Abstürzen für Anfänger. Franziska Hochwald. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska Hochwald
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752902181
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muss schlucken.

      Es gibt kein Bett, nur so was wie ne Stufe im Raum, ist fest eingebaut, genauso steril gekachelt, und darauf liegt so was wie eine Matte, die ist mit Plastik bezogen.

      Ich habe also zwei Sitzgelegenheiten, diese Liegefläche und das Klo. Wer hätte gedacht, dass einem in U-Haft so viele Möglichkeiten bleiben. Ich dachte, da gilt die Unschuldsvermutung! Wirklich, die haben doch nicht mehr alle auf der Kette, wenn ich unschuldig bin, kann ich wohl erwarten, dass man mir mehr bietet als einen Zwinger mit Kackschüssel, oder?

      Wie lange ich hier drin bleibe, weiß keiner. Vielleicht geht es von hier aus direkt weiter in den normalen Knast. Wahrscheinlich sogar. Wenn sie dich erst einmal in U-Haft haben, lassen sie dich nicht mehr so schnell gehen. Hab noch nie gehört, dass einer vor der Verhandlung wieder rauskam.

      Wenn es wenigstens nur die Sache mit dem BTM wäre. Aber nein, die dumme Nuss muss ja den Felsen runterspringen. Ich hätte es wissen müssen, dass das übel ausgeht, schon als ich sie da gesehen habe auf unserem Platz am Grünen Felsen, mit ihrem billigen Alk und dem Tabak, das ist doch nicht normal in dem Alter.

      Ich bin ja auch selber schuld, wenn ich mit lauter Halbwüchsigen abhänge. Das sind keine Freunde. Das sind Anhängsel. Die mögen nicht mich, die mögen mein Zeug und dass ich immer einen baue, wenn wir oben am Grünen Felsen chillen.

      Aber hey, ist das meine Schuld, dass diese Gestörte den Abgang macht? Definitiv bin ich nicht für den Rest der Welt verantwortlich. Wäre doch kein Problem gewesen für die Gang, einfach abzuhauen, und gut ist. Aber nein, Finn, das Weichei, kriegt seinen Moralischen und fängt an rumzuheulen und Hilfe zu schreien. Nun gut, nicht jeder hat starke Nerven. Aber muss man deshalb gleich die 110 wählen? Und muss man dann ausgerechnet mich vorwurfsvoll anstarren, wenn die Cops kommen und fragen, wie das passiert ist? Das sind doch alles Vollpfosten, die Jungs, ich sitz im Knast nur wegen denen.

      Und dass ich mein Zeug überhaupt dabei hatte, war ja auch nur wegen denen. Die zahlen ja nicht mal regelmäßig dafür, die Abzocker. Die finden ja wohl, dass ihre Gesellschaft mir das wert sein sollte, dass sie es verdient haben, wenn ich sie für umme mit gutem Ot versorge. Hätte ich mal früher drüber nachdenken sollen, was ich da eigentlich mache. Und jetzt kann ich noch froh sein, wenn die Bullen mich nur wegen BTM drankriegen. Wenn sie mir die Sache mit der Alten nicht auch noch in die Schuhe schieben.

      Ich hab sie doch nur ein bisschen angemuckt, da muss die doch nicht gleich komplett hohle drehen, oder?

      Ich kann bloß hoffen, dass die sie wieder zusammenflicken und sie ne Aussage machen kann. Sonst bin ich auch noch wegen allem Möglichen dran. Aber mal ehrlich, wie ist sie da runtergeraten? Ich hab sie doch nicht mal angefasst. Das kann mir echt keiner anhängen.

      Besuch wär auch mal was, darf man ja kriegen in U-Haft. Aber wer soll mich hier schon besuchen. Ist ja auch ein Aufwand mit richterlicher Erlaubnis einholen und dem Ganzen.

      Meine Mom kommt jedenfalls nicht. Die wusste bis gestern nicht mal, wo ich mich zur Zeit rumtreibe, und war ist auch besser so. Ich bin eine Zumutung für die gutbürgerliche Vorzeige-Familie. Ja, heute gehört die Scheidung wohl dazu zum gutbürgerlich sein, das ist nichts Ehrenrühriges, sondern Programm. So ist das eben, sagte meine Mom, man lebt sich auseinander, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind. Sehr witzig. Ich bin neunundzwanzig, und ich glaube, ich bin im Gröbsten drin.

      Jedenfalls, dass meine Mutter jetzt einen Neuen hat, so einen Rechtsanwalt aus Villingen-Schwenningen, das geht schon klar in ihren Kreisen. Vielleicht kann er nichts Sinnvolles beitragen, wenn sie mit ihrem Kulturkreis ins Theater geht, aber wenigstens ist er teuer angezogen und fährt nen Audi Quattro, der Schleimer. Für meinen Fall kann er auch nichts Sinnvolles beitragen, denn natürlich ist er Zivilrechtler. Da verdient man richtig fett und hat es nicht mit so Leuten wie mir zu tun, die er sowieso nur „Pack“ nennt. Arbeitet in einer Kanzlei mit Wirtschaftsprüfern und so.

      Jedenfalls hab ich jemand angeben müssen, den ich anrufe, und es war zwar eigentlich voll daneben, aber mir fiel niemand anderes ein als der Typ von meiner Mutter. Matthias also. Er sagte, ich soll keine Aussage machen und auch sonst nichts sagen und er käme jede Minute. Ich glaub ja gar nichts mehr. So viel Hilfsbereitschaft für den lästigen Anhang hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Wahrscheinlich freut er sich schon richtig drauf, mich in der Scheiße sitzen zu sehen. Was erzähl ich ihm bloß? Jedenfalls die Wahrheit, was die Alte angeht, denn da hab ich mir definitiv nichts vorzuwerfen. Er muss mit ihr reden. Oder mir wenigstens sagen, wie sie heißt und wo sie wohnt, damit ich mal bei ihr anrufen kann. Falls sie noch lebt. Und falls die mich lassen.

      Draußen klackert ein Schlüsselbund, und Space Admiral Rodcocker erscheint in der Tür. Er sieht original aus wie der Wärter aus Orange Is The New Black, der Typ, mit fettig glänzender Glatze, einem fleckigen Gesicht, dem man eine aknegeplagte Jugend ansieht, und wässrigen blauen Augen. Ob der in seiner Freizeit wohl auch Netflix guckt? Ich würde was drum geben, wenn ich hier ein paar Serien anschauen könnte, um mich abzulenken.

      „Sie haben Besuch“, bellt er mich an.

      Ich glaub es ja gar nicht.

      „Bewegen Sie sich heute noch oder was?“

      Ich rapple mich auf und trotte ihm hinterher in den Besucherraum. Der Admiral geht nach draußen, wahrscheinlich um meinen Besucher rein zu holen. Ich vertreibe mir die Zeit damit, mir seine zwei Schwänze vorzustellen und wie er sie wohl einsetzt bei seinen Liebesspielen in allen möglichen kosmischen Dimensionen. Oder doch lieber nicht. Gefängnis-Serien anschauen ist weit amüsanter als selber einzusitzen. Ich muss zugeben, die Rolle von Crazy Eye, der perversen Porno-Schriftstellerin, ist echt gut erfunden, man kommt wirklich auf weirde Ideen, wenn man nichts anderes zu tun hat als nichts zu tun.

      Durch die Glasscheibe kann ich draußen am Empfangsschalter einen Mann stehen sehen, er hantiert mit Papieren. Schon von hinten erkenne ich Matthias. Er liebt diese amerikanischen Frisuren, an der Seite kurz und oben die Haare perfekt zu einer Seite gekämmt. Wahrscheinlich findet er, dass das einen männlichen Eindruck macht. Hier im Knast verändern sich die Perspektiven, mir fällt auf, dass es gut ist ihn zu sehen, selbst mit dieser Frisur. Er kommt rein mit zwei Dosen Cola in der Hand, die er wohl aus dem Automaten gezogen hat. Auch wenn ich Cola hasse, freue ich mich komischerweise wie blöd darüber. Er setzt sich mir gegenüber und schaut mir in die Augen, ich schaue weg.

      „Tja, Hendrik, du machst Sachen.“

      Ich fixiere die Coladose. Was soll man auf so eine Einleitung schon sagen? Ich hasse meinen Namen. Ich hab keine Ahnung, was sich meine Mutter dabei gedacht hat, ich finde, er hört sich komplett schwul an. Ich hab nichts gegen Schwule. Und ja, man soll sowas nicht sagen. Aber ist doch so. Ich steh nun mal auf Frauen, und beim Kennenlernen ist Hendrik echt keine Hilfe. Mein Spitzname Hank ist da schon besser. Den hab ich von meinem Vater. Vielleicht das einzig Gute, was ich je von ihm gekriegt habe. Aber jetzt ist keine Zeit, über meinen Vater nachzudenken, Matthias legt mir kumpelhaft die Hand auf die Schulter.

      „Also, Hendrik, jetzt erzähl mal, setze mich ins Bild, wie du in diese Lage gekommen bist.“

      Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, und er wartet einfach ab. Matthias legt dabei erstaunlich viel Geduld an den Tag. Trotz Rumgekumpel eigentlich ganz cool. Dabei hasst er mich, dachte ich zumindest immer. Denn er belatscht meine Mutter schon seit Monaten, dass sie mich endlich rausschmeißen soll, aber bisher hat sie es noch nicht gemacht.

      Ich nehme einen Schluck von der Cola. Wenn er jetzt mein Anwalt ist und die Kifferei sowieso aktenkundig, ist es vielleicht das Beste, wenn ich mir keine Stories ausdenke sondern Klartext rede. Also gut. Ich fange an mit meinen Kumpels und dem Platz auf dem Grünen Felsen und erzähle ihm alles genau so, wie es gewesen ist. Auch wenn ich nicht mehr ganz so stolz bin auf meine Rolle in der Geschichte. Ich hätte die Alte ja auch in Ruhe ihren Whisky abkippen lassen können, denke ich jetzt. Aber das hilft jetzt auch nichts mehr.

      Als ich fertig bin, nickt Matthias und macht sich noch einige Notizen. Er scheint die Sache richtig ernst zu nehmen.

      „Du hast Glück“, sagt er schließlich. „Die Dame, die in diese Sache verwickelt ist, blieb in einem Gebüsch nur kurz unterhalb der Felskante hängen