage. Da ich nicht happy bin und es keinen anderen Weg gibt, wäre es absurd mich weiter abzurackern. Dann kann ich auch gleich heute Nacht zum Ausgang vorrücken, bevor die Biologie den Zeitpunkt bestimmt.

      Letzte Woche war es dann soweit, dass ich endgültig keine Lust mehr hatte auf alles, was passiert und nicht passiert. Ich bin daheim abgehauen und habe mich in irgendeine Pension für Handwerker auf Montage eingemietet. Bis jetzt war das immer gut. Wahrscheinlich, weil ich alleine war. Wenn ich alleine bin, ist eigentlich immer alles in Ordnung. Oder zumindest ziemlich passabel. Wieso konnte ich nicht als tibetischer Yogi geboren werden und mein Leben in einer abgelegenen Schlucht fristen? Nun, sagt mein Großer Zensor, weil niemand als tibetischer Yogi geboren wird. Man muss es selber machen. Man kommt nicht als Einsiedler auf die Welt, man muss Entbehrungen auf sich nehmen und Mut zum Extremen haben. Okayokay. Ich habe keinen Mut. Ich bin zu mittelmäßig für ein Yogi-Dasein. Ich bin ein Wochenend-Yogi. Nicht für Jahrzehnte in einer Höhle, nicht im Himalaya, sondern drei Tage in einem versifften Einzelzimmer im Schwarzwald. Teppichboden siebzigerjahre-Braun. Vorhänge cremefarbenes Polyester. Cremefarben deshalb, weil sie noch aus der Zeit stammen, als jeder sein Hotelzimmer vollqualmen durfte, wie er wollte.

      Hier oben auf dem Grünen Felsen gibt es keine Anti-Raucher-Verordnungen. Ich dreh mir noch eine.

      Und weil ich den kurzen Rest meines Lebens ehrlich zu mir sein will: Alleinsein ist nur gut, wenn ich es mir aussuchen kann. Wenn nur ich entscheide, ob ich den Abend in diesem versifften Einzelzimmer verbringen will oder unverbindlich ein Bier unten in der Gaststube bestellen und den anderen Gästen zuhören. Und Leute treffen, die ich nie wieder sehen würde. Aber dieses Mal war es anders. Dieses Mal machte nicht einmal mehr die Vorstellung Spaß, wie es gewesen wäre. Vielleicht hätte ich ihn einfach nicht zulassen dürfen, diesen Tagtraum. Die Idee, dass hier draußen am Ende der Welt durch Zufall einfach jemand auftauchen könnte, der mich begeistert. Wie blöd kann man sein? Erstens gibt es diesen Jemand, der für mich passen könnte, ziemlich sicher nicht, und zweitens nicht hier. NICHT HIER! Und trotzdem habe ich mir diese irrwitzige Vorstellung nicht verboten. Ich habe geträumt. Ich habe mir zugesehen, wie die Wirklichkeit mit meinem Traum umgeht und beschlossen, dass es jetzt mal gut ist. Mit allem. Ende Gelände (das sage ich nur, um dem Großen Zensor die Gelegenheit für einen weiteren Strich auf der Banalitätenliste zu geben).

      Der Stammtisch in der Gaststube war voll besetzt. Man unterhielt sich angeregt über die Sorgen und Nöte der Freiwilligen Feuerwehr. Ich setzte mich an den Nebentisch, bestellte ein Bier und langweilte mich nicht einmal so sehr, weil es doch erstaunlich ist, welche im Wortsinn brennenden Probleme die Feuerwehr eines Schwarzwalddörfchens haben kann. Vermutungen werden ausgetauscht über Vetternwirtschaft, zweifelhafte Genehmigungsverfahren und gekaufte Gemeinderäte. Verschwörungstheorien und infernohafte Brandszenarien wurden entwickelt und alle waren mit großer Leidenschaft dabei.

      Ich mag es, anderen beim Leben zuzuschauen und zu hören, was sie zu sagen haben. Meistens ist es eine win-win-Situation, weil die anderen sich freuen, dass jemand wissen will, wer sie sind, und ich ein paar Anregungen für mein Kopfkino bekomme. Und wer weiß, dachte ich an diesem Abend ganz ungeschützt und naiv, wer weiß, vielleicht treffe ich ja heute den, der mein Leben verändert. Ich schaute also von meinem Ecktisch rüber zum Tresen und da saß dieser Typ – keine Ahnung wo der herkam – und brabbelte in einer Art Englisch vor sich hin. Vielleicht auch Schottisch. Seine Haare standen am Hinterkopf ab, er sah aus wie ein ziemlich heruntergekommener Kakadu, auch ungefähr genauso exotisch. Aber Kakadus riechen nicht nach Alk und Kotze. Warum wurde der in dem Laden überhaupt bedient? Ich wette, er hatte keinen Cent dabei. Da drehte er sich um und schaute in meine Richtung.

      Dreck. Die Kunst der klandestinen Observation habe ich auch schon mal besser beherrscht. Er beäugte mich. Verquollenes, fleckiges Gesicht, das nach Alkohol und allen möglichen chemischen Substanzen aussah. Das musste eine Menge Zeug sein, das er sich in den letzten Jahren reingetan hat. Er rutschte von seinem Barhocker und nahm Kurs auf meinen Tisch. Nein, Widerstand war zwecklos. Er sprach kein Deutsch und verstand auch keines, zumindest tat er so. Er ließ sich schwer auf den Stuhl neben mir fallen, und der Luftzug seiner Bewegungen trieb den Dunst von Alkohol, den Zersetzungsprodukten auf seiner Körperoberfläche und eingetrockneter Pisse zu mir rüber.

      Er winkte der Wirtin und sie schob ihm noch einen Whisky hin. Warum machte die das? Mir war schon klar, wir waren im Schwarzwald und nicht in der City von Irgendwo, aber ich denke doch, dass eine Wirtin überall ein sauberes Gespür dafür haben muss, welcher Gast für den Abend genug hat. Sie warf mir einen undefinierbaren